An der Frage, inwieweit Prädikanten1 auch unter Einsatz von Medien Verkündigung treiben dürfen, bin ich, seit 2010 selbst als Prädikant tätig, nicht nur als Beobachter, sondern als Betroffener interessiert. Als vor zwei Jahren zu Beginn der Pandemie alle Gottesdienste abgesagt wurden, haben ich mich sehr schnell entschlossen, alle Predigten, die ich in verschiedenen Gemeinden zugesagt hatte, auch auszuarbeiten und ins Internet zu stellen. Es wäre mir, zumal hauptberuflich mit der Pflege des Kirchenrechts betraut, natürlich sehr unangenehm, wenn ich damit gegen geltendes Kirchenrecht verstoßen hätte.2
Kirchenrecht wird vor allem von den Synoden und Kirchenleitungen der Landeskirchen erlassen. Sie sind dabei an die Vorschriften ihrer Kirchenverfassungen gebunden. Diese regeln vor allem, welche Stelle zuständig ist, wie zu verfahren ist und in welcher Form Recht gesetzt wird. Materiell ist alles Kirchenrecht an Schrift und Bekenntnis gebunden, wie dies auch regelmäßig in den Kirchenverfassungen festgehalten ist.3 Die wichtigste Bekenntnisschrift ist das Augsburger Bekenntnis, das die Anhänger der Reformation 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg vorgelegt haben um nachzuweisen, dass sie mit ihren Ansichten auf dem Boden der wahren kirchlichen Lehre stehen.
Die Bibel und die Bekenntnisschriften werden natürlich besonders dann relevant, wenn es um kirchenspezifische Fragen geht. Und dazu gehört ganz zentral die Verkündigung, moderner: die Kommunikation des Evangeliums. Das ergibt sich auch aus Art. 7 des Augsburger Bekenntnisses:
„Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. […]“
Dabei geht es nicht um die Verkündigung als Selbstzweck, sondern als ein Mittel, damit Menschen zu Glauben kommen und darin wachsen können.
„Um diesen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, der den Glauben, wo und wann er will, in denen, die das Evangelium hören, wirkt […].“ (CA 5)
Wenn hier von „Predigtamt“ die Rede ist, bezeichnet dies nicht einen Berufsstand, sondern erstmal nur die Funktion: Es muss gepredigt, also vom Evangelium geredet werden, damit Menschen glauben können.4 Diese Funktion ist prinzipiell allen Christenmenschen anvertraut, wie es die Lehre vom Allgemeinen Priestertum aller Gläubigen und Getauften besagt. Anders als die römisch-katholische kennt die evangelische Kirche hier keine kategoriale Unterscheidung von geweihten Priestern und Laien. So schreibt Martin Luther:
„Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied dann des Amts halben allein. [...] Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht. [...] Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, dieses Amt auch auszuüben.“5
Aus dem letzten Halbsatz wird allerding schon deutlich, dass es über das Allgemeine Priestertum hinaus durchaus kirchliche Ämter geben kann, die nur von bestimmten Personen ausgeübt werden. So heißt es auch im Augsburger Bekenntnis:
„Vom Kirchenregiment (kirchlichen Amt) wird gelehrt, dass niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder die Sakramente reichen soll ohne ordnungsgemäße Berufung [nisi rite vocatus].“ (CA 14)
Das besondere kirchliche Amt unterscheidet sich vom Allgemeinen Priestertum allein durch seine Öffentlichkeit. Damit ist aber weniger gemeint, dass es sich an einen unbegrenzten Personenkreis richtet, sondern vor allem, dass es im Namen und Auftrag der Kirche ausgeübt wird, dass die Kirche sich also dieses Verkündigungshandeln zurechnen lässt. Das gilt für Pfarrer und Prädikanten in gleicher Weise. Deswegen ist es auch irreführend, wenn manche Landeskirchen zwischen der Ordination von Pfarrern und der Beauftragung von Prädikanten unterscheiden.6
Bei der öffentlichen Ausübung des Predigtamtes ist zwischen der generellen Berufung und seiner Wahrnehmung in einer konkreten Situation zu unterschieden. Das eine setzt die Bereitschaft und Eignung voraus, sich in das Amt berufen zu lassen. Das andere ist eine reine Ordnungsfrage, die durch den Dienstauftrag und das Kanzelrecht geregelt wird. Indem das Augsburger Bekenntnis die öffentliche Wahrnehmung des Verkündigungsamtes an eine ordentliche Berufung knüpft, setzt es Regeln voraus, welche Voraussetzungen die Berufung hat, wer sie auszusprechen hat und wie sie durchzuführen ist. Damit kommen wir zum Kirchenrecht.
Das Kirchenrecht ist die verbindliche Ordnung des kirchlichen Handelns, wie sie von der Kirche selbst hervorgebracht wird.7 Es „hat den unveränderlichen Verkündigungsauftrag unter den jeweiligen geschichtlichen Bedingungen nach besten Kräften zu sichern, ihn institutionell zu umhegen.“8 Dabei hat es mehrere Funktionen: (1) Es trifft Vorsorge dafür, dass Verkündigung regelmäßig und geordnet stattfindet. (2) Es konstituiert die Öffentlichkeit der Verkündigung, indem es Prediger zu Repräsentanten der Kirche macht. (3) Es trifft Vorkehrungen für die Qualitätssicherung durch verschiedene Elemente einer Aufsicht. (4) Und mit all diesem dient es dem Schutz der Gemeinde, die sich auf eine geordnete Verkündigung soll verlassen können.
Während für die Pfarrerschaft mit dem Pfarrdienstgesetz der EKD mittlerweile eine weitgehend einheitliche Regelung besteht, werden die Vorschriften für Prädikanten von den Landeskirchen erlassen. Bei ähnlichem Grundmuster fallen die Regelungen im Detail recht verschieden aus. Das hat nach meinem Eindruck auch damit zu tun, dass die amtstheologischen Implikationen erst nach und nach geklärt werden und in die Regelungen Eingang finden. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis des Berufungsaktes zur Ordination der Pfarrer und die immer wieder schlagwortartig genannte Beauftragung von Prädikanten pro loco et tempore, wobei hier stets auf die konkrete Regelung zu achten ist.
Die Wahrnehmung des Predigtamtes, sei es durch Pfarrer oder Prädikanten, betrifft die Gemeinde in ganz wesentlicher Weise. Sie soll darauf vertrauen dürfen, dass in der gegebenen Situation, also in einem bestimmten Gottesdienst, ordentliche Verkündigung stattfindet. Dass Pfarrer darüber hinaus mit weiteren Aufgaben betraut sind, dass der räumliche und zeitliche Wirkungskreis unterschiedlich bestimmt ist, ändert nichts daran, dass Pfarrer und Prädikanten in der Wahrnehmung des Predigtamtes ganz das Gleiche tun. Sie benötigen dafür auch dieselbe Vollmacht. Darum ist eine Unterscheidung von Ordination und Beauftragung amtstheologisch problematisch.
Da die Berufung in das Predigtamt, sei es als Ordination oder Beauftragung, keinen Weihestatus verleiht, also keinen der Taufe vergleichbaren character indelebilis hat, spricht amtstheologisch nichts dagegen, sie zeitlich zu beschränken, durch besonderen Akt aufzuheben und sie später erneut zu vollziehen. Dass Pfarrer auf Lebenszeit ordiniert werden, hat damit zu tun, dass sie das Predigtamt hauptberuflich wahrnehmen und ihre gesamte Lebensführung auf das Pfarramt einstellen müssen. Die Befristung bei Prädikanten, die ohnehin regelhaft verlängert wird, bietet Anlass und Gelegenheit, die Eignung erneut zu prüfen. Sie ist also ein Instrument der Qualitätssicherung – wenn sie auch selten so genutzt wird.
Wenn die Berufung von Prädikanten mit räumlicher Einschränkung ausgesprochen wird, besteht die Gefahr, dass die generelle Berufung in das Predigtamt und seine konkrete Wahrnehmung vermengt werden. Wenn man davon ausgeht, dass ein Prädikant im einen Kirchenkreis zu ordentlicher Verkündigung in der Lage ist, ist m.E. nicht einzusehen, dass er dies nicht auch in einem anderen Kirchenkreis zu leisten vermag. Und für alle Prediger gilt, dass sie nur dort predigen, wo sie selbst das Kanzelrecht haben oder von den Inhabern des Kanzelrechts dazu eingeladen werden. Die Einschränkungen pro loco et tempore haben keine prinzipielle, sondern lediglich Ordnungsfunktion.
Die Regelungen über das Predigtamt haben vor allem die Verkündigung im Gottesdienst im Blick, zu dem sich die Gemeinde an einem bestimmten Ort zu gegebener Zeit versammelt. Der in räumlicher und zeitlicher Kopräsenz gefeierte Gottesdienst war über lange Zeit die, wenn nicht ausschließliche, so doch vorrangige Gestalt der Kommunikation des Evangeliums und hat trotz der zunehmenden Diversifizierung der Verkündigungsformate immer noch eine zentrale Funktion. Doch wie sind die geltenden Regelungen auf andere Formen der Verkündigung anzuwenden?
Prinzipiell hat aufgrund des Allgemeinen Priestertums jeder Christenmensch das Recht – und eigentlich auch die Pflicht – in seinem Wirkungskreis das Evangelium zu verbreiten. Dabei mag man zunächst an den kommunikativen Nahbereich, beispielsweise im Familien- oder Freundeskreis, denken. Es spricht aber nichts dagegen, dass dies auch medial und mit größerer Verbreitung geschieht. Eine freie christliche Publizistik hat es immer gegeben, nur haben durch neue Medien die Möglichkeiten der Verbreitung ungemein zugenommen. Diese Verkündigung findet zwar öffentlich statt, aber nicht in dem hier gemeinten Sinn, dass die Kirche sich dieses Handeln zurechnen lassen muss. Es ist nur sehr eingeschränkt möglich und jedenfalls nicht ratsam, dass die Kirche hier regulierend eingreift. Die Akteure sind allein an das allgemein geltende staatliche Recht gebunden.
Etwas anderes gilt, wenn die Akteure zur Kirche in einer Sonderbeziehung stehen, wie dies bei Pfarrern und Prädikanten der Fall ist. Dann können drei Konstellationen unterschieden werden: (1) Jemand handelt privat, d.h. ohne Bezug auf sein kirchliches Amt. (2) Jemand handelt privat, stellt aber dabei einen Zusammenhang mit seinem kirchlichen Amt her, indem er sich beispielsweise ausdrücklich als Amtsträger der Kirche bezeichnet. (3) Jemand handelt in Wahrnehmung seines kirchlichen Amtes und nutzt die dadurch gegebenen Möglichkeiten, in diesem Fall vor allem die kirchlichen Kommunikationswege.
Für den zuletzt genannten Fall gelten die gleichen Regeln wie für die Verkündigung in analoger Präsenz. Der Prädikant wird im Rahmen seines Dienstauftrags und nach Maßgabe der örtlich Verantwortlichen tätig. Das Kanzelrecht des Gemeindepfarrers kann in entsprechender Weise auf die virtuelle Kanzel einer gemeindlichen Medienpräsenz angewendet werden. Soweit eine Gemeinde Verkündigung online anbietet, können Prädikanten daran beteiligt werden. Es scheint mir eher die Frage zu sein, wer sich dort sonst noch alles äußert und dies letztlich zu verantworten hat.
In den beiden anderen Fällen handelt es sich nicht um die Ausübung des Prädikantenamtes. Es besteht aber ein mehr oder weniger enger Zusammenhang mit diesem. Zum einen stellt sich die Frage, ob die Kirche regulierend auf dieses Handeln selbst einwirken kann. Zum anderen können sich Rückwirkungen auf den Prädikantendienst ergeben. Die Landeskirchen habe hierzu jedoch kaum Regelungen getroffen. Es liegt in der Verantwortung der aufsichtführenden Stelle, also regelmäßig des Superintendenten oder einer vergleichbaren Stelle, hier auf angemessene Weise zu reagieren.
Der Ordnung eines Amtes handelt zuwider, wer außerhalb der regulären Amtswahrnehmung das Amt, seine Bezeichnung und seine Insignien, wie z.B. eine Amtstracht, in Anspruch nimmt. Für bestimmte Ämter ist dies sogar nach § 132a StGB strafbewehrt. Es ist Prädikanten darum verwehrt, bei privater Verkündigungstätigkeit unter ihrer Amtsbezeichnung oder in ihrer Amtstracht aufzutreten. Weisen sie darauf hin, dass sie Prädikanten sind, muss ausdrücklich oder durch die Umstände deutlich werden, dass dieses Amt jedoch gegenwärtig nicht ausgeübt wird. Die Kirche kann dies einfordern, hat dafür aber keine eigenen Vollstreckungsmittel.
Die Ev. Kirche in Hessen und Nassau hat darüber hinaus in § 5 Abs. 11 Prädikanten- und Lektorengesetz geregelt, dass eine Tätigkeit als freier Kasualredner oder freier Prediger mit der Beauftragung als Lektor oder Prädikant nicht vereinbar ist. Wer sich in dieses Amt berufen lässt, geht damit eine entsprechende Bindung ein, sich der Ordnung der Kirche gemäß zu verhalten. Damit dürfte sorgfältig zu prüfen sein, ob durch diese Regelung die private Verkündigung in den Medien ausgeschlossen ist.
Auch wenn die Kirche nicht auf die private Tätigkeit der Prädikanten einwirken kann, kann sie daran amtsbezogene Konsequenzen knüpfen. So kann eigenmächtiges Verkündigungshandeln dazu führen, dass eine Beauftragung nicht verlängert oder das Amt entzogen wird, wenn die Glaubwürdigkeit des Predigtdienstes dadurch beeinträchtig wird. Ganz pragmatisch ergibt sich die Situation, dass bei medialer Verkündigung von Prädikanten die Aufsichtsführenden viel leichter davon Kenntnis nehmen und darauf reagieren können, als bei Präsenzgottesdiensten, die unmittelbare Anwesenheit erfordern. Wer also medial öffentlich macht, dass er für das Amt nicht geeignet ist, muss mit dem Entzug des Amtes rechnen.
Man könnte es für problematisch halten, dass sich durch die neuen Medien ein weites Feld für die Kommunikation des Evangeliums öffnet, das von der Kirche nicht zu kontrollieren ist. Doch dies ist auch gar nicht Aufgabe der Kirche. Sie hat nicht religiöse Kommunikation zu zensieren, sondern ihrerseits dafür Sorge zu tragen, dass sie verlässlich und gehaltvoll stattfindet. Verkündigungshandeln ist nach der Zwei-Regimenten-Lehre dem geistlichen Regiment zuzuordnen, in dem es kein Macht- und Zwangsmittel, sondern nur das überzeugende Wort gibt.9
Dass für die kirchliche Verkündigung weitergehende Regelungen getroffen werden, dient – wie gesagt – dem Schutz der Gemeinde. Sie soll darauf vertrauen dürfen, dass von der Kirche verantwortet verlässliche Verkündigung stattfindet, für die die Kirche auch in Anspruch genommen werden kann. Ob die Menschen diese Verkündigung annehmen oder nach anderen Angeboten suchen, muss ihnen selbst überlassen bleiben. Nennenswerte Verbreitung in den Medien findet ohnehin nur, was besonders gut oder besonders schlecht gemacht ist. Und beides spricht für sich.