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Die eschatologische Kraft der Liebe

Denkmöglichkeiten zum "Zutrauen Gottes in den Menschen" und der "Präsenz Gottes in der Welt"

Published onNov 05, 2024
Die eschatologische Kraft der Liebe
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In unserem letzten Workshop sind wir kurz vor Schluss auf Liebe zu sprechen gekommen: Es hat sich herausgestellt, dass Liebe, sei es als Gottes- oder Nächstenliebe, aber auch als Fremden- und Feindesliebe, ein (zumindest für die Arbeitsgruppe) zentrales Motiv dafür ist, die Klimakrise als ein theologisches Thema zu verstehen.1 Im Folgenden will ich ausführen, dass und inwiefern ein theologischer Liebesbegriff Potenziale für eine „Theologie in der Klimakrise“ birgt und welche Potenziale das sind. Meine Thesen sind, dass

  1. über den Liebesbegriff die Rede vom Zutrauen Gottes in den Menschen2 begründet und eschatologisch ausgerichtet werden kann, und

  2. durch Erfahrungen der Liebe eine Präsenz Gottes in der Welt – natürlich unter bestimmten Vorbehalten – denkbar ist und diese Erfahrungen auf das Reich Gottes in der Spannung von Schon-Jetzt und Noch-Nicht verweisen

Insofern unsere Arbeitsgruppe schon drei intensive Treffen hinter sich hat und es mir wichtig ist, neben dem Setzen neuer Impulse auch bereits vorhandene Gedanken aufzunehmen, beginne ich meine Ausführungen mit einer kurzen Sichtung dessen, was in der AG bereits zum Liebesbegriff gedacht wurde, kritisiere diese teilweise und führe aus, welche Denklinien m. E. in Verlängerung unserer bisherigen Thesen liegen. Ebenso will ich kurz in Erinnerung rufen, wo und wie bereits von Eschatologie und Apokalypse die Rede war. Vor diesem Hintergrund verbinde ich dann in der Aufnahme von Gedanken des Theologen Werner G. Jeanrond die Themenbereiche „Liebe“ und „Eschatologie“ und führe anschließend meine Thesen aus. Mein Beitrag endet klassisch mit Fazit und dem Hinweis auf notwendige Weiterführungen. Mein Schwerpunkt liegt durchweg mehr auf dem Liebesbegriff denn auf der Eschatologie.

Als Hinweis möchte ich voranschicken, dass dieser Beitrag eine ungeschliffene Diskussionsgrundlage darstellt. Die Belege und Literaturangaben sind noch nicht vollständig, der Text hat noch nicht genügend Redaktionsdurchgänge durchlaufen und sicherlich habe ich das eine oder andere in Auseinandersetzung mit unseren bisherigen Arbeiten übersehen. Ich freue mich daher auf Hinweise und Verbesserungsvorschläge.

Für diejenigen, die ob der knappen Bereitstellung keine Zeit (mehr) haben, alles im Einzelnen zu lesen, finden sich am Ende der jeweiligen Hauptabschnitte prägnante Zusammenfassung dessen, was ich basierend auf dem Dargelegten festgehalten wissen will.

1. Weichenstellungen in Liebesdingen

Liebe ist ein zentraler theologischer Begriff, über den grundlegend Dogmatik und Ethik sowie im Detail verschiedene Topoi und Themen miteinander verbunden werden können und müssen. Klassisch (und anthropozentrisch) werden Gott und Menschheit in Beziehung zueinander gesetzt und wird zwischen der Liebe Gottes als genitivus subjectivus und objectivus sowie der Liebe der Menschen zu sich selbst und zueinander unterschieden. Auf spezifische Verhältnisbestimmungen und Liebeskonzeptionen werde ich im Laufe des Textes an unterschiedlichen Stellen eingehen. Bei den folgenden Weichenstellungen geht es mir darum zu prüfen, ob unsere bisherigen Arbeiten bereits Antworten auf die Fragen liefern, wer Subjekt der Liebe und wer Objekt der Liebe ist, ob und wie Liebe als auch göttliche Liebe erfahrbar ist, sowie wessen Liebe am Werk ist. Die Frage nach dem Modus der Liebe streife ich nur.

Unbestritten scheint bisher, dass Gott Subjekt der Liebe ist. Der Mensch kam bisher nur insofern vor, als er Empfänger der Liebesgebote ist (s.o.); als liebendes Subjekt haben wir ihn bisher nicht weiter betrachtet. Ob, und wenn ja inwiefern und welche nicht-menschlichen Geschöpfe liebende Subjekte sein können, haben wir bisher ebenfalls nicht thematisiert.

Bei der Frage nach dem Objekt der Liebe legt sich eine Ausweitung auf Tiere vor dem bisher Erarbeiteten nahe. Darauf werde ich gleich näher eingehen. Die Frage nach der Erfahrbarkeit der Liebe Gottes ergibt sich, wenn angenommen wird, dass durch diese Liebe die Transzendenz in die Immanenz eingeht. Dazu haben wir bereits deutliche Impulse bekommen, die ich sowohl in Zusammenhang mit einer Ausweitung der Nächstenliebe als auch als eigenen Punkt referiere und reflektiere. Die Frage nach Grund und Modus der Liebe ist, soweit ich das überblicke, bisher nicht explizit thematisiert worden.3

1.1 Ausweitung der Nächstenliebe auf nicht-menschliche Geschöpfe?

Neben dem bereits genannten Verweis auf die Liebesgebote als Grund dafür, die Klimakrise auch als ein theologisches Thema zu betrachtet, begegnet ein Verweis auf Liebe sonst nur an einer weiteren Stelle in unseren Thesenreihen. In der siebten These zur Geschöpflichkeit wird die Rede von einer „Bewahrung der Schöpfung“ kritisiert und als eine Alternative „Bewahrung des Resonanzraums der Liebe Gottes“ vorgeschlagen.4 Diese Alternative (ebenso wie der Vorschlag „Bewahrung unserer Lebengrundlagen“ als säkulare und anthroporelationale Wendung) wird zur weiteren Erwägung anbefohlen.5

Ich schlage vor, zumindest von der Wendung „Bewahrung des Resonanzraumes der Liebe Gottes“ Abstand zu nehmen. „Resonanzraum der Liebe Gottes“ ist m. E. letztendlich nur ein Synonym für Schöpfung, insofern im Anschluss an Deep Incarnation-Konzeptionen die gesamte lebende Schöpfung Teil dieses Resonanzraumes ist. Das mit dem Bewahrungsbegriff verbundene Problem (Bewahrung der Schöpfung ist Aufgabe Gottes, die Aneignung der Aufgabe durch den Menschen Ausdruck seiner Hybris) lässt sich dadurch nicht lösen.

Dass wir in der Arbeitsgruppe aber Schöpfung als „Beziehungsraum“ verstehen, der „auf etwas Drittes [verweist]“, nämlich auf Gott als Schöpfer,6 und dass wir „alles Fleisch“ als Teil dieses Raumes sehen, weist darauf, dass es unzureichend wäre, Liebe auf Gott-Mensch- und Mensch-Mensch-Beziehungen zu beschränken. Die Grundlage hierfür hat Julia Enxing in ihrem Beitrag gelegt. Nach einer positiven Rezeption von Deep Incarnation-Konzeptionen folgert sie für das Thema Liebe zunächst:

„Wenn das Göttliche in allem, was Materie ist, in allem was ist, präsent ist, dann verbindet sich der Gedanke der universellen Liebe und Nähe Gottes mit dem Partikularen. Dann ist das Universelle im Partikularen, die Transzendenz in der Immanenz.“7

Mit Dean-Drummond denkt sie weiter:

„Die Liebe von Gott Vater wird somit ausgeschüttet und formiert sich in einer sterblichen, verwundbaren und leidenden Weltgeschichte. Die besondere, i.S. eines Heilsereignisses, Inkarnation Gottes in Christus lässt sich damit weder auf eine raum-zeitliche Komponente beschränken noch wäre es legitim, die Liebe Gottes in Christus – als ganz Gott und ganz Mensch – als exakt jene in alle andere Kreaturen auszudehnen. Transzendenz und Immanenz zusammen zu denken ist nicht gleichbedeutend mit der Vorstellung der Expansion einer Zwei-Naturen-Lehre auf alle Lebewesen. Jesus als der Christus ist einmalig und doch weist dieses Inkarnationsereignis über sich selbst hinaus.“8

Die Präsenz Gottes durch seine Liebe wird hier inkarnationslogisch gedacht. Das Wie der Transzendenz in der Immanenz bleibt offen.

Wir haben uns in der Arbeitsgruppe noch nicht darüber ausgetauscht, ob und inwiefern wir den Gedanken einer Deep Incarnation folgen.9 Eine Deanthropozentrierung ist jedoch ein Anliegen, das sich in vielen unserer Thesen wiederfindet.10 Eine damit einhergehende Aufwertung der Mitgeschöpfe als geliebte Wesen Gottes, auf die sich das Nächstenliebegebot ausweiten lässt, bedarf jedoch keiner Untermauerung durch die Deep Incarnation. Anne Käfer argumentiert, dass „[i]m Blick auf Gottes Schöpfung aus seiner ihm wesentlichen allmächtigen Liebe [...] nicht einer Spezies vor den anderen grundsätzlich der Vorzug gegeben werden kann.“11 Auch wenn Gottes Liebe durch das Christusgeschehen nur den Menschen offenbart worden wäre, so gelte sie dennoch allen Geschöpfen.12 Wenn Gott aus Liebe geschaffen hat, – das scheint der Kern des Arguments,– dann bezieht sich seine Liebe auch auf alle Geschöpfe. Spannend ist die Weiterführung des Gedankens: Wenn vom Menschen verlangt werde, Gott zu lieben, müssten in der Folge auch alle seine Geschöpfe geliebt und das Nächstenliebegebot entsprechend ausgeweitet werden. „Denn in seinem Werk hat der Schöpfer sich selbst, hat er seine ihm wesentliche Liebe manifestiert. Entsprechend ist mit der Liebe zum Schöpfer die Liebe zu den von Gott geliebten Mitgeschöpfen gefordert.“13

Eine gewisse Form der Transzendenz in der Immanenz findet sich mithin auch bei Käfer: Auch hier ist Gott durch seine Liebe in der Schöpfung manifest, auch hier ist das Wie nicht genauer entfaltet, erfolgt die Begründung aber schöpfungstheologisch und über den Liebesbegriff.

Käfers Argumentation kann mit Konzeptionen einer Deep Incarnation zusammengedacht werden. Sachlich ist es zwar nicht notwendig, aber auch nicht abwegig anzunehmen, dass sich die Liebe Gottes sowohl in der Schöpfung als auch in der Inkarnation offenbart hat. Beide Konzepte müssen aber nicht zusammen angenommen werden, insofern ihnen unterschiedliche bibelhermeneutische Entscheidungen zu Grunde liegen.

Beiden Ansätzen gemein ist die Betonung, dass nicht-menschliche Geschöpfe Empfänger*innen göttlicher Liebe sind und deswegen auch als Nächste des Nächstenliebegebotes verstanden werden sollten.14 – Dass damit aller Wahrscheinlichkeit nach der historisch-kritisch vorgegebene Deutungsrahmen des alt- und neutestamentlichen Nächstenliebeverständnisses überschritten wird und die hier vertretenen Gedanken als rezeptionsgeschichtliche Weiterentwicklung verstanden werden müssen, soll auch gesagt werden.15 Es wird hieran erneut deutlich, was schon in der 16. These unseres ersten Workshops herausgestellt wurde: Eine Theologie in der Klimakrise muss sich, wie jede Theologie mit explizitem biblischem Bezug, auch in Fragen der Schrifthermeneutik ausweisen.

„Perspektivität und Positionierungen müssen in Relektüren von biblischen Texten eingetragen werden: Das bedeutet auch eine grundsätzliche Kanonkritik unter gesamtöko-systemischen Vorzeichen, die verschiedene Zeit-Raum-Vorstellungen und Mehrperspektivitäten in Narrativen und Lesarten zulässt.“16

Mich überzeugt der Gedanke, dass auch nicht-menschliche Geschöpfe Empfänger*innen göttlicher Liebe sind, als Konsequenz der Bestimmung Gottes als Liebe sowie der Auffassung, dass Gott aus Liebe geschaffen hat. Dass die Sorge Gottes auch nicht-menschlichen Geschöpfen gilt, lässt sich in weisheitlichen Traditionen entnehmen.17 Bedenkt man, dass im Alten Testament Gottes Liebe zu seiner Schöpfung nicht rein emotional ist, sondern sich auch in Fürsorge ausdrückt,18 ist die Verbindung zur Liebe weiter untermauert.

Mich überzeugt weniger, dass hieraus gefolgert werden müsste, dass das Nächstenliebegebot auch nicht-menschliche Geschöpfe als Nächste miteinschließt. Die Beziehung zwischen A und B enthält an sich noch keine normativen Aussagen über die Beziehung zwischen B und C. Auch dann nicht, wenn A und C ebenfalls in Beziehung zueinander stehen. Gleichzeitig führt aber das Vorhandensein des Beziehungskomplexes und die inhaltliche Bestimmung zwischen A und B dazu, dass C seine Beziehung zu B auf eine bestimmte Weise zu gestalten versucht (ob es auch gelingt, sei dahingestellt), um die Beziehung zu A in einer bestimmten Weise zu erhalten oder zu formen. Am Beispiel: Dass meine Mutter meine Geschwister liebt, heißt nicht, dass ich sie auch lieben muss. Es heißt aber, dass ich, wenn ich meine Beziehung zu ihr nicht belasten will, ich diese ihre Liebe zu ihren anderen Kindern respektiere und meine Haltung zu ihnen sowie meinen Umgang mit ihnen von diesem Respekt leiten lasse.

Ich habe hier bewusst eine Eltern-Kind- sowie Geschwisterbeziehung als Beispiel gewählt, weil diese zum einen von sittlichen Erwartungen geprägt sind und zum anderen in jedem Fall von einer irgendwie gearteten Beziehung ausgegangen werden kann. Ob und inwiefern dieses Beispiel auf die Beziehungskonstellation von Gott-Mensch-Mitgeschöpfe überhaupt übertragbar ist, wäre aber erst eigens zu diskutieren. Es zeigt sich hieran erneut, dass zwar

„Klimakrise und die Frage der Mensch-Tier-Beziehung [...] zusammen[hängen] – dennoch [...] weiter zu differenzieren [ist], inwieweit bspw. Umweltethik und Tierethik grundverschiedene Frageperspektiven sind und verschiedene theoretische Anliegen haben.“19

Diskutiert werden kann und muss m. E. zudem auch, ob das Nächstenliebegebot in gleicher Weise in Anwendung auf nicht-menschliche wie menschliche Geschöpfe zu gelten habe. Der Fokus dieser Debatte liegt auch hier v. a. auf ethischen Fragen und könnte uns im Rahmen unseres nächsten Workshops beschäftigen.20 Als vorläufige Lösung schlage ich vor, davon zu sprechen, dass

  1. nicht-menschliche Geschöpfe von Gott geliebt werden,

  2. die Liebe Gottes zu den nicht-menschlichen Geschöpfen vom Menschen verlangt, sie als Gottes geliebte Geschöpfe anzuerkennen und das eigene Handeln an dieser Anerkennung auszurichten,21

  3. nicht mehr nur Gott und Menschheit in einer (Liebes-)Beziehung zueinander gedacht werden, sondern dass die (Liebes-)Beziehung zwischen Gott und der Menschheit auch die mindestens einseitige Bezogenheit von Gott und Menschheit auf nicht-menschliche Geschöpfe umfasst.

Dass bei Letzterem von einer „mindestens einseitigen Bezogenheit“ gesprochen wird, soll offenhalten, ob und inwiefern auch Tiere und Pflanzen(?!) zu (Liebes-)Beziehungen zu Gott und Mensch fähig sind. In aller Pauschalität würde sich so eine Aussage kaum halten lassen, insofern nicht alle nicht-menschlichen Lebensformen mit einem für gegenseitige Beziehungen notwendigen Bewusstsein ausgestattet sind. Die Rede von einer „mindestens einseitigen Bezogenheit“ passt zudem zu unserer These 2.2 in den Diskussionsthesen „Mensch und Welt“, in der herausgestellt wird, dass Tiere (nicht Pflanzen!) zwar aus dem gleichen Urstoff gemacht, dem Menschen aber kein Gegenüber sind und seiner Anerkennung bedürfen.22

Diesen Unterpunkt abschließend möchte ich markieren (zur Ausführung fehlt es an Zeit), dass die Ausweitung des Nächstenliebegebotes nicht nur speziesübergreifend, sondern auch zeitübergreifend zu denken wäre: Anne Käfer argumentiert hierfür unter Bezugnahme auf Hans Jonas. Der dänische lutherische Theologie Knud Ejer Løgstrup hat hierzu ebenfalls bereits eine Pointe über den Solidaritätsbegriff gemacht.

1.2 Transzendenz in der Immanenz?

Sowohl Enxing als auch Käfer sehen Gott als Liebe in der Welt präsent. Enxing schreibt zudem mit Verweis auf Psalm 104, dass Gott in allen Kreaturen als göttliche Geistkraft und deren Lebenskraft anwesend sei. Sie zieht daraus folgenden Schluss:

„Eine so verstandene Theologie, die behauptet, dass Gott sich fortwährend in allen Geschöpfen offenbart, uns also in allen Geschöpfen begegnen kann, hat unmittelbar Auswirkungen auf unsere Weltwahrnehmung [...]. Wenn wir davon ausgehen, dass Gott in allem, was atmet, in aller Materie inkarniert ist, d.h. präsent ist, gegenwärtig ist, verwirklicht ist, dann birgt jede Begegnung mit dem atmenden Leben, dem Materiellen, das Potenzial einer Begegnung mit Gott in sich. Anders formuliert: Dann kann uns Gott im Tier begegnen und dann hat die Begegnung mit dem Tier etwas Göttliches, etwas Gott-immanentes.“23

Sie pointiert: „Offenbarung kommunikationstheoretisch gedacht, würde in meiner Perspektive bedeuten, dass nicht nur Inter- sondern auch Transspeziesbegegnungen selbstverständlich als Selbstmitteilung der Liebe Gottes verstanden werden können.“24

Als Untermauerung verweist Enxing auf „zahlreiche Mystiker:innen und Heilige [...] wie etwa Franz von Assisi“25, die „eine expansive Vorstellung der göttlichen Liebe, die nicht an den Grenzen der Spezies Mensch halt macht, [...] bereits [...] bezeugt [haben].“26

Unsere Thesen und Beiträge sprechen sich, soweit ich das überblicke, an anderer Stelle nicht explizit für eine Immanenz der Transzendenz aus.27 Wird aber die Relationalität der Theologie ernst genommen, dann ist, meine ich, durch die Beziehungen zu Gott und von Gott immer auch etwas Göttliches in der Welt – und sei es in den über die Immanenz hinausweisenden Beziehungen.

Meine zweite These schließt sehr eng an das an, was Julia Enxing bereits in ihrem Beitrag herausgestellt hat: Auch ich meine, dass eine Präsenz Gottes in der Welt denkbar ist. Dabei muss (und sollte) es sich nicht um eine Aussage über eine „reale“ Präsenz im strengen Sinne handeln. Auch ein schwächeres Verständnis ist möglich (und von mir präferiert), demnach es Erfahrungen gibt, die gläubige Menschen als Präsenz Gottes in der Welt deuten. Erfahrungen ist immer eigen, dass sie

Deutungen vorgedeuteter Erlebnisse [sind]. [...] Die Transformation vom Erlebnis zur Erfahrung erfolgt nicht im luftleeren Raum, sondern mittels Interpretations- bzw. Deutungsrahmen, Deutungsmustern, -horizonten bzw. Schemata [...], welche in der Lebenswelt und im Einzelnen zur Verfügung stehen. “28

Vor diesem Hintergrund sind Gotteserfahrungen immer als Glaubensaussagen zu begreifen.

Soweit die Weichenstellungen in Liebesdingen. Ich halte fest:

  • Gott ist in jedem Fall ein Subjekt der Liebe.

  • Ob und inwiefern diese Liebe so zu denken ist, dass durch sie auch ein Eingehen der Transzendenz in die Immanenz angenommen wird, ist noch offen. Grundsätzlich scheint das zumindest im Modus gedeuteter Erfahrung und als Glaubensaussage möglich und wird auch im Folgenden dafür argumentiert.

  • Ob und inwiefern die Liebesgebote auch auf nicht-menschliche Geschöpfe angewendet werden sollen, ist zu diskutieren. Vorschläge wurden gemacht.

  • Ob und inwiefern der Mensch Subjekt der Liebe ist, ist zu diskutieren. Damit hängt die dogmatische Frage zusammen, wessen Liebe jeweils wirkt, wenn Menschen lieben.

2. Bisherige eschatologische Schwerpunkte und die Rolle des Menschen darin

Insofern sich erst dieser Workshop mit Eschatologie und Apokalyptik befasst, überrascht es nicht, dass sich in unseren Thesen bisher verhältnismäßig wenig Aussagen zu diesen Themenbereichen finden. In unserer ersten Thesenreihe haben wir festgehalten: „Schöpfung ist die eschatische Vision eines versöhnten Lebens der Geschöpfe miteinander und mit Gott.“29

Es ist in dieser These sowie in einer späteren30 enthalten und folgt aus unserem immer auch anthropodezentralen Anliegen, dass wir uns der paulinischen Position in der Hervorhebung anschließen, dass sich Gottes eschatologisches Handeln auf die gesamte Schöpfung bezieht (Röm 8,19ff.). Gleichzeitig wird hier deutlich, dass wir Schöpfung nicht nur als einen eigenen Topos denken, sondern die Verbindung mit anderen dogmatischen Topoi, v. a. der Eschatologie betonen: Wir sehen, dass die Schöpfungsberichte als eschatische Vision eines versöhnten Lebens fungieren.

Eschatologische Elemente finden sich auch in unserer dritten Thesenreihe, dort in Verschränkung mit der Soteriologie. Wir gehen dabei davon aus, dass Versöhnung, Erlösung, Heil, Heilung, Heiligung und Gnade alle in der Spannung stehen, schon jetzt stattzufinden, in ihrer Vollendung aber noch ausstehen.31 Vor diesem Hintergrund scheint es legitim, gegenwartsorientierte Erwägungen in einen eschatologischen Horizont einzuzeichnen. Ebenso können die oben angerissenen Erwägungen zur Präsenz Gottes in der Welt vor diesem Hintergrund eschatologisch qualifiziert werden: Christ*innen haben nicht nur die Hoffnung auf ein „versöhntes Leben der Geschöpfe miteinander und mit Gott“, dieses Leben ist schon jetzt in der von Ungerechtigkeit, Leid und sinnlos Üblem gezeichneten sowie bleibend ambivalenten und deutungsoffenen Welt erfahrbar. Das Zukünftige verweist auf das Gegenwärtige und stellt so eine Deutungskategorie für positives Welterleben dar.

Es könnte hier angebracht werden, dass die Erschließung positiver Welterfahrungen als Erlebnisse des kommenden Reiches Gottes, ähnlich der Rechtfertigungseinsicht, mere passive geschehe. Das will ich zurückweisen. Zum einen ist der Mensch an den Deutungen seines Erlebens und Erfahrens immer mitbeteiligt. Deutung geschieht nicht am Bewusstsein des Menschen vorbei. Plötzliche Einfälle oder Erkenntnisse, Aha-Erlebnisse, können vom Menschen als Wirken des Geistes gedeutet werden, aber eben auch diese Zuschreibung ist eine Deutung (und natürlich eine Glaubensaussage).

Zum anderen ist der Mensch, vor allem als gläubiger Mensch, durchaus zum Mitwirken am Reich Gottes aufgerufen.32 Dieses Mitwirken ist klassisch an den Liebesgeboten orientiert. Ich möchte aber neben dem gestalterischen Element auch die Wahrnehmung stark machen. Denn wie wir die Welt wahrnehmen, ist mindestens ein Stück weit von uns beeinflussbar. Das zeigen Studien zum Nachrichten- und Social-Media-Konsum deutlich und ist Voraussetzung dafür, dass Menschen (v. a. Schüler*innen) ein kritischer Umgang mit Medien beigebracht wird. Unsere Art, die Welt zu sehen, ist mithin lernbar und veränderbar. Søren Kierkegaard macht daraus eine eigene Pointe, wenn er in Bezug auf die Liebe sagt, dass sie immer auch geglaubt werden muss, um erkannt zu werden,33 was (neben anderen Aspekten) den dänischen Theologen Arne Grøn dazu bewegt, in Kierkegaards Text Der Liebe Tun eine „Ethics of Vision“ zu nennen.34

Wirken und Wahrnehmen gehören auch insofern zusammen, als kein Mensch jeweils nur in der Welt wirkt, ohne dass auch an ihm gewirkt wird und er die Welt und ihr Wirken an ihm auch wahrnimmt. Entsprechend sind auch meine Thesen in jeweils zwei Richtungen auszubuchstabieren: Wenn über den Liebesbegriff die Rede vom Zutrauen Gottes in den Menschen begründet und eschatologisch ausgerichtet werden kann, dann gilt das sowohl in Bezug auf sein Wirken als auch in Bezug auf sein Wahrnehmen. Wenn über das Phänomen der Liebe eine Präsenz Gottes in der Welt denkbar ist und diese Erfahrungen gleichzeitig auf das Reich Gottes in der Spannung von Schon-Jetzt und Noch-Nicht verweisen, dann ist hier der Mensch sowohl als Wirkender als auch als Wahrnehmender angesprochen.

Ich hoffe, nicht als naiv-idealistisch oder schlicht blind missverstanden zu werden, wenn ich von einem Mitwirken des Menschen am Reich Gottes spreche. Wir haben in unserer zweiten Thesenreihe herausgestellt, dass das Wirken des Menschen in der Welt „nicht per se als ein ‚Mitwirken an der Schöpfung‘ verstanden werden [kann], insofern darunter ein biodivers gedachtes lebensdienliches Handeln verstanden wird“, und demgegenüber betont, „dass die Mehrheit der Menschen des globalen Nordens oftmals gerade gegen die Schöpfung wirkt.“35 Daran will ich ausdrücklich festhalten. Nichtsdestotrotz ist mit dem Scheitern auch aller guten menschlichen Absichten nicht alles über den menschlichen Erfahrungsraum gesagt. Vielmehr machen wir auch die Erfahrungen gelingender Beziehungen, wir machen auch die Erfahrungen von Versöhnung und Heilung. Wenn wir Liebe (im weitesten Sinne und in verschiedenen Beziehungsformen) erfahren, dann nicht nur als Schmerz und Enttäuschung, sondern auch als wohltuend, nährend und stärkend. Es ist mir ein Anliegen, in der Ambivalenz und Deutungsoffenheit der Welt nicht nur die notwendig hervorzuhebenden negativen Erfahrungen und Wirkungen, sondern auch die positiven zu thematisieren und theologisch fruchtbar zu machen.

Ich halte für unsere bisherigen eschatologischen Schwerpunkte und meine Weiterführungen zur Rolle des Menschen darin fest:

  • Unser Interesse scheint sich vorrangig auf eine präsentische Eschatologie zu richten. Darauf wird bei unseren Diskussionen zu achten sein, weil es sich auch um einen „blinden Fleck“ für Potenziale futurische Eschatologie für eine Theologie in der Klimakrise handeln könnte.

  • Die christliche Hoffnung auf ein „versöhntes Leben der Geschöpfe miteinander und mit Gott“, stellt auch einen Deutungsrahmen für gegenwärtige Erfahrungen dar.

  • Ich behaupte, dass das Mitwirken am Reich Gottes, nicht nur eine handelnde, sondern auch eine wahrnehmende Dimension umfasst.

Nachdem ich mit Verweis auf Kierkegaard und quasi durch die Hintertür „Liebe“ auch in diesem Kontext erwähnt habe, soll im Folgenden explizit auf die Verbindung von Eschatologie und Liebe eingegangen werden.

3. Eschatologie und Liebe

Liebe und Eschatologie miteinander zu verbinden, ist nicht ungewöhnlich36 und geschieht nicht selten über das Motiv des Reiches Gottes.37

Der katholische Theologe Werner G. Jeanrond vertritt die These, dass „love, propperly understood offers the most adequate and dynamic horizon for approaching God’s coming reign and for being transformed in the process.”38 Tatsächlich würde ich behaupten, dass die umgekehrte Aussage genauso stimmt: Liebe und Reich Gottes sind sich gegenseitig qualifizierende Horizonte. Insofern Gott Liebe ist, ist das Reich Gottes im Horizont der Liebe zu verstehen. Insofern Gott die Erlösung und Versöhnung der Schöpfung will, ist jede Liebeserfahrung, die auf Erlösung, Versöhnung, Heil, Heilung, Heiligung und Gnade verweist, im Horizont des anbrechenden Reiches Gottes zu verstehen. Unabhängig davon macht Jeanrond aber auf wichtige Bestimmungen im Verhältnis von Liebe und Eschatologie aufmerksam, weswegen ich im Folgenden seine Hauptpunkte – samt einiger eigener Kommentare – in Kürze wiedergebe.

Mit Anthony Kelly plädiert Jeanrond dafür, Eschatologie nicht in den Kategorien der Erlösung, sondern in denen der Versöhnung zu denken.39 Während der Erlösungsgedanke neben anderen Problemen40 auch mit sich bringe, dass sämtliche Handlung bei Gott liegt, sei der Versöhnungsgedanke stärker auf eine (natürlich asymmetrische) Reziprozität ausgerichtet:

„Reconcilitation cannot be a one-sided achievement. Whatever is offered has also to be accepted, including forgiveness, an integral element within reconciliation whether human or divine. The Lord’s Prayer with its suggested mutuality linking divine forgiveness with ‘as we forgive those who trespass against us’ and the injunction of the Sermon on the Mount, ‘first be reconciled to your brother’ (Mt 5:24) provide a model.“41

Kellys Hinweise machen deutlich, dass die Reziprozität im Versöhnungsgeschehen den Beziehungsraum zwischen Sünder*in und Gott auf die Beziehungen zu den Mitmenschen (und in unserem Kontext sollten wir sagen: Mitgeschöpfen) ausweitet, sodass Versöhnung des einzelnen Menschen mit Gott nicht ohne die Versöhnung des Menschen mit seinen Mitgeschöpfen denkbar ist und er bei dieser zwischengeschöpflichen Versöhnung eine aktive Rolle einnehmen muss. Hierzu zähle ich auch das Bitten um Versöhnung sowie die Beseitigung von Umständen, die einer Versöhnung ggf. im Weg stehen.

Über diesen Versöhnungsgedanken lässt sich eine Brücke schlagen zum kommenden, schon angebrochenen Reich Gottes. So auch bei Jeanrond: Auch hier mit Verweis auf Kelly sieht er, dass Christ*innen dazu berufen sind, das Kommen des Reiches Gottes, „the great transofrmation now afoot“42, nicht nur zu bezeugen, sondern aktiv daran mitzuwirken.43 Das Wie des Mitwirkens entfaltet er über den Liebesbegriff.

Jeanrond schreibt in seiner oben zitierten These: „love, properly understood“ und meint damit ein Liebesverständnisnis, das dem Menschen eine grundsätzliche Fähigkeit, selbst zu lieben, zugesteht, statt diese Fähigkeit einseitig bei Gott zu verordnen.44 Liebt im letzteren Fall nämlich ein Mensch wahrhaft, (was in vielen Konzeptionen ohnehin nur in Ausnahmefällen passiert,) so ist es recht eigentlich verstanden Gott, der durch diesen Menschen liebt.

In den beiden Varianten werden jeweils unterschiedliche anthropologische Ausgangspunkte betont: Wird dem Menschen eine grundsätzliche Liebesfähigkeit zugestanden, geschieht das vor einem schöpfugnstheologischen Hintergrund: Der Mensch ist als Ebenbild Gottes gesegnet und mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet, dazu gehört auch die Fähigkeit zur Liebe.45 Wird dem Menschen eine grundsätzliche Liebesfähigkeit abgesprochen, geschieht das vor einem hamartiologischen Hintergrund: Der Mensch gilt nach dem Sündenfall als so korrumpiert, dass auch seine Fähigkeit zu lieben immer von Eigeninteressen korrumpiert ist.46 Man könnte meinen, dass es sich hier um eine konfessionelle Trennlinie handelt, angemessener ist es aber von Tendenzen zu sprechen: Es sind eher katholische Positionen, die dem Menschen eine Liebesfähigkeit zusprechen und eher protestantische Positionen, die sie ihm absprechen. Da ich selbst in der protestantischen Tradition beheimatet bin, will ich weiter unten aufzeigen, inwiefern hier dogmatisch natürlich noch mehr auf dem Spiel steht als eine unterschiedliche anthropologische Akzentuierung und wie in der Rezeptionslinie lutherischer Tradition eine Lösung (wenn auch mit bleibenden Schwierigkeiten oder zumindest offenen Fragen) erarbeiten lässt.

Jeanrond führt seine Argumentationslinie dahingehend fort, dass eschatologische Vorstellungen einer Erlösung des Menschen mit einem Liebesverständnis korrelieren, das die Liebesfähigkeit des Menschen negiert und somit auch das Mitwirken des Menschen am Erlösungsprozess für ausgeschlossen hält. Eschatologische Vorstellungen hingegen, die eine Versöhnung ins Zentrum rücken, zwar auch Gottes Liebe als transformierende und kreative Kraft betonen, dem Menschen qua seiner Liebe aber auch eine gewisse Mitwirkung am Reich Gottes zugestehen.47

In unserer dritten Thesenreihe stehen Erlösung und Versöhnung noch unvermittelt und ohne nähere Erörterung oder Qualifizierung nebeneinander.48 Ob und inwiefern die hier vorgebrachten Überlegungen zu einer Modifikation oder Ergänzung führen, sei zunächst dahingestellt.

Für diesen Teil sei festgehalten:

  • Soll die Transformation dieser Schöpfung in die Neuschöpfung betont werden, statt von einem Bruch zwischen dieser und der neuen Schöpfung auszugehen, scheint es angemessener Momente der Versöhnung statt der Erlösung zu betonen.

  • Liebe und Reich Gottes sind sich gegenseitig qualifizierende Horizonte. Insofern Gott Liebe ist, ist das Reich Gottes im Horizont der Liebe zu verstehen. Insofern Gott die Erlösung und Versöhnung der Schöpfung will, ist jede Liebeserfahrung, die auf Erlösung, Versöhnung, Heil, Heilung, Heiligung und Gnade verweist, im Horizont des anbrechenden Reiches Gottes zu verstehen.

  • Soll der Mensch am Reich Gottes mitwirken, muss ihm eine Fähigkeit zu (wahrer) Liebe zugestanden werden.

4. Liebe als Grund und eschatologische Ausrichtung des Zutrauens Gottes in das Wirken des Menschen

In unserem letzten Workshop hat uns Lea Chilian ihre Überlegungen zum Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen dargelegt und haben wir anschließend in fünf Thesen aufgenommen, inwiefern diese Rede vom Zutrauen für eine Theologie in Klimakrise fruchtbar aufgenommen werden kann.

Wir haben herausgestellt, dass die Rede vom Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen als Interpretament sowohl der Ebenbildlichkeit Gottes als auch (und in Verlängerung) des Bewahrungsauftrages verstanden werden kann. Laut Chilian ist dem Zutrauen in Abgrenzung zum Vertrauen eigen, dass es sich nicht auf einen Menschen per se, sondern auf seine Fähigkeit(en) bezieht.49 Bezogen auf die Rede von der Ebenbildlichkeit des Menschen bedeutet das, dass diese nicht nur in bestimmten Eigenschaften (der Mensch als Beziehungswesen) gründet, sondern sich auch in bestimmten Fähigkeiten ausdrückt – gleichwohl beide unter dem Vorzeichen der Sünde stehen.50 Verlängert auf die Reinterpretation des Bewahrungsauftrags konnten wir damit sagen, dass sich hier das Zutrauen Gottes auf die grundsätzliche Fähigkeit des Menschen zum lebensdienlichen Handeln innerhalb der Schöpfung und im Rahmen seiner Handlungsmöglichkeiten bezieht.51

Soll die exegetische Einsicht ernst genommen werden, dass sich der Bewahrungsauftrag mit der Vertreibung aus dem Paradies ohnehin erledigt hat, kann an dieser Stelle m. E. genauso gut von einer Reinterpretation des Herrschaftsauftrags gesprochen werden. Die Interpretation bezieht sich dann nicht mehr auf den Auftrag aus Gen 2, sondern eben Gen 1 und trägt hier wie dort der exponierten Stellung des Menschen Rechnung, die ein Mal in der Benennung der Tiere und ein Mal in dem konkreten Auftrag zum Herrschen ihren Ausdruck findet. Dass hier beide Anschlussmöglichkeiten denkbar sind, ist eine Stärke, die wir ggf. auch noch in unsere Thesen eintragen sollten.

Über den Zutrauensbegriffs wird der Mensch nicht zum Retter der Welt stilisiert, insofern mit einer Rede vom Zutrauen noch nichts darüber ausgesagt ist, ob die angenommene Fähigkeit tatsächlich schon weit genug gereift ist, ob sie überhaupt eingesetzt wird und ob die korrespondierende Handlung gelingt oder scheitert.52 Es ließe sich mithin zugespitzt formulieren, dass das Zutrauen Gottes sich auf das Wirken des Menschen als seines sündigen Ebenbildes richtet. Auch liegt der Erhalt der Schöpfung nach wie vor bei Gott.53 Trotz (oder auch gerade wegen) dieser Einschränkungen „[kann] [d]er Mehrwert einer Rede vom göttlichen Zutrauen in das Wirken des Menschen [...] im Empowerment liegen“54 – der Mensch wird gefordert, aber nicht überfordert. Ebenso „[kann] das Zutrauen Hoffnung wecken und Trost im Aushalten von Verzweiflung und Ohnmachtsgefühlen spenden“55.

Im Folgenden möchte ich diesen Gedanken weiter nachgehen und mich dabei zuerst auf die Spannung zwischen Ebenbild und (gerechtfertigten) Sünder*in fokussieren, um dann darauf zu kommen, dass und inwiefern die grundsätzliche Fähigkeit des Menschen zum lebensdienlichen Handeln genauer als seine Fähigkeit zur Liebe verstanden werden kann, die eschatologisch ausgerichtet ist.

4.1 Gottes Zutrauen in sein sündiges Ebenbild

Es ist gerade vor dem Hintergrund, dass in der theologischen Anthropologie vom Menschen immer auch als sündig und Sünder die Rede ist, unerlässlich, die Ebenbildlichkeit mit der Sündhaftigkeit zu vermitteln und die Konsequenzen auch für die durch die Ebenbildlichkeit gegebenen Fähigkeiten auszubuchstabieren. Ich meine – ohne darin Expertin zu sein –, dass das katholischer Theologie tendenziell leichter fällt. Durch prominente Bezugnahme auf Thomas von Aquin kann dem Menschen bspw. eine grundsätzliche Liebesfähigkeit zugesprochen werden und der Mensch als berufen betrachtet werden, zum Freund Gottes zu werden.56 Auch im korrumpierten Stand scheint dem Menschen hier eine Art Restgüte zuzukommen, die zwar nicht reicht, um vor Gott als gerechtfertigt zu gelten, die aber nichtsdestotrotz vorhanden ist.

Die Mitwirkung des Menschen am Reich Gottes mag auf falschen Annahmen beruhen, aus den falschen Motiven erfolgen und kann in ihrer konkreten Ausgestaltung schlimme Konsequenzen haben, – man denke für unseren Kontext an evangelikale Christ*innen in den USA, die durch ein Befeuern der Klimakrise meinen, das Kommen des Reiches Gottes zu beschleunigen.57 Dass dem so ist, ergibt sich aus den Ambivalenzen unserer Welt, aus Perspektivität und Positionalität der einzelnen Christ*innen sowie aus den daraus folgenden epistemischen Begrenzungen.58 In all dem spielt immer auch das hamartiologische Vorzeichen menschlicher Existenz eine Rolle.59 M. E. wird dieses Vorzeichen zudem dadurch gestärkt, dass auch ein lebensdienliches Handeln, insofern und v. a. wenn wir aus einer westlichen Perspektive sprechen, in Strukturen der Sünde gefangen sein kann. Dieses Gefangen-Sein in Strukturen der Sünde hat Enxing in ihrem Buch Und Gott sah, dass es schlecht war überzeugend herausgestellt: Selbst bei einem möglichst ökologisch schonenden Lebenswandel macht uns unsere Angewiesenheit auf Infrastrukturen, wahrscheinlich auch unsere Art zu arbeiten und zu konsumieren zu Superemittent*innen, deren Wohlstand vielleicht nicht immer und in jeder Hinsicht, aber eben immer wieder auch auf Kosten anderer geht.60

Es kommt hier (auch als konfessiorische Überleitung) Luthers bekannter Ausspruch: „pecca fortiter“61 in den Sinn. Dabei geht es natürlich nicht um einen Freifahrtschein zum Sündigen. Vielmehr wird darauf abgehoben, was unsere Arbeitsgruppe auch schon festgehalten hat: „Der Mensch im aktuellen Stand ist immer rechtfertigungsbedürftig“62, d. h., er ist bleibend sündig und Sünder, auch wenn er nach bestem Wissen und Gewissen handelt. Problematisch ist das, wenn, wie in einigen Hauptschriften Luthers und bei namhaften Vertreter*innen lutherischer Theologie, dem Menschen die Fähigkeit Gutes überhaupt zu wollen abgesprochen wird. Prominent ist das in De Servo Arbitrio der Fall. In aller Kürze lässt sich der Gedanke wie folgt zusammenfassen: Wird der Mensch gerechtfertigt, bekommt er zwar Anteil an Jesu Gerechtigkeit, handelt es sich bei der eigentlichen Rechtfertigung aber um einen lebenslangen Prozess. Luther unterscheidet hierbei im gläubigen Menschen zwischen dem „alten Adam“ und den „neuen Menschen“, der eigentlich aber „Christus in mir“ ist. Die Sündhaftigkeit des Menschen wird so radikal gedacht, dass alles Gute, was der Mensch wirkt, Gott allein zugeschrieben wird.

Auch das ist eine Art, die Transzendenz in der Immanenz zu denken, allerdings bringt sie uns hinsichtlich des Zutrauens Gottes in das Wirken des Menschen in dieser Form nicht weiter, sondern führt in Aporien. Denn wenn es Gottes Zutrauen in das Wirken des Menschen ist, dann geht jede Pointe in dem Moment verloren, wenn dieser „Mensch“ recht eigentlich „Christus in mir“ ist, der von Luther aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als identisch, sondern maximal als teil-identisch mit der Person gedacht wird und auch diese Teil-Identität aus heutiger Perspektive höchst diskutabel ist. Das Zutrauen Gottes würde dann letztendlich auf sich selbst gerichtet sein, bzw. läge die Deutung nahe, dass alles Wirken, das gelingt, Gott / Christus in mir zugeschrieben wird, alles gescheiterte Wirken aber dem Menschen. Subjektivitätstheoretische Probleme, wie all das heute denkbar (und vermittelbar!) ist, seien an dieser Stelle dahingestellt.

Damit die Rede vom Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen überzeugen kann, muss sie sich auf einen Menschen beziehen, der (auch darin Ebenbild Gottes) Subjekt seiner Handlungen ist und dessen Handlungsprozess daher auf jeder Stufe, von der ersten Intention oder dem ersten Impuls bis hin zum Ergebnis, auch scheitern kann. Das Zutrauen bezieht sich dann auf einen Menschen simul iustus et pecctor in der Gestalt, dass die Zurechenbarkeit jedes Schrittes des Handlungsprozesses beim ganzen Menschen liegt. Dann aber stellt sich die Frage, ob und wie hier eine Immanenz in der Transzendenz zum Tragen kommen kann, die den Menschen miteinschließt.

Ich meine, dass es bei Søren Kierkegaard eine Zwischenposition gibt, in der Gottes Wirken im Menschen denkbar ist, ohne dass dabei der Status des selbstständig handelnden Subjektes verloren geht. Kierkegaard argumentiert hierfür schöpfungstheologisch und über die Fähigkeit, Taten der Liebe zu vollbringen, sodass mir unser Anliegen an seine Position sehr anschlussfähig erscheint.

4.2 Gottes Zutrauen in die Liebesfähigkeit seines sündigen Ebenbildes

Wenn es im Folgenden um die Fähigkeit des Menschen Taten der Liebe zu vollbringen geht, dann spreche ich nicht mehr von einem lebensdienlichen Handeln. Es kann diskutiert werden, ob und inwiefern ein lebensdienliches Handeln, zumindest wenn es aus bestimmten Motiven erfolgt, als eine Tat der Liebe verstanden werden kann. M. E. ist das möglich, allerdings will ich die Frage an dieser Stelle nicht vertiefen.

Ich sehe den Vorteil des Liebesbegriffs zum einen in der Anschlussfähigkeit an biblische Schriften und zum anderen in der Offenheit des Begriffs.

Zum ersten: Das Neue Testament wählt als bündelnde Maxime aller Gebote die Liebesgebote. Dadurch ist eine bemerkenswerte Anschlussfähigkeit und ein hoher Wiedererkennungswert christlicher Kommunikation gegeben. Wird zudem die Rede von einem Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen mit der Ebenbildlichkeit verknüpft, dann kann eine intertextuelle Pointe daraus gemacht werden, dass in den johanneischen Schriften Gott als Liebe gedacht wird. Ebenbildlichkeit auch über Liebesfähigkeit zu denken, wäre dann ein Abglanz dieses Seins Gottes. Der Unterschied zwischen Eigenschaft und Fähigkeit ließe sich dann (auch) so verstehen, dass hierdurch der Abstand zu Gott und das Sündenmoment eingezeichnet werden, insofern Fähigkeiten in jedem Moment ihrer Realisierung auch scheitern können.

Zum zweiten: Liebe kann sich biblisch-wirkungsgeschichtlich auf eine Handlung, bzw. eine Praxis, eine Haltung, ein Gefühl und eine Pflicht (zur Ausbildung einer Haltung oder eines Gefühls) beziehen – und auf all das zusammen gleichzeitig. Was sonst als Schwäche des Liebesbegriffs gesehen wird,63 ist hier gerade seine Stärke. Die Rede von einem „lebensdienlichen Handeln“ dagegen beschränkt sich auf eben jenes Handeln und nimmt die anderen Dimensionen nicht notwendig mit in den Blick. Die Rede von einem lebensdienlichen Handeln birgt zudem die Gefahr, dass in Vergessenheit geraten könnte, dass Vieles, was wir tun können, um uns lebensdienlich zu verhalten, gerade darin besteht, nicht zu handeln, sondern Dinge zu vermeiden oder und zu lassen.64

Ich komme nun dazu, wie sich Gottes Zutrauen in die Liebesfähigkeit seines sündigen Ebenbildes mit sowohl pietistisch als auch reformatorisch geprägten Kierkegaard schöpfungstheologisch begründen lässt. Hierzu beziehe ich mich auf seine Schrift Der Liebe Tun, die 1847 in Kopenhagen publiziert wurde. Es handelt sich bei dem Text laut Untertitel genauer um Etliche christliche Erwägungen in Form von Reden und diese Form erschwert einen Zugriff in systematisierender Absicht erheblich.65 Ich beziehe mich daher im Folgenden nach Möglichkeit nur auf die erste Rede, Das verborgene Leben der Liebe und dessen Kenntlichkeit an den Früchten, und gehe auf viele Themen nicht ein, selbst wenn sie das Verständnis einzelner Elemente weiter schärfen würden.

Die erste Rede widmet sich generell der Liebe und erklärt, inwiefern das Bedürfnis, sich in Taten auszudrücken und an ihren Taten erkannt werden kann, Teil ihres Wesens ist.

Kierkegaard hält fest, dass das Leben der Liebe aus dem Innersten eines Menschen, von seinem Herzen ausgehe.66 Er präzisiert, dass die Liebe nicht nur im Innersten wohne, sondern auch „in einem unergründlichen Zusammenhang mit dem ganzen Dasein“67 stehe, genauer: „eines Menschen Liebe [hat] ihren Grund [...] in der Liebe Gottes.“68

Für dieses im Innersten des Menschen verborgene Leben der Liebe gilt des Weiteren, dass es „in sich selbst Bewegung [ist], und [...] die Ewigkeit in sich [hat].“69 Es ist dieses Element der Ewigkeit, dass auf den Grund der Liebe in Gott verweist. Kierkegaard unterscheidet zwischen Liebe, der dieses Element fehlt und die er daher mal „heidnisch“, mal „natürlich“ nennt, und der Liebe, die Ewigkeit in sich trage und daher christliche Liebe sei. Das ist nicht zwangsweise so zu verstehen, dass nur Christ*innen zu dieser Art Liebe fähig wären. Dem mono-konfessionell geprägten Kierkegaard, der sein heimatliches Kopenhagen nur zu Studienzeit mal Richtung Berlin verlassen hat, stellt sich das Problem eines religiösen Pluralismus nicht. Vielmehr meint er, dass es eine Form der Liebe gebe, die besonders qualifiziert sei und die aus einer bestimmten Ergriffenheit im Menschen wachsen könne.

Der Liebe wohne „[...] ein Bedürfnis inne, an den Früchten erkannt zu werden.“70 Für Kierkegaard ist dabei wichtig zu betonen, dass die Liebe dafür noch keinen Gegenstand braucht. Liebe ist hier also nicht nur ein Beziehungsbegriff, sondern ein Mensch kann Liebe in sich haben, ohne dass dafür ein bestimmtes Gegenüber gegeben sein muss. Es sei gerade die Pointe der christlichen Liebe, dass alle Menschen einem zum/zur Nächsten werden können 71und daher jede*r Gegenstand der Liebe sein könne. M. E. erschließt sich das, wenn Liebe als eine Fähigkeit verstanden wird, die realisiert werden will.

Kierkegaard stellt sich u.a. in die johanneische Tradition und hebt hervor, dass Gott Liebe ist. Ebenso versteht er der Liebe Tun nicht nur als ein Tun des Menschen in bzw. durch Liebe, sondern auch als ein Tun derjenigen Liebe (Gottes), die im Menschen wirkt. Es ist mithin nicht das Leben der Liebe des Menschen, das im Innerstes desselben Menschen wohnt, sondern diese Liebe als Frucht der Liebe Gottes. Gottes Liebe als nach Außen drängende und als Bewegung ist Urheberin der Liebe im Menschen. Es ist mithin bereits der Liebe (Gottes) Tun, wenn Liebe im Menschen ist und danach drängt, sich auszudrücken.

Es ist von hier aus naheliegend zu vermuten, dass auch Kierkegaard zwischen göttlicher und menschlicher Liebe so unterscheidet, dass wirkliche Nächstenliebe letztendlich nur göttliches Wirken im Menschen sei und der Mensch hier lediglich als Werkzeug Gottes fungiere.72 Aber Kierkegaard verwendet keine Werkzeugmetapher, sondern bemüht immer wieder das Gleichnis vom Baum und der Frucht und denkt die Liebe in ihrer Bewegtheit und ihrem Ausdruck in botanisch-organischer Form. Erster Ausdruck der Liebe Gottes ist seine Schöpfung. Der Mensch ist damit nicht nur Ebenbild Gottes, sondern auch Frucht seiner Liebe. Die Fähigkeit zur Liebe erklärt Kierkegaard nicht nur damit, dass Gottes Liebe im Menschen sei, sondern damit, dass diese göttliche Liebe im Menschen Herz bilden müsse. In der Folge sei man in der Lage, „die eigene Frucht der Liebe“ zu bilden.73 Diese eigenen Früchte der Liebe lassen sich gewissermaßen als Ableger der Liebesfrüchte Gottes verstehen.

Zu sagen, dass die Fähigkeit zur Liebe im Menschen angelegt ist, ist mithin die schöpfungstheologische Verlängerung davon, dass Gott Liebe ist. Gleichzeitig begegnet damit eine vermittelte Form der Transzendenz in der Immanenz.

Schöpfungstheologisch argumentiert Kierkegaard auch, dass der Mensch nicht nur die Fähigkeit zur Liebe hat, sondern auch die Aufgabe zu lieben:

„Wie die frohe Botschaft des Christentums in der Lehre von des Menschen Verwandtschaft mit Gott enthalten ist, so ist seine Aufgabe die Gleichheit des Menschen mit Gott. Aber Gott ist Liebe, deshalb können wir Gott nur gleichen, indem wir lieben, wie wir auch, nach dem Wort eines Apostels, ‚Gottes Mitarbeiter‘ nur sein können, ‚in – Liebe‘.“74

Kierkegaard hebt hervor, dass ein Mensch nicht Christ*in ist, sondern es immer und immer wieder erst wird.75 Damit ist auch hier die Fähigkeit zum Gelingen oder Scheitern bleibend offengehalten. Dass Gott dem Menschen jedoch zutraut, seine Liebesfähigkeit immer wieder zu realisieren, kann durch den Herrschafts- und/oder Bewahrungsauftrag sowie durch die Liebesgebote begründet werden.

Zu lieben ist mithin eine Fähigkeit im Menschen, die sich stets in Taten (im weitesten Sinne verstanden) ausdrücken kann und soll. Der Mensch ist mithin zur Liebespraxis befähigt und aufgerufen. Das kann Liebe als Motiv in einer Klimatheologie stark machen. Als Praxis darf Liebe aber – ich folge hier noch ein Mal Jeanrond – nicht frei von kritischer und selbst-kritischer Reflexion sein. Diese Reflexion muss sich dabei auch eine gewisse Offenheit bewahren. Liebe kann weder auf eine bestimmte Doktrin festgelegt werden, noch kommt sie ohne vorgegebene Reflexionsformen aus. Jeanrond begründet das wie folgt:

„[I]f we treat love in terms of a given theory or doctrine that only needs to be applied to specific situations and encounters, we miss the dynamics of the actual encounter and risk subordinating the other (and the self) to preconceived notions, prejudices and ideologies. If we treat of love in terms of total spontaneity of encounter without benefiting from education, convention, guidance, wisdom and tradition we will not know how to appreciate love’s power to transform our lives and visions, and we will risk romanticizing, demonizing or idolizing any momentary sensation, encounter or experience.”76

Liebe kann, gerade im zwischenmenschlichen Bereich, Vieles sein und es ist eine Schwierigkeit, dass Liebe gegenwärtig vor allem auf den Bereich des Intim-Privaten begrenzt wird.77 Es braucht daher, um theologisch von Liebe zu sprechen, nähere Qualifizierungen. Hierüber möchte ich im folgenden Abschnitt auch die eschatologische Ausrichtung einbringen.

Ich halte für diesen Abschnitt zunächst fest:

  • Das Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen kann als Reinterpretation sowohl des Herrschafts- als auch des Bewahrungsauftrags verstanden werden und bezieht sich hier wie dort auf die exponierte Stellung des Menschen in der Schöpfung. Ebenso fungiert es als Reinterpretation der imago Dei, wobei der Mensch hier als sündiges Ebenbild Gottes in den Blick kommt und Zutrauen erfährt.

  • Damit eine Rede vom Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen Sinn macht, muss es sich auf einen Menschen beziehen, der tatsächlich auch Subjekt seiner Handlungen ist. In protestantischer Dogmatik ist das, v. a. wenn es um Taten der Liebe geht, nicht immer selbstverständlich.

  • Über die Baum-Frucht-eigene Frucht-Metapher bei Kierkegaard ist Gottes Wirken im Menschen denkbar ist, ohne dass dabei der Status des selbstständig handelnden Subjektes verloren geht.

  • Statt das Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen genauer als Zutrauen in seine lebensdienlichen Handlungsfähigkeiten zu spezifizieren, argumentiere ich dafür, von einem Zutrauen in die Liebesfähigkeit des Menschen zu sprechen.

5. Liebe als Präsenz Gottes in der Welt

Inwiefern die Transzendenz in der Immanenz denkbar ist, ergibt sich aus dem obigen: Im Tun der Liebe, aber auch in ihrem Erkennen handelt es sich letztlich um die mittelbare Präsenz der Liebe Gottes. Kierkegaard geht in seiner ersten Rede explizit auch auf das Erkennen der Liebe ein: Liebe sei, trotz ihrer Früchte, verborgen,78 insofern jede Liebestat erst als solche gedeutet werden müsse und ihr Erkennen daher bei dem/der Rezipient*in liegt.79 Es sei daher unerlässlich, an die Liebe (im anderen) zu glauben,80 also von ihrem Vorhandensein auszugehen und so das Handeln des*der anderen zu deuten.81

Kierkegaard kennt zwar bestimmte Kennzeichen der Liebe,82 diese sind aber eher als Aufgabe an den/die Liebende zu verstehen, weniger als Identifikationsmarker. Erkennbar werden die Früchte der Liebe immer erst durch den Glauben, der, das ist eine Pointe Kierkegaards, selbst immer auch Liebe ist:

„Denn das Leben der Liebe ist zwar kenntlich an den Früchten, die es offenbar machen, aber das Leben selbst ist doch mehr als die einzelne Frucht und mehr als alle Früchte zusammen [...]. Das letzte, das seligste, das unbedingt überzeugende Kennzeichen der Liebe bleibt deshalb: die Liebe selbst, die erkannt wird und wieder erkannt wird von der Liebe in einem andern.“83

Zugespitzt: „Gleiches wird nur von Gleichem erkannt; nur wer in der Liebe bleibt, kann die Liebe erkennen, ebenso wie seine Liebe zu erkennen ist.“84 Ausdruck der Liebe, also die Realisierung der Liebesfähigkeit, und Erkennen der Liebe sind mithin zwei Seiten derselben Medaille. In beidem findet sich auf die oben beschriebene Art die mittelbare Präsenz göttlicher Liebe und ist der Mensch als gleichzeitig als ganzer gefragt.85

Die eschatologische Ausrichtung kommt bei Kierkegaard über die Verbindung von Zeit und Ewigkeit in der von ihm sogenannten christlichen Liebe ins Spiel: Die christliche Liebe [...] gehöre zur Ewigkeit,86 verbinde aber auch Zeit und Ewigkeit miteinander.87 Pia Søltoft, die in ihren Werken Kierkegaards Einsichten für die Gegenwart fruchtbar machen will, deutet diese Verbindung so, dass Liebe, „das, was wir kennen, mit dem [verbindet], was wir nicht kennen; das Nahe mit dem Erhabenen; das Alltägliche mit dem Besonderen, das Flüchtige mit dem Bestehenden, das Zeitliche mit dem Ewigen“.88 Die Liebe sei „wie ein Schlitz in der Zeitlichkeit, ein Riss im Alltag, durch die die Ewigkeit, das Besondere und das Heilige durchscheint.“89 Wenn dem so ist, dann kann weiter spezifiziert werden, dass diese Besondere und Heilige in gerade denjenigen Liebeserfahrungen zum Ausdruck kommt, die ein Erleben von Versöhnung, Erlösung, Heil, Heilung, Heiligung und Gnade mit sich bringen. Dadurch werde diese Liebeserfahrungen in besonderer Weise qualifiziert und lassen sich von anderen Liebeserfahrungen unterscheiden. Die Art der Qualifizierung bringt die eschatologische Ausrichtung mit sich: Es sind diese Liebeserfahrungen, durch die das Reich Gottes in der Spannung von Schon-Jetzt und Noch-Nicht begegnet.

Für Kierkegaard drückt sich die Verbindung von Zeitlichkeit und Ewigkeit v. a. dadurch aus, dass christliche Liebe sei, bevor alles andere ist, und bleibe, auch wenn alles andere vergangen ist.90 Diese Aussage läuft m. E. aber Gefahr, Ewigkeit mit Unendlichkeit zu identifizieren, statt sie als eine bestimmte Qualität zu denken.

Der Slogan, die Schöpfung zu bewahren, oder die Reinterpretation des Herrschaftsauftrages sind dann in dieser Denklinie die Realisierung der Liebesfähigkeit des Menschen als Mitwirken am Kommen des Reiches Gottes. Zwar muss davor gewarnt werden, eine Erfahrung von Liebe mit einer Erfahrung Gottes pauschal gleichzusetzen; aber wenn wir die Transzendenz in der Immanenz denken wollen, dann ist es naheliegend, sie auch als erfahrbar zu denken. Die eschatologisch qualifizierten Liebeserfahrungen bieten hierzu m. E. eine Heuristik. Natürlich bleibt dabei die menschliche Deutung von (vermeintlichen) Erfahrungen der Liebe immer ambivalent und irrtumsanfällig. Gerade bei einem Begriff, der so positiv besetzt ist wie der der Liebe, ist das wichtig zu betonen.

Ich halte ein letztes Mal für einen Abschnitt fest:

  • Ausdruck der Liebe, also die Realisierung der Liebesfähigkeit, und Erkennen der Liebe sind zwei Seiten derselben Medaille und in beiden ist Gottes Liebe mittelbar präsent.

  • Die eschatologische Ausrichtung ergibt sich durch diejenigen Liebeserfahrungen, die ein Erleben von Versöhnung, Erlösung, Heil, Heilung, Heiligung und Gnade mit sich bringen. Es sind diese Liebeserfahrungen, durch die das Reich Gottes in der Spannung von Schon-Jetzt und Noch-Nicht begegnet.

6. Fazit und Weiterführungen

Der Beitrag hat eine Möglichkeit präsentiert, wie Gott und Mensch als Subjekte der Liebe gedacht werden können und dabei zusammenwirken, ohne dass das Göttliche das Menschliche überlagert. Durch die Liebe (als Praxis wie auch als Erfahrung, als Wirken wie auch als Wahrnehmen) kann Gott als in der Welt präsent gedacht werden. Die Praxis und Erfahrung der Liebe ist dabei nicht auf zwischenmenschliche Interaktionen beschränkt zu denken, sondern schließt auch nicht-menschliche Mitgeschöpfe in die Beziehungsnetze mit ein.

Die mittelbar gedachte Immanenz Gottes kann in denjenigen Liebeserfahrungen erkannt werden, die mit einem Erleben von Versöhnung, Erlösung, Heil, Heilung, Heiligung und Gnade in Verbindung stehen. Dadurch diese Qualifizierung ergibt sich auch die eschatologische Ausrichtung und begegnet das Reich Gottes in der Spannung von Schon-Jetzt und Noch-Nicht.

Dieser Beitrag hat einseitig die Fähigkeit des Menschen zur Liebe und die dadurch denkbare, mittelbar verstandene Immanenz der Transzendenz Gottes betrachtet. Es soll nicht gesagt werden, dass damit die einzige Möglichkeit, wie eine Klimatheologie Transzendenz und Immanenz zusammendenken kann, ausbuchstabiert worden wäre. Wichtig wären vor allem Überlegungen, die eine solche Möglichkeit auch über den Topos der Gerechtigkeit diskutieren, insofern Gerechtigkeit als theologisches Motiv ebenfalls stark und für den gegenwärtigen Zusammenhang mindestens genauso wichtig ist.91

Zusätzlich und vielleicht auch in Verbindung mit den Erwägungen zur Gerechtigkeit wäre noch der Modus der Liebe vertiefend zu erörtern. Dazu gehören Fragen wie die nach dem Verhältnis (und der situativen Priorisierung) von Nächsten-, Gottes- und Selbstliebe, oder auch nach den Merkmalen von toxischen Formen der Liebe(spraxis), die aus theologischer Sicht abgelehnt werden müssen.

Eine dritte und die vielleicht wichtigste Leerstelle ist, dass dieser Beitrag bisher sämtliche Erfahrungen von Gottesferne, Bösem, Üblen und Leid unthematisiert lässt. Diese Erfahrungen gilt es natürlich ebenso ernst zu nehmen und mit dem hier Vorgebrachten zu vermitteln; nicht so, dass das eine das andere aufhebt, sondern in dem Bewusstsein dafür, das im Diesseits beide Erfahrungen zwar in ungleichmäßiger Verteilung aber immer gemeinsam existieren.

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