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Diskussionsthesen: Mensch und Welt

Die Thesen bündeln Debatten aus dem zweiten Workshop der Arbeitsgruppe „Theologie in der Klimakrise”. Sie dokumentieren die Diskussionen aller und wurden von Frederike van Oorschot und Kinga Zeller verfasst.

Published onMar 12, 2024
Diskussionsthesen: Mensch und Welt
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Schöpfung als Bewältigungs- und Deutungskategorie

1 Die Rede von Schöpfung hat im Alten Testament nicht den Status eines eigenen Locus, sondern denjenigen eines Arguments, das zur Weltdeutung und -bewältigung herangezogen wird.

1.1. Schöpfungskonzeptionen haben daher das Anliegen, den Menschen in der Welt zu verorten und sein Verhältnis zu Gott, zu seinen menschlichen wie nicht-menschlichen Mitgeschöpfen sowie zu der ihn umgebenden Welt zu klären.

1.2. Ebenso wird in Schöpfungsgeschichten das Verhältnis von Gott zu den Göttern, von Gott zu den Menschen oder von Gott und Welt beschrieben.

1.3. Das Deutungspotenzial aller hier getroffenen Bestimmungen muss im Horizont gegenwärtiger Kosmologien erschlossen werden.

2. Den Deutungen der biblischen Schöpfungserzählungen kann hierzu entnommen werden, dass

2.1.   der Mensch sich nicht substantiell vom Tier unterscheidet. Beide sind sie aus Ackerboden gemacht.

2.2.   der gleiche Urstoff die Tiere zu Mitgeschöpfen macht, aber nicht zum Gegenüber des Menschen. Die Tiere bedürfen vielmehr der Anerkennung durch den Menschen: Die Namensgebung ermöglicht die Identifizierung, wobei die Benamung einen Herrschaftsakt darstellt und die Benennung die Zuordnung zur Fauna ändert.

2.3.   der Herrschaftsauftrag in Gen 1 durch den Segen sowie durch die Speiseordnung relativiert wird. Idealiter ist die Herrschaft des Menschen nicht als die Schreckens­herrschaft gedacht, als die die Verfasser der Texte sie nachsintflutlich wahrnehmen.

2.4.   die Bewahrung der Schöpfung Aufgabe Gottes ist und aus alttestamentlicher Perspektive darin besteht, die Welt vor den Chaosmächten zu bewahren. Die Formel von der Bewahrung der Schöpfung ist daher eine theo-zentrische Aussage.

3.       Das alttestamtliche Naturverständnis ist nicht auf das gegenwärtige Naturverständnis im globalen Norden übertragbar: Wo die den Menschen umgebende Natur früher als Bedrohung wahrgenommen wurde, ist heute eher der im kapitalistischen System lebende und wirkende Mensch als Bedrohung zu verstehen. Entsprechend ist das Anliegen der biblischen Texte zur Schöpfung nicht deren Bewahrung, sondern Bewältigung.

 

Bewahrung der Schöpfung

4.       Aus diesem biblischen Befund folgt für die Rede von der Bewahrung der Schöpfung, dass diese nicht auf den Menschen übertragen werden kann: Da Bewahrung der Schöpfung (im Sinne der preservatio statt conversatio) Aufgabe Gottes ist, wäre es Ausdruck menschlicher Hybris, die Menschheit oder eine Gruppe von Menschen als Bewahrer*innen zu porträtieren. Diese Hybris bleibt bestehen, wenn von Verantwortung statt von Bewahrung gesprochen wird. Gleichwohl haben Menschen natürlich eine Verantwortung gegenüber der Welt.

5.       Bewahrung der Schöpfung kann nicht von einer Integrität der Schöpfung, die es zu bewahren gilt, ausgehen. Dies ist entscheidend, um die Rede von der Neuschöpfung zu verstehen. Vielmehr ist die bewahrte Welt immer eine durch Chaos bedrohte Welt.

6.       Als Heuristik ex negativo kann die Rede von der „Bewahrung“ in der Wahl möglicher Technologien im Bio- und Geo-Engineering dienen, wenn diese daraufhin befragt werden, ob sie den Menschen in eine „Bewahrerrolle“ bringen. Anders formuliert: Welche Technologien, die globale Auswirkungen haben, erfordern vom Menschen über einen nicht überschaubaren Zeitraum aufrecht erhalten zu werden, damit die Welt bewohnbar bleibt? Auf diese Technologien sollte verzichtet werden (vgl. Mensch als Homo faber).

7.       Insgesamt sind der Topos der Schöpfung und vor allem die Rede von einer Bewahrung der Schöpfung nur bedingt weiterführend, insofern sie zwar Auskunft über die Relationalität des Menschen und die Beschränkung des menschlichen Aufgabenbereichs geben, die darin implizierten Fragen nach Macht und Verantwortung sich im gegenwärtigen Kontext deutschsprachiger Systematischer Theologie aber grundsätzlich anders stellen.

8.       Wenn Fragen der Umweltethik biblisch rückgebunden behandelt werden, bietet sich weniger ein Bezug auf Schöpfungstheologie, insbesondere die Rede von der Bewahrung der Schöpfung, an, sondern eher ein Bezug auf Gerechtigkeitsvorstellungen (vgl. Workshop 4).

 

Mensch und Mensch

9.       Das Sein des Menschen ist immer im Werden und abhängig von anderen menschlichen und nicht menschlichen Wesen. Der Mensch ist folglich ein Beziehungswesen. In Bezug auf eine Theologie in der Klimakrise bedeutet das, dass

9.1.   wenn andere konstitutiv zum Menschen dazugehören, nicht mehr begründet werden muss, wer zum jeweiligen Menschen und dessen Werden gehört, sondern wer nicht.

9.2.   Menschen genauer von-einander aber auch für-einander Werdende sind.

9.3.   die menschliche Relationalität auch mit Blick auf nicht-menschliche Mitgeschöpfe ernst genommen wird. Nicht mehr die Differenz zu anderen Spezies steht im Vordergrund, sondern der Mensch in Verbindung mit und in zu erstrebender Solidarität zu anderem Leben.

10.   Gerade mit Blick auf ein Sein und Handeln in der Klimakrise ist vor pauschalisierenden Aussagen zum Menschen zu warnen und muss eine kontextsensible Theologie ihre Aussagen auf die Gültigkeit impliziter Universalitätsansprüche stets hinterfragen.

10.1.  Auch die Verortung unserer Arbeitsgruppe im deutschsprachigen systematisch-theologischen Kontext bedarf einer kontinuierlichen Reflexion zu Begrenztheit und Potential ihrer Arbeitsweise und Ergebnisse.

10.2. Betroffenheit, Vulnerabilität und Subalternität als Leitthemen in der Konzeptionalisierung von Mitgeschöpflichkeit sind intersektional – als Schnittstelle von Konstruktionen zu Geschlecht, Gesellschaftsschicht und Race-Positionierung – mit theologischen Themen zusammenzudenken.

11.   Der Mensch wirkt zwar in der Welt, allerdings kann dieses Wirken nicht per se als ein „Mitwirken an der Schöpfung“ verstanden werden, insofern darunter ein biodivers gedachtes lebensdienliches Handeln verstanden wird. Vielmehr muss festgehalten werden, dass die Mehrheit der Menschen des globalen Nordens oftmals gerade gegen die Schöpfung wirkt. Ihr Verhalten und ihr Beitrag zur Klimakrise lässt sich so hamartiologisch deuten (vgl. Workshop 3).

12.   Ethisch ist angeraten, das Ethos der Geschöpflichkeit im Rahmen des Christentums selbst als offen auf andere Ethé hin zu konfigurieren. Es ist nicht ein Ethos, sondern es sind mehrere Ethen, die sich je nach konfessioneller und kultureller Gestalt des Christentums unterscheiden. Diese christlichen Ethé der Geschöpflichkeit werden plural mit anderen Ethen anderer Orientierungen kommunizieren müssen – unter programmatischem Verzicht der Konstruktion von Einheitsethen von Anfang an.

 

Der Mensch als homo faber und seine Hybris

13.   Der Mensch ist ohne Technik nicht zu denken, da sein Weltbezug ein technisch vermittelter ist.

14.   Erkennbar wird in den Debatten eine Grundspannung: Auf der einen Seite kommen Menschen aus der Techniklogik i.S.d. Verfügbarmachung der Welt nicht raus (Leitbild: Homo Faber). Auf der anderen Seite wird – gerade in der Theologie – die Tatsache der Aneignung der Welt durch Technik grundsätzlich zum Problem gemacht und die Depotenzierung des Menschen angestrebt (Leitbild: Hybris des Menschen). Hier werden grundlegende Spannungen im Menschenbild, sowie in der Verhältnisbestimmung von Mensch, Welt und Gott erkennbar. (vgl. Workshop 3)

15.   Eine Ethik des Lassens ist nicht automatisch besser als eine Ethik des Machens.

16.   Der Begriff des „Menschen“ ist zwischen aktiv und passiv zu bestimmen. Entscheidend ist die Frage, wo der Ausschlag hin geht: Wann und wo ist der Mensch als verantwortlich Handelnder zu verorten?

 

Als Fragen für die kommenden Workshops haben sich ergeben:

  • Wie können wir das Eingehen Gottes in die volle Materialität der Welt weiterentwickeln im Blick auf die Widerständigkeit der Welt? Gibt es eine Möglichkeit, dieses Eingehen so zu denken, dass Gott darin zum einen nicht aufgeht und zum anderen die Widrigkeiten nicht per se legitimiert und bejaht werden?

  • Das Konzept der „Deep incarnation“ will ausdrücken, dass Gott in der Welt ist, aber nicht alles gut findet – Gott ist „seufzend“ in der Welt. Möglicherweise fehlen hier Begriffe aus der Dämonologie zur Explikation dieses Verhältnisses.

  • In “Jesus of the Deep Forest” (Afua Kuma), als Beispiel einer afrikanischen Theologie, die Gott in der Welt denkt, steht der Jesus-Name im Kontext von Naturbezeichnungen (Spinnennetz, Feld, Wald, Elefantenjäger etc). Jesus ist herausgehoben in diesem Ökosystem, aber fest darin eingebettet.

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