Die Thesen bündeln Debatten aus dem ersten Workshop der Arbeitsgruppe „Theologie in der Klimakrise”, der am 30.-31.01.2023 an der FEST Heidelberg stattgefunden hat. Sie dokumentieren die Diskussionen aller und wurden von Frederike van Oorschot und Kinga Zeller verfasst.
Schöpfungstheologie zu „treiben” bedeutet, sich über das eigene Geschöpf-Sein bewusst zu sein, sich in der eigenen Geschöpflichkeit wahrzunehmen. Reflektieren Menschen dieses Geschöpf-Sein, wird seine Ambivalenz erkennbar: Als siegendes und besiegtes, als freudiges und trauriges, als hoffnungsvolles und klagendes Geschöpf. Im Fokus auf „Geschöpflichkeit“ wird erkennbar, dass der Mensch in wechselseitigen Abhängigkeiten relational eingebettet als ein Geschöpf neben anderen Geschöpfen steht.
Zentrales Thema ist die Frage nach Asymmetrien in der Geschöpflichkeit und dem Umgang damit.
Der Mensch muss sich gleichermaßen neu als Geschöpf unter Geschöpfen verstehen und doch seine besondere moralische Verantwortung reflektieren. Der Mensch hat insofern eine Sonderrolle als nur der Mensch unmenschlich werden kann.
Von inter-geschöpflichen Asymmetrien zu unterscheiden sind Asymmetrien der Menschen untereinander (adressiert etwa unter der Frage nach environmental justice, vgl. These 16).
Asymmetrien sollten nicht unter paternalistischem Verdacht stehen, sondern auch von der Reflexion auf Herrschaftskonzepte abgetrennt bedacht werden. (vgl. Workshop 5)
Ethisch bricht an der Reflexion der Klimakrise die Frage nach dem ontologischen und erkenntnistheoretischen Status des Menschen neu auf: Wie müssen Grundlagen der Erkenntnistheorie und Ontologie neu verhandelt werden, damit wir das Phänomen der Klimakrise überhaupt theologisch angemessen reflektieren und bearbeiten können (vgl. Workshop 2)? Zu fragen ist im Anschluss, welche ethischen Modelle hier tragfähig sind (vgl. Workshop 5).
Deutlich wird: Klimakrise und die Frage der Mensch-Tier-Beziehung hängen zusammen – dennoch ist weiter zu differenzieren, inwieweit bspw. Umweltethik und Tierethik grundverschiedene Frageperspektiven sind und verschiedene theoretische Anliegen haben. Erkennbar ist ein anthropologischer Fokus in den Debatten um die Schöpfungslehre.
Schöpfung und Natur sind Deutungsbegriffe. Ein umfangslogischer Naturbegriff ist für die Diskussion der AG nicht weiterführend. Stattdessen ist zu klären, was jeweils bedeutungslogisch unter Natur verstanden wird und was die relevanten Gegenpole (Plural!) sind. Auch eine kritische Selbstreflexion der impliziten Naturbegriffe ist notwendig.
Zur Klärung des „Besonderen“, das die Welt ausmacht, kann nicht auf den Naturbegriff verwiesen werden. Hier muss die Theologie etwas Eigenes beitragen:
Es braucht eine Re-Visionierung der christlichen Rede von Schöpfung, die den Menschen nicht einfach in das Zentrum der Schöpfung stellt, sondern Schöpfung als relationalen, offenen Raum versteht, in dem sich Geschöpfe begegnen.
Schöpfung ist der Raum, in den der Mensch gestellt ist. Sie ist ein Beziehungsraum und verweist auf etwas Drittes: Gott als Schöpfer begründet dogmatisch die Rede von der Schöpfung.
Schöpfung ist die eschatische Vision eines versöhnten Lebens der Geschöpfe miteinander und mit Gott. Dabei ist die erste Schöpfung die eigentliche neue Schöpfung, sie ist ein prophetisches Unterfangen. Ethisch ergibt sich daraus die Frage: Was ist die Verantwortung des Menschen in einer Welt Diesseits des Eschaton?
Die Rede von der „Bewahrung der Schöpfung“ ist (unter anderem) in Gleichsetzung mit „Erhaltung der Natur“ problematisch, weil a) von Natur gerade nicht im Sinne eines organizistischen Gebildes gesprochen werden kann, b) mit „Natur” ein vieldeutiger Begriff vorliegt, dessen Dimensionen ständig ineinander laufen, c) keine physiozentrische Begründung der Erhaltung/Bewahrung möglich ist, sondern nur eine anthroporelationale, die die Verantwortung für Menschen ins Zentrum stellt. Daher ist eine sprachliche Alternative notwendig: Weiter erwogen werden sollen die Formulierungen „Bewahrung des Resonanzraums der Liebe Gottes“ oder, säkular und anthroporelational, „Bewahrung unserer Lebensgrundlagen“.
Dogmatische und ethische Perspektive hängen in diesem Themenfeld eng zusammen – und auch wenn sie zusammengehören, ist zu fragen, an welchen Stellen wie analytisch getrennt werden kann und muss (und mit welchem Mehrwert) und wo normative Einschreibungen deutlich werden.
Die gesellschaftliche Debatte um die Klimakrise und ihre Bearbeitung zeigt: Es geht nicht nur um „Fakten”, sondern es geht immer auch um die narrative Konfiguration. In einem weiteren Kontext gilt es daher zu klären: Wie funktionieren Erzählungen/Narrative, durch die die gemeinsame Welt als Welt im Untergang wahrgenommen wird? In welchem Verhältnis stehen die „Fakten“ zu diesen Narrativen – und wie sind die Fakten selbst narrativ kommuniziert?
Mit dem Rekurs auf die narrative Konfiguration der Debatte ist zum einen die Frage nach dem Gegenstand der Reflexion aufgeworfen. Theologische Bezüge auf die Schöpfung angesichts der Klimakrise müssen klären, welchen Status und welche Funktion die Rede von der Schöpfung, vom Menschen oder von Gott hat und welches Ziel sie verfolgen (vgl. Abschnitt 2). Zum anderen stellt der Rekurs auf die narrative Konfiguration der Debatte die Frage des Verhältnisses von Reflexion und ethischer, bzw. kirchlicher Praxis, der Bedeutung von Narrativen in diesen Kontexten (vgl. Workshop 5) und einer prophetischen Aufgabe von Theologien und Kirchenn.
Der Inkarnationsgedanke bietet einen Aspekt der theologischen Beschreibung der Welt in ihrem Verhältnis zu Gott. Inkarnation hat immer auch eine soteriologische Pointe und eschatologische Dimension. Diese auszubuchstabieren kann verschiedene Dimensionen der Schöpfung (auch in Richtung Storytelling) verbinden (vgl. Workshop 3).
Neue Inkarnationsmodelle (z.B. deep incarnation, N. Gregersen) stellen neu die Frage nach dem Verhältnis von Gott und Welt – etwa im Anschluss an Debatten um den Panentheismus.
Die Perspektivierung „der” Theologie(n) im Licht der Klimakrise ist eine Form kontextsensitiver gegenwartsbezogener Theologie.
Damit wirft sie eine Reihe bekannter Fragen kontextsensitiver Theologien neu auf:
Die Debatte um eine „Theologie in der Klimakrise” stellt die Frage nach dem Ort und der Aufgabe von Kirche(n) in der Gesellschaft neu: Welche Verhältnisbestimmung zu den beschriebenen Problemen und ihrer gesellschaftlichen Bearbeitung liegt zugrunde (Spiegelbild der Gesellschaft, Debattenplattform, Anwalt der Ausgegrenzten o.a.)? Verlangt eine theologische Reflexion der Klimakrise nach einer neuen Beschreibung der Kirche i.S.v. Öko-Ekklesiologien?
Auch Fragen der Schrifthermeneutik brechen unter dieser Überschrift neu auf: Perspektivität und Positionierungen müssen in Relektüren von biblischen Texten eingetragen werden: Das bedeutet auch eine grundsätzliche Kanonkritik unter gesamtöko-systemischen Vorzeichen, die verschiedene Zeit-Raum-Vorstellungen und Mehrperspektivitäten in Narrativen und Lesarten zulässt.
Die Fragestellung hat zudem eine selbstkritische und relativierende Perspektive: Die AG darf in ihren Diskussionen/Publikationen auch nicht ausblenden, dass sie aus einer privilegierten Situation heraus spricht, als ein Zusammenschluss Weißer und europäischer Personen: Wie nehmen wir andere Sichtweisen mit auf? Wie gehen wir auf die Machtfrage innerhalb der menschlichen Gemeinschaft ein und inwiefern prägt sie unsere Sicht auf die Welt/Natur/Schöpfung?