
Frau Springhart, was machen Sie dieses Jahr an Gründonnerstag?
Ich persönlich werde am Abend eine Kerze ins Fenster stellen, die Johannes-Passion hören und mir tagsüber Zeit für einen Spaziergang im Wald nehmen. Vielleicht schreibe ich auch ganz bewusst ein paar Briefe an Menschen, denen ich schon lange schreiben wollte und deren Gemeinschaft ich momentan vermisse.
Ostern im Zeichen der Corona-Krise – was bedeutet das theologisch?
Theologisch erst mal nicht viel anderes als jenseits von Corona: einen Vorgeschmack auf das Leben, das allem Tod und Leiden trotzt und siegt und sich Bahn bricht. Die Verwandlung der Wunden des Lebens in das Wunder des Überlebens. In diesem Jahr aber vielleicht dann doch besonders die Aussicht darauf, dass das, was die Glaubenden verbindet auch dann Wirklichkeit ist, wenn es nicht zu sehen und leiblich zu spüren ist. So wie der unerkannte Jesus auf dem Weg mit den Jüngern nach Emmaus.
Wie geht parochiale Kirche ohne Kontakt und Versammlung?
Kirche ohne Kontakt geht nicht, aber die Wege der Kontaktaufnahme sind andere. Ich rufe Menschen gezielt an und frage, wie es ihnen geht. Wir schaffen Möglichkeiten, sich verbunden zu fühlen dadurch, dass wir ganz analog in alle Haushalte Anregungen für Hausgottesdienste und Liturgien für Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern schicken. Wir haben die Kirche täglich geöffnet und Menschen können sich und anderen Trostworte mitnehmen. Die Kinder des Kindergartens malen Bilder, die an den Zaun gehängt werden. Und natürlich gibt es auch die digitalen Wege über die sozialen Netzwerke und das Internet. Auch sonst versammeln sich ja längst nicht alle, die zur Gemeinde gehören – den Blick hier auch wieder zu weiten, das halte ich für eine der großen Chancen dieser Situation.
Wie können Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren Gemeinden den Gründonnerstag gestalten?
Gründonnerstag ist der Tag, an dem für viele das Abendmahl als Gedächtnismahl und auch als Gemeinschaftsmahl von besonderer Bedeutung ist. Hier halte ich es für wichtig, dazu zu ermutigen, dass Abendmahlsfeiern auch im kleinsten Kreis zu Hause stattfinden können. Gerade an Gründonnerstag lässt sich die Verbindung zum Sederabend besonders deutlich ziehen. Diejenigen, die gern Abendmahl feiern wollen, sollen das ohne schlechtes Gewissen, unterstützt mit Gestaltungsanregungen feiern können. Vorstellbar wäre auch eine lange Tafel mit weißem Tischtuch auf dem Kirchplatz – die aber gerade leer bleiben muss. Und natürlich läuten um 19.00 Uhr die Glocken.
Wie können Christ_innen zu Hause / in Isolation / ohne physische Gemeinde den Gründonnerstag verbringen?
Ehrlicherweise wird man sagen müssen, dass das ja auch in Nicht-Corona-Zeiten die übliche Situation ist, dass Christ*innen den Gründonnerstag nicht in Scharen in der Gottesdienstgemeinde verbringen. Da der Gründonnerstag den Fokus in besonderer Weise auf die leiblich und sinnlich erfahrbare Gemeinschaft lenkt, halte ich diesen Tag in diesem Jahr für eine besondere Herausforderung für die Alleinlebenden. Eine häusliche Abendmahlsfeier ohne mindestens eine andere Person wird schwierig, weil der Zuspruch fehlt. Hier könnte es hilfreich sein, sich derer zu vergewissern, die das eigene Leben prägen: weil sie es reich machen, weil es mit ihnen eine besonders schmerzliche Geschichte gibt, weil gar Unversöhnliches im Raum steht. Und dann: schreiben, vor Gott im Gebet bringen ...
Was lehrt uns die Corona-Situation hinsichtlich der Infragestellung des Sonntags-/Festgottesdienstes als besonderes Zentrum der Gemeinde?
Zunächst lehrt sie uns, wie wichtig das gemeinschaftliche Feiern, das sinnlich erfahrbare Teilen von Brot und Wein, die spürbaren Berührungen bei Segnungen, aber auch die Umarmung oder das Händereichen und die Gemeinschaft insgesamt sind. Auch die befreiende und aufbauende Kraft des Singens lässt sich besser in Gemeinschaft erleben und die Kraft des Betens mit geliehenen Worten auch. Für diejenigen, die im sonntäglichen Gottesdienst ihren Glauben feiern, ist das gerade alles ein schmerzlicher Verlust.
Zugleich macht es aber auch nochmal in besonderer Weise deutlich: es reicht nicht, nur die Gottesdienstgemeinde im Blick zu haben. Wenn ich Gemeinde denke, dann muss ich auch an die denken, die ich nur punktuell sehe. Passagere Formen (wie offene Kirche, Trostworte zum Mitnehmen und interaktives Schreiben mit Straßenkreiden vor der Kirche) sind nochmal für andere Menschen zugänglich, jedenfalls in der Krise.
Es wird aber auch deutlich, dass die Verlässlichkeit des sonntäglichen Gottesdienstes, die nicht im selben Maß auf die punktuelle Information und Werbung angewiesen ist wie andere Veranstaltungen, eine besondere Stärke ist. Ihn offen und niedrigschwellig zu halten, die Türen und Herzen offen und die liturgische Gestaltung so, dass es für alle nachvollziehbar ist, das scheint mir besonders wichtig. Der sonntägliche Gottesdienst bleibt ein wesentlicher und integrativer Bezugspunkt jenseits aller Segmentierung in Filterblasen, Zielgruppen etc. Zugleich ist er auf die konkrete leibliche Gemeinschaft angewiesen und nicht durch digitale Formen zu ersetzen. Allerdings können und müssen diese auch jenseits von Corona auf anderen Kanälen und in anderen Formaten die frohe Botschaft zum Klingen bringen.
PD Dr. Heike Springhart ist Pfarrerin in der Evangelischen Johannesgemeinde Pforzheim und Privatdozentin für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg