Das eschaton rückt uns neuerdings wieder mächtig auf die Pelle. Nachdem es im 20. Jahrhundert halbwegs sicher in der Eschatologie untergebracht war – eine Art betreutes Wohnen für heilsgeschichtliche Überraschungsgäste –, meldet es sich nun im irritierenden Gewand der Apokalypse als theologischer Partycrasher zurück. Allerdings hat sich an der schon vor über einem halben Jahrhundert diagnostizierten Ratlosigkeit angesichts dieser disruptiven Weltablehnung hierzulande nicht viel geändert.1 Das liegt gewiss auch an der religiösen Hintergrundstrahlung in den etablierten Landeskirchen, die in ihrer obrigkeitsgestützten Unaufgeregtheit vermutlich eher dem Adjektiv „lau“ des Johannes von Patmos entsprechen würden. Ganz anders sieht das etwa in den USA aus. Hier gehört die apokalyptisch gestimmte Naherwartung geradezu zum guten Ton.2 Der sogenannte prämillenaristische Dispensationalismus (wahlweise auch dispensationalistischer Prämillenarismus), der sich im frühen 19. Jahrhundert in England herausbildete, rekrutiert seine Anhängerschaft quer durch die ohnehin schon recht bunte Konfessionslandschaft.3 Die neunziger Jahre haben eine Fülle von Literatur zur Apokalyptik hervorgebracht von wildgewordenen Traktätchen bis zu soliden dreibändigen historisch-kritischen Kommentaren zur Offenbarung des Johannes.4 Das Thema beschäftigte aber auch die systematische Theologie, insbesondere in ihrer feministischen Prägung.5
Eine lange Tradition dagegen hat auch in Deutschland das kulturelle Interesse an Weltuntergangsphantasien, angefangen mit Wagners „Götterdämmerung“, über Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ und Brecht/Weill’s „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ bis zur dystopischen Literatur der Nachkriegszeit (Arno Schmidts „Schwarze Spiegel“) und dann zu den Hollywood-Blockbustern der letzten Jahrhundertwende. Man bezeichnet in der Literaturwissenschaft dieses ebenso intensive wie nahezu folgenlose Interesse auch als „kupierte Apokalypse“,6 weil ihr eine entscheidende Dimension fehlt, nämlich die für die jüdische wie für die christliche Apokalyptik schlechthin entscheidende Heilsgewissheit des „kleinen Restes“, der den drangvollen Stürmen der Gegenwart standhält und sich dafür mit grandiosen Aussichten auf die Erlösung in der Zukunft tröstet. Diese Dimension wurde dafür um so massenwirksamer in der evangelikalen Populärliteratur von Hal Lindsey, Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins aufgegriffen.
Die beunruhigende Präsenz der Endzeit hat in der Gegenwart allerdings weniger kulturelle oder religiöse, als vielmehr handfeste naturwissenschaftliche Hintergründe. Das vieldiskutierte Anthropozän wird allmählich zu einem master narrative, wie es die Postmoderne in ihrem sympathischen Faible für das Unübersichtliche längst abgeschrieben hatte.7 Wie schon in den langgestreckten Erzählbögen der prophetischen Schriften in der Hebräischen Bibel haben wir diese nunmehr planetare Unheilsgeschichte als Menschheit selbst zu verantworten, ohne das wir jedoch über Richtung und Art der nötigen Umkehr Einigkeit erzielen könnten. Inwiefern es also begründeten Anlass zur Hoffnung gibt und ob man eine hilfreiche Hoffnung von illusionärem Optimismus unterscheiden kann und muss, ist eine ebenso naheliegende wie komplexe Frage, zu der dann auch wieder die Theologie einiges zu sagen haben sollte.
In den folgenden Überlegungen will ich zu beiden Aspekten etwas beitragen, mit Rückgriff auf Diskussionen, die seit langem geführt werden, ohne dass sie in der hiesigen akademischen Theologie schon auf nennenswerte Resonanz gestoßen wären. Der erste Teil stellt den systematisch hochinteressanten Versuch Catherine Kellers vor, mit dem Konzept einer Konter-Apokalypse die bildkräftigen Traditionsströme religiöser Endzeitfantasien in planetare Gestaltungskräfte umzuwandeln. Der zweite Teil befaßt sich mit neueren Diskussionen zur Hoffnung in der Klimakrise, die sich vor allem dem Konzept einer „geerdeten Hoffnung“ widmen und in diesem Sinne eine dem Anthropozän gewachsenene Theologie mitgestalten.
Die Apokalyptik ist in mancher Hinsicht der rote Faden durch das vielfältige Werk Catherine Kellers.8 Nach ihren feministisch-theologischen Anfängen widmet sich Keller seit den späten 80er Jahren dem Thema Apokalypse. „Apocalypse Now and Then“ (1996) ist das erste größere Werk zu diesem Komplex, es schließt die erste Phase, die von vielen Aufsätzen zum Thema geprägt ist, ab und setzt sich dann mit der Wiederveröffentlichung (2005) und dem begleitenden Aufsatzband „God und Power“ (GP) fort. Die nächsten monographischen Schritte sind dann „Political Theology of the Earth“ (2018) und schließlich „Facing Apocalypse“ (2021).9 Es findet eine zunehmende Ausweitung auf die politische Theologie statt und es wird auch ein stärkerer Akzent auf die Ökologie gelegt (Climate Change, Anthropocene). In einem biographischen Rückblick aus dem Jahr 2005 heißt es:
„I have long been tracking the politics of apocalypse. When in the 1980s I took in the symbiose of President Reagan, with his finger on the nuclear button, and the religious right, with its Hal Lindsey-hailed end of the world by imminent thermonuclear exchange, I was chilled not by any biblical predictions of doom but by the new power to make them come true. The literal belief in the Armageddon scenario could no longer be confined to a cultural margin. Was it functioning as a self-fulfilling prophecy? I felt that oldstream Christians had better stop ignoring John’s Apocalypse. Where I had gone to seminary, we hat never studied that text. But it wasn’t going away!“ (GP VIII) – „I didn’t grow up with that sort of Christianity. It cost me considerable effort to understand its passion without merely demonizing it in reverse … Gradually I came to recognize its pattern pervading even the politics that shaped me, such as the women’s movement of the 1970s and 80s. I began to encourage my students, many of whom seek ordination, to pull the apocalypse out of the shadows and into dialogue“ (GP VIIIf).
Ich skizziere hier zunächst die Anfänge dieses Projekts, auch um die Einbettung in die „Denkräume“ der US-amerikanischen Postmoderne deutlich zu machen und konzentriere mich dann auf die konzeptionellen Aspekte einer Counter-Apocalypse in dem Buch „Apocalypse Now and Then“ (1996. 2005). Ein Ausblick wird dann kurz die zunehmende Bedeutung der Ökologie und der politischen Theologie behandeln.
Die ersten ausführlicheren Auseinandersetzungen mit der Apokalypse finden sich in den späten achtziger Jahren. In der Herbstausgabe des Jahres 1989 der Zeitschrift der Theological School der Drew-University (The Drew Gateway) sind Ansprachen an die neuen Studierenden abgedruckt, unter anderem auch von Catherine Keller über “Theological Education at the Edge of Time.” Nach einleitenden Lockerungsübungen zur apokalyptischen Dimension von studentischen „Deadlines“ wird es ernst: „the end of a world may indeed constitute the deepest tension of theological education“. Das gilt in zweierlei Hinsicht. Erstens findet die theologische Ausbildung in einer realen Endzeit statt (within the eschatological context of our planet today). Zweitens aber ist dieses Ende der Welt Gegenstand der theologischen akademischen Reflexion (to shape the meaning and impact of eschatology, of end-time consciousness). Dieses Endzeit-Gewissen steht im Mittelpunkt der Überlegungen.
Zunächst wird die höchst kritische ökologische, ökonomische und politisch-militärische Situation beleuchtet (running out of time, … running out of future): „The present world order is non-sustainable. In precisely this sense our world – not the world – may well be coming to an end“. [[Mit Verweis auf Orwell und Atwood]]. Und hier genau wird es theologisch. Denn: „Eschatology … is all about tensions“. Und die entscheidende Frage angesichts dieser Spannungen lautet: „what does it mean to live creatively with the tension?“. Dieser Grundton wird sich durchhalten: die Herausforderung angesichts einer deprimierenden Sachlage nicht in Verzweiflung oder Zynismus zu fallen, sondern sich kreativ (durchaus mit Verweis auf die Schöpfung) mit der Lage auseinanderzusetzen und das heißt natürlich auch: ethisch-reflektiert zu handeln. Eben darin besteht die nötige Kontextualisierung theologischer Disziplinen, die nötige theologische Zeitgenossenschaft. Eine alternative Weltordnung zu entwerfen und ins Werk zu setzen (envisioning and enacting), das ist die Aufgabe. Es ist eine konkrete Aufgabe im Hier und Jetzt der Gegenwart, so zukunftsbezogen sie auch sein mag. Sie ist im Wortsinne verkörpert (incarnate; carnal eschatology). Im Zentrum der neuen Weltordnung steht die Verbundenheit (interconnectedness) – niemand braucht zu viel, womit das Thema der knappen Ressourcen aufgenommen wird. In einigen Ländern wird bereits an solchen balancierten Systemen von individueller und kollektiver Wohlfahrt gearbeitet (Nicaragua, Skandinavien, Zimbabwe). Die lateinamerikanische Befreiungstheologie gibt wichtige Impulse. Es gilt in der Gegenwart zu leben, aber für die Zukunft, ohne allerdings das eine für das andere zu opfern. Und es gilt, die Theologie neu zu konfigurieren: „Perhaps, indeed, we need to test our eschatologies by ecological criteria: eco-eschatologies may help us to reconnect the doctrine of creation with that of the new creation“.
Kein geeigneter Weg ist allerdings der politisch konservative neo-apocalypticism. Dort schlägt die ursprünglich antiimperiale (nämlich gegen Rom gerichtete) apokalyptische Stimmung um in eine proimperiale Bewegung (Hal Lindsay). Dieser Strömung zu begegnen ist die wichtigste Aufgabe theologisch gebildeter Pfarrerinnen und Pfarrer (no one is ready for ministry in the ecumenical churches who cannot answer this doomsday theology head on). Gerade angesichts der Wucht und Kraft dieser neurechten Strömungen muß es gelingen, konkrete und lebensbejahende eschatologische Alternativen zu entwerfen. Und zu diesem Zweck müssen wir unsere Tradition aufs Neue sichten und furchtbar machen. Es reicht nicht, sich lustig zu machen oder sich abzuwenden. Es bedarf vielmehr einer konstruktiven Antwort auf das Böse und auf die Macht, hier vor allem auch eines konstruktiven Umgangs mit den traditionellen Vorstellungen von göttlicher (All)Macht: „Let us help each other and the church outgrow the worship of power which casts God in the role of Mr. Omnipotent, the cosmic scriptwriter“. Es ist eine Zeit am Rande (an edgy time). Alles in allem wird auch hier die Kraft des göttlichen Geistes gebraucht. Aber nur eine konzentrierte und stimmige Arbeit an den vielfältigen Herausforderungen der Zeit wird in dieser Kraft Erfolg haben (only on the basis of sound structural work on the racist, sexist, heterosexist, imperialist systems which crisscross our lives will the spontaneity of spirit be anything more than a momentary movement). Statt sich über die Differenz von präsentischer und futurischer Eschatologie (futurist or realized eschatology) den Kopf zu zerbrechen, ist es vielmehr an der Zeit, eine „sich verwirklichende Eschatologie“ (realizing eschatology) zu entwickeln. Und diese Aufgabe ist eine gemeinsame: „the kin-dom of God“.
In diesem werbenden, kraftvollen Text sieht man das Grundprogramm der kommenden Jahre in Kellers Theologie. Sieben Jahre später wird ihre Monographie erscheinen und diesem Programm einen ebenso systematischen wie eloquenten Ausdruck verleihen.
In dem Aufsatz „Woman against Wasting the World“ (1990) verknüpft Keller Eschatologie und Ökologie.10 Der Beitrag setzt ein mit der schon in der Universitätsrede aufgegriffenen unheiligen Allianz des apokalyptischen Fundamentalismus mit konservativer Politik. Diese Allianz wendet sich nicht zuletzt gegen die Umweltbewegung, und zwar im Namen der „neuen Erde“, die der treuen Gemeinde von Gott versprochen wurde, woraus zwingend folgt, daß man sich mit der gegenwärtigen Welt keine große Mühe zu geben hat. Doch Keller gräbt nun tiefer: es sind nicht die wenngleich wirksamen Oberflächenphänomene der Gegenwart, die sie interessieren, sondern eine nicht minder wirksame Tiefenschicht: „regardless of the next moves of the religiopolitical right, the apocalyptic myth has been influencing and will continue to influence the course of planetary history. That is, the expectation of an end-time and of an end of time has, I believe, defined the limits of Western patriarchal consciousness, Christian, Jewish, and secular. Perhaps all the more effectively because largely unconsciously, the imagery that concludes the Bile has conveyed a formative framework for the end of history“ (283). Hier ist das geschichtshermeneutische Programm von ANT mit Händen zu greifen, die Umrisse der Konter-Apokalypse beginnen sich zu zeigen.
Die ökologische Dimension wird interessanterweise am Wetter orientiert: Es ist deutlich zu warm. Es wird wieder einmal klar, daß man Ende der 80er Jahre schon einmal ebenso weit war, wie heute (der Aufsatz scheint 1988 geschrieben worden zu sein). Die New York Times titelt mit dem Treibhauseffekt und die Erderwärmung ist wissenschaftlich signifikant nachgewiesen. Das ist zweifellos ein Effekt des militärisch-industriellen Establishments, aber es reicht auch tiefer. Die europäische und us-amerikanische Welt weißer Menschen ist in erster Linie verantwortlich. Und daraus folgt, sich dieser Verantwortlichkeit kritisch bewußt zu werden: „Perhaps we … can only begin to regain the wisdom and power of relation as we move into contact with non-White, non-patriarchal, and non-modern modes of connection with the physical world“ (289). Daraus folgt keine prinzipielle Technikfeindlichkeit, lediglich (aber immerhin) eine neue Einbettung der Technik in ein neues Verständnis der Erde im Ganzen: „What we need is a reduced and sensitive technology cooperating with the exhaustible, irreversible, spontaneous, and pluralistic character of the universe and the Earth“ (292). Diese Technologie muß eingebunden sein in ein entsprechendes Verständnis menschlich-gesellschaftlicher Interaktion, aber auch, und hier kommt endgültig die Theologie ins Piel, in eine neue Spiritualität, die eine offene und nachhaltige Zukunft zu imaginieren vermag. Und eben hierfür sind auch die alten, die biblischen Texte unverzichtbar, auch – und gerade – der letzte, die Apokalypse. Allerdings kann sie nicht bleiben, wie sie ist, in ihrer durchaus sexistischen und nationalistischen Engführung. Es bedarf vielmehr einer nicht mehr wörtlich verstandenen und um ihre apokalyptische Dimension reduzierten Eschatologie (deliteralized, deapocalypticized eschatology). Neben dem ökozentrischen Bewußtsein bedarf es auch eines eschatologischen Bewußtseins, einer für das Ende der Zeit geschärften Achtsamkeit. Allerdings nicht in einem disruptiven Sinn in Erwartung des faktischen Endes der Zeit und des Beginns einer neuen, sondern in Erwartung (und tätigen Inangriffnahme) einer neuen Art von Zeit der „helical time“, einer neuen Fülle der Zeit. Diese „Helical time“ wird dann auch in ANT eine entscheidende Rolle bei der Rekonfigurierung des Zeitbewußtseins spielen. „We need no new heaven and Earth. We have this Earth, this sky, this water to renew“ (293).
Eine erste größere Skizze der neuen Apokalyptik erschien 1990 in deutscher Sprache, es ist die überarbeitete Fassung eines Gastvortrags vor der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen (Juni 1990). Der Titel („Die Frau in der Wüste: ein feministisch-theologischer Midrasch zu Offb 12“) verweist auf das zweite Kapitel von ANT und dort auf die Abschnitte 12–16, die sich dem 12. Kapitel der Offenbarung widmen.11 Auch dort ist von einem „Midrash“ die Rede (ANT 2/1) und die Auslegung zur Frau in der Wüste nimmt bemerkenswert viel Raum ein. Doch ist eigentlich nur ein Teil des Vortrags (III, 420–426) konkret dem genannten Kapitel und seiner Auslegung gewidmet. Eingerahmt wird dies durch eine grundsätzliche Skizze einer neuen Eschatologie, nämlich einer „ökofeministischen Eschatologie“ (430). Hier wird auch die „Methode der Ambivalenz“ angesprochen (417. 430), die in ANT ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt. Vor allem aber werden nun erstmals differenzierte Typisierungen apokalyptischer Einstellungen vorgenommen, die auf die Erörterungen im ersten Kapitel von ANT vorausweisen. Es sind drei Typen, die Keller hier aufstellt: Die naive Apokalyptik des ersten Jahrhunderts, die banale Apokalyptik, die für die ökologische Krise der Gegenwart steht und schließlich die offene Apokalyptik, die „versucht, unsere Geschichte aus ihrem deterministischen Verhängnis herausbrechen zu lassen“ (419). Weiter ist auch noch die Rede von einer „Pseudo-Apokalyptik“, die sich auf blinden Optimismus oder indifferenten Pessimismus verlegt.
Der systematische Akzent liegt zweifellos auf einer neuen, einer offenen Eschatologie, offen insbesondere für eine tätig gestaltete Zukunft unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten, offen aber auch in sozialer Hinsicht, als neue Gemeinschaft. Auch hier wird bereits die „Dis/closure“ ins Spiel gebracht, die das erste Kapitel von ANT prägen wird (430). Alle genannten Stichworte kann man dahingehend zusammendenken, daß durch die Methode der Ambivalenz der biblische Text geöffnet wird zu einer gegenwartsorientierten (und darin offenen), aber eben nicht buchstäblichen (und damit geschlossenen) Auslegung. Eben darin erwächst dann auch eine Hoffnung, die sich nicht in einer gänzlich neue Welt hineinträumt, sondern die ihre Energie nutzbar macht, um diese konkrete Welt neu zu gestalten. Der „ökologische Geist der Immanenz“ und der „eschatologische Geist der Transzendenz“ verbinden sich in der übergreifenden Weisheit (Sophia). Sie ist „der Geist, der in allem verkörpert ist und auf nichts reduziert werden kann“ (432). Auch hierin ist bereits das letzte Kapitel von ANT präsent, in dem die „inkarnierte Eschatologie“ entfaltet wird.
Im Mittelpunkt dieser Entwicklung der theologischen Gedanken Catherine Kellers steht zweifellos „Apocalypse Now and Then“ (1996), ein Grundlagenwerk, das bis zur Gegenwart in ihr Gesamtwerk ausstrahlt, vor allem, wenn man es mit „God and Power“ (2005) zusammenliest, einer Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen zur Situation nach dem 11. September 2001, die als eine ArtBegleitband (companion volume) zur Wiederveröffentlichung von ANT (2005) angesehen werden können. Zu diesem Zeitpunkt wird auch die starke politisch-theologische Seite des Œuvres entwickelt (theopolitics), die dann in “Political Theology of the Earth” (2018) ausdrücklich auch als eine eigene Spielart der politischen Theologie in Erscheinung tritt.
Ich gebe zunächst eine Übersicht über das Buch nach seinen Hauptkapiteln. Da die Abschnitte der Kapitel zwar durchnummeriert aber nicht mit Überschriften versehen sind, ist die Orientierung oft nicht ganz einfach. Daher werden hier Vorschläge zur inhaltlichen Gliederung der Kapitel 3–7 gemacht. In Kapitel 1 (Opening Dis/closing „The End“) werden die grundlegenden Begriffe und das Vorgehen insgesamt erörtert (das steht im Mittelpunkt meiner bald folgenden Ausführungen). Kapitel 2 (Text Seeing Voices) ist eine Art „Midrasch“ zur Offenbarung des Johannes.12
3 Time Temporizing Tales
1–4 Einleitung: die politische Dimension der Zeit. Die Apokalypse als ein Verständnisrahmen für den Zeitsinn
5–11 Historische Entwicklung des apokalyptischen Zeitsinns: Sublimierung und Realisierung der Apokalypse
12–20 Auswertung mit 3/12 als Überleitung
4 Place De/Colonizing Spaces
1–5 Einleitung: Raum vs Ort, Kulturgeschichte der Anpassung an die natürliche Umwelt
6–8 Kolumbus als Beginn der kolonialen Ära: Performative Eschatologie
9 Wissenschaftlicher Universalismus der frühen Neuzeit
10–13 Topische Eschatologie als verkörperte Eschatologie
5 Community Congregating Conflagrations
1 Einleitung
2–4 Apokalyptische Bewegungen der Neuzeit und ihre Nachwirkungen
5–7 Verständigung und Verbindung: eine geheime Ekklesiologie
6 Gender Silly Women of the Last Days
1 Einleitung
2–5 Feministische Bewegungen vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert
6–7 Gegenwart: Mary Daly und Monique Wittig
8–15 Kritische Diskussion der Identitätspolitik, Plädoyer für vielstimmige wechselseitige Verbundenheit
7 Spirit Counter-Apocalyptic In/conclusion
1 Pneumatologie als Inklusion und Konklusion
2–3 Rückblick 1: Struktur
4 El Salvador und die Unterscheidung der Geister
5–6 Rückblick 2: Reprise
7–10 Transzendenz, Hoffnung, Weisheit
Die vier Hauptkapitel (3–6) enthalten jeweils eine spezifische Wirkungsgeschichte apokalyptischen Denkens und Handelns, die im Ganzen von den Anfängen des Christentums bis zur Gegenwart reicht, die aber im Einzelnen je bestimmte Abschnitte ins Auge faßt: bis zum Mittelalter in Bezug auf die Zeit, den Übergang zur Neuzeit in Bezug auf den Raum, von der Neuzeit bis zur Gegenwart in Bezug auf Gemeinschaft und Gender. Das Kapitel zu Gender ist überhaupt als eine Art Schärfung und Ergänzung (auch: Vertiefung) des Kapitels zur Gemeinschaft angelegt. Beide zusammen können als eine kritische Ekklesiologie gelesen werden, so wie das letzte Kapitel (spirit) als eine Art eschatologische Pneumatologie verstanden werden kann. Es nimmt alle vorigen Kapitel in sich auf.
Ich möchte nun die Grundzüge des Konzepts Counter-Apocalypse aus dem ersten Kapitel darstellen. Die wichtigsten Begriffe (nebst einigen Zitaten) finden sich noch einmal als Glossar im Anhang I.
Keller unterscheidet eine ganze Reihe von „apokalyptischen“ Einstellungen. Diese gewinnen ihre Relevanz allerdings erst vor dem Hintergrund einer kulturgeschichtlichen These, die apokalyptische „Muster“ (patterns) im Geschichtsverlauf ausfindig macht, die nicht durchweg an der Oberfläche liegen und daher einen gewissen Spürsinn erfordern. Hierfür steht der Begriff des „verborgenen Transkripts“ (hidden transkript). Vermittelt werde die beiden Perspektiven vor allem durch ein performativ wirksames „Verhalten“ bzw eine Haltung (apocalypse habit), die für die auch handlungstheoretische (bzw politische) Wirksamkeit solcher Muster steht. Und eben die unterschiedliche Weise, wie man sich zu diesen wirkmächtigen Mustern stellt, dient dann als Differenzierungskriterium für die verschiedenen „apokalyptischen Einstellungen“, von denen Keller nachdrücklich die Counter-Apocalypse als die sinnvollste herausstreicht und zur Grundlage des dann folgenden Buches macht.
Zu den Überlegungen im Einzelnen: Das „Skript“ bezeichnet die „variations on the theme of Revelation“ (4). Dabei handelt es sich um wiedererkennbare Bilder, Themen und Figuren, die vielfältig in der Populärkultur (Filme, Theater, Literatur, Bildgeschichten) aufweisbar sind. Solche Untersuchungen sind hierzulande besonders in den Literatur- und Kulturwissenschaften seit langem ebenfalls angestellt worden. Gleichsam unterhalb dieser Oberflächenbilderwelt existiert jedoch ein verborgenes Transkript (hidden transcript).13 Das Transkript ist deshalb verborgen, weil es unterhalb der leicht identifizierbaren Oberfläche des Skripts operiert. Man kann in ihm (und in den Skripten) apokalyptische Muster identifizieren, die ebenfalls nicht als solche auftauchen (müssen). Um diese Muster (apocalypse pattern) geht es Keller vor allem: „before … a text, and massively published through it, one can discern a broader, vaguer apocalypse pattern“ (11). Kennzeichen eines solchen Musters ist vor allem eine dualistische Haltung zu Welt („an either/or morality“). Muster und Verhalten sind aufeinander bezogen, sie prägen und bestärken einander wechselseitig. Insofern handelt es sich hier nicht einfach um eine objektivierende Analyse kultureller Prägungen, sondern um den Versuch, politisch wirksame Handlungsmuster ausfindig zu machen und zugleich sei es einzuhegen oder zu verstärken. Darin wird schon früh Kellers Variante einer „politischen Theologie“ sichtbar.
Auf dieser hier nur kurz skizzierten Grundlage entfaltet Keller nun ihre Differenzierung von apokalyptischen Einstellungen, die einen eigenen Weg suchen zwischen radikaler Ablehnung (Anti-Apokalypse) und bedingungsloser Affirmation (Retro-Apokalypse).
Diese, die Retro-Apokalypse (retroapocalypse) steht im Grunde für die evangelikale Endzeitstimmung, für „the overt use of apocalyptic rhetoric“ (7), ja für „endism“, also die restlose Prägung der eigenen Gegenwart durch die nahende Endzeit und ihre unvermeidlichen Entscheidungen und Kämpfe. In diese projiziert sich das Ich gleichsam hinein („the displacement of the self into a future scenario“ 7). Davon ist auf der anderen Seite des Spektrums zu unterscheiden die Anti-Apokalypse (anti-apocalypse). Sie zeichnet sich nicht nur durch eine Negation apokalyptischen Denkens, wie es in der Retro-Apokalypse vorliegt, aus (wie es etwa in der liberalen Theologie üblich ist). Vielmehr spiegelt sie eigentlich den binären Modus dieser abgelehnten Haltung: „its terms mirror those of apocalypse“ (15). Solche binären Muster macht Keller auch und gerade in den ihr naheliegenden feministischen Diskussionen aus: „A sharpened anti-apocalypse may remain blind to its own apocalypse, but it clears the cultural space for the differentiated theological discourse it cannot itself perform“ (16). Später im Buch wird sie diese binären Muster im Blick auf dasjenige analysieren, was wir heute unter „Identitätspolitik“ fassen würden.
Von diesen beiden Haltungen ist wiederum die Krypto-Apokalypse (cryptoapocalypse) zu unterscheiden. Sie steht für die bereits angesprochene kulturelle Oberflächenströmung, die unsere Gegenwart in gewisser Weise durchdringt: „It is this pervasive cryptoapocalypse in which I think we all take part“ (8). Und nicht nur die Gegenwart, die gesamte Neuzeit ist dadurch geprägt: „it operates at the very core of five hundred years of modernity … Only through these perambulations in time could I perceive the political and the spiritual need for a radically ambiguous and respectfully nuanced approach to the apocalyptic imaginary“ (9). Genau genommen liegt hier der Kern und Ausgangspunkt des gesamten Projekts. Das untergründige aber effektive Wirken der Kryptoapokalypse motiviert das Projekt und zugleich gewinnt das Projekt sein Ziel in der Überwindung dieses Wirkens durch die Entwicklung einer Konter-Apokalypse.
Noch eine andere Variante ist die Neo-Apokalypse (neoapocalypse). Sie macht sich die kulturellen Bildwelten, die in der Krypto-Apokalypse tradiert werden, ausdrücklich im Namen einer Wiederbelebung apokalyptischer Endzeitstimmung zunutze, ohne jedoch die unmittelbare (biblische) Affirmation der Retro-Apokalypse einzunehmen. Besonders in der Befreiungstheologie ist eine solche Haltung virulent. Auch die heutige Klimadiskussion könnte vor diesem Hintergrund analysiert werden. Die Apokalypse wird zu einem Werkzeug: „a tool for political struggle within analogous contexts in the present“ (17). Allerdings geht es nicht um Furcht und Hoffnung im Blick auf das Jenseits, sondern um Warnungen vor Entwicklungen in dieser Welt: „Such neoapocalypticists mobilize the text to preach warning and renewal rather than transcendent doom and closure“ (18). Die tradierten Symbolwelten werden (zumeist politischen) Zielen in konkreten hiesigen Kontexten dienstbar gemacht: „They do not link the text to its history of uses and abuses“ (18); „they open the obtuse ancient symbolism into contemporary solidarity“ (18). Eben dieses Verfahren, das die komplexen Zwischengeschichten umgeht, hat Catherine Keller dann selbst in „Facing Apocalypse“ angewandt.
Am Ende steht als eine Art integratives Modell die Konter-Apokalypse (counter-apocalypse). Man könnte counter-apocalypse auch mit Gegen-Apokalypse übersetzen, was allerdings zu dicht an der Anti-Apokalypse wäre. Es geht eben nicht nur um die statische Entgegensetzung, sondern auch um das aktive und dynamische Kontern, das Entgegentreten, sie es später auch im Buchtitel „Facing Apocalypse“ aufscheint. „A ‚counter-apocalypse‘ recognizes itself as a kind of apocalypse; but then it will try to interrupt the habit. It suggest an apo/calypse: a broken, distorted text, turned to abusive purposes, only revelatory as it enters a mode of repentance for Constantinian Christendom and its colonial aftermath“ (19). Hier sieht man sehr deutlich die inneren Spannungen, die für dieses Modell typisch sind. Es ist ein mehrschichtiges, in sich ambivalentes Unterfangen. Es ist (wie sich im „colonial aftermath“ zeigt) postkolonial geprägt und darin anti-imperial (wie ja schon die Johannes-Apokalypse in ihrem anti-römischen Furor). In dem „broken, distorted text“ sieht man auch die poststrukturalistischen Aspekte von Kellers Theologie, eine klare Haltung dafür oder dagegen oder auch nur im Verborgenen ist hier nicht denkbar. Man muss sich auf die inneren Dynamiken einlassen, um hier etwas zu verstehen. Darin liegt dann auch eine (ironische) Distanzierung von der Ernsthaftigkeit des Originals: „in ironic mimesis of the portentous tones of the original – with which it dances as it wrestles“ (19).14
Zusammenfassend heißt es: „Counter-apocalypse dis/closes: it would avoid the closure of the world signified by a straightforward apocalypse, and it would avoid the closure of the text signified by an anti-apocalypse. As mediated through the emancipatory discourses of neoapocalypse, which reopen the book, the tradition of the Apocalypse has much to disclose.“ (19) Die eigentliche Zielrichtung (denn auch die gebrochene Konter-Apokalypse hat ein ziemlich klares Ziel) besteht darin, die innere Kraft der apokalyptischen Dimension in einer humanisierten (heute würde man vielleicht sagen: planetarisierten) Weise zu nutzen: „If, then, counter-apocalypse echoes and parodies apocalypse in order to disarm its polarities, it also savors its intensity, its drive for justice, its courage in the face of impossible odds and losses“ (20).
Dieses spannungsreiche Konzept, das hier (durchaus im Weberschen Sinne) als eine Art Idealtypus begrifflich konstruiert wird, dient dann im Buch als eine Art Kompass zur Entschlüsselung der Geschichte (und darin der Geschichte des biblischen Buches und seiner Bildwelten) aber auch zur konstruktiven Formung einer gegenwartszugewandten systematischen Theologie (die das Buch im Grunde ist). Beides wiederum soll es ermöglichen, zukunftsfähiges Denken und Handeln theologisch verantwortet auf den Weg zu bringen.
„God and Power“ ist der erste Aufsatzband Kellers (ein zweiter erschien 2017 mit „Intercarnations“, ein dritter „No Matter What: Crisis and the Spirit of Planetary Possibility“ wird Ende 2024 erscheinen). Er umfaßt Vorträge und Aufsätze seit dem Jahr 2000, vor allem aber solche, die bereits auf den Angriff auf das New Yorker World Trade Center Bezug nehmen. Auch hierin, und in dem anschließend von der Bush-Administration erklärten „Krieg gegen das Böse“, liegt die Keimzelle für die durchgreifende Politisierung der theologischen Rekonstruktion der apokalyptik-affinen USA des frühen Millenniums. Zugleich ist zu bedenken, daß diese Texte während der Ausarbeitung einer neuen Konzeption der göttlichen Schöpfung entstanden („Face of the Deep“, 2003). GP endet daher mit einem Kapitel, das die Grundmotive dieses Buches in aller Kürze zusammenfaßt und in die Konzeption einer „Political Theology of Love“ münden läßt, die ihrerseits gegründet ist in einer „constructive theology of becoming“ (GP 150f). Beides läßt dann im weiteren Lauf des Werks den ökologischen Aspekt – der freilich auch zuvor nicht fehlte – noch einmal markanter hervortreten. Dieser spielt nicht nur in PTE und FA eine Rolle, sondern auch in den diversen Sammelbänden der „Transdisciplinary Theological Colloquia“, die seit dem Jahr 2000 an der Drew University stattfanden. Immer wieder sichtbar wird auch die enge Zusammenarbeit mit der us-hispanischen Theologin Mayra Rivera, deren Beiträge zu einer umfassenden Postkolonialen Theologie anderwärts dargestellt werden.
Die acht Kapitel von GP sind drei Teilen zugeordnet, deren erster vor allem theologische und politische Situationsanalyse nach 9/11 beinhaltet („mapping our situation“), deren zweiter dann das Thema der im Hintergrund wirksamen apokalyptischen Stimmung aufs Neue durchdenkt („examining our political unconscious“) und deren letzter schließlich die Grundlagen für eine konstruktive Theologie in postkolonialer und ökologischer Perspektive legt („constructing a Political Theology of Love“). “Political Theology of the Earth” wird diese Dreiteilung noch einmal deutlicher differenzieren in Politik, Ökologie und Theologie (s.u.).
Das in “Facing Apocalypse” so zentrale Dreamreading wird im dritten Kapitel eingeführt und im fünften Kapitel hermeneutisch vertieft. Den Ausdruck „dreamreading“ hat Keller vermutlich von Hurakami übernommen (Figur des „Dreamreader“). Zwar kommt auch in ANT schon die „dreamtime of apocalypse“ vor (62), durchaus in Anlehnung an Freud (vgl. 48), aber erst jetzt verdichtet sich die hermeneutische Perspektive auf das Lesen des Traums, des theologisch und politisch Unbewußten. Das ist durchaus experimentell zu verstehen, in einer Haltung des „Was wäre wenn?“ (What if?). Eben mit diesem Spiel der Möglichkeiten wird das hermeneutische Spektrum von innen her ausgeleuchtet. „Von innen her“ (interiority) meint dabei sowohl die theologische Binnenlogik, als auch die strukturelle Verwandtschaft zum prophetischen Gestus selbst, ist doch auch Johannes von Patmos ein „Dreamreader“. Das bedeutet jedoch nicht, daß damit die Haltung des Propheten schlicht übernommen wird, vielmehr ist gerade eine Lektüre „gegen den Strich“ (against the grain) erwünscht. Daß damit eine methodische Ambivalenz auftritt, ist gewollt und wird als sachgemäß verstanden. Erst so kann dann auch eine konstruktive Re-Vision (constructive re-vision) ins Werk gesetzt werden, die am Ende darauf hinausläuft, daß wir unseren Ängsten begegnen und unsre Hoffnung beleben (face our fears, activate our hopes), ein Thema, daß später in „Facing Apocalypse“ weiträumig durchgeführt wird.
Innerhalb dieser Ambivalenz können dann auch die dunklen Seiten des Textes in den Blick genommen werden, ist doch die Offenbarung auch ein Buch des Blutes (book of blood) und ein Buch der Pein (book of torture). Gerade in seinen hochproblematischen Figurationen des Weiblichen, der machtvollen Hure, der in Schmerzen gebärenden Mutter und dem jungfräulichen Jerusalem am Ende (Whore in Power, Mother in Agony, Virgin in the End), muß das Buch durch und durch neu durchdacht und müssen seine Albträume geheilt werden. Eben in solchen Heilungsprozessen zeigt sich ein Ideal von Kreativität, die sich selbstbewußt neben die Kreativität des inspirierten Autors stellt (ideal of co-creativity).
Der früheste Beitrag (2001) über „Liberation and Deconstruction“ (6. Kapitel) nimmt eine ganz eigene hermeneutische Perspektive ein, indem die vier Wesen um den himmlischen Thron (Adler, Ochse, Löwe, Mensch) in ihrer irritierenden Vieläugigkeit den Leitfaden abgeben.15 Im Kern ist der Beitrag eine intensive Auseinandersetzung mit befreiungstheologischen Sichtweisen einerseits und den dekonstruktiven Lesarten Jacques Derrida’s, darin auch eine Korrektur der eigenen früheren (vornehmlich kritischen) Sicht auf Derrida. Die eigene Kategorie der Konter-Apokalypse wird jedoch am Ende als zwar ähnlich zur dekonstruktiven Hermeneutik angesehen, jedoch auch als lebendiger und vielförmiger eingeschätzt, kurz: als theologisch fruchtbarer.16 Darüberhinaus hält Keller nicht viel von poststrukturalistischen Verabschiedungsgesten. Ihr liegt vielmehr daran, daß ihre Hermeneutik der Ungewißheit und der Polyperspektivität eine Eigenschaft der Theologie schon immer gewesen sind.17 Gegenüber den befreiungstheologischen Theologien wird angemahnt, die Spannungen, die die biblischen Texte (und insbesondere der Offenbarung) durchziehen, nicht zugunsten einer eindimensionalen (wenngleich politisch sympathischen) Lesart einzuebnen.
Globalisierung verlangt nach einer ihrerseits globalen Antwort, lokale Bewegungen allein können als solche nur begrenzt etwas bewirken. Wie aber sollen solche planetarischen Koalitionen zustande kommen? Das ist die Frage des 6. Kapitels, das zugleich eine Einführung in postkoloniale Theologien bietet, sowie deren möglichen Beitrag zu dieser zentralen Frage auslotet. Es geht dabei auch um strukturelle Gemeinsamkeiten postkolonialer Theologie mit der Konter-Apokalypse. Dabei spielt sowohl das Konzept der Mimikry eine Rolle, als auch der Third Space. Beide bewegen sich jenseits klarer Abgrenzungen, sie stiften Relationen von innen her, statt auf festgefügte Sphären bereits zugreifen zu können (oder zu wollen). Und hier kommt nun auch, konstruktiv und hoffnungsvoll, die Liebe ins Spiel. Liebe in einer nicht privaten, nicht sentimentalen Lesart. Eine unvollkommene Liebe, die aber gerade darum irdisch ist, eingebunden i die tatsächlichen Beziehungen und Verhältnisse, die keine überweltliche Reinheit vortäuscht oder verheißt, sondern die Furcht von innen her austreibt, unvollkommen, aber merklich. Auf diese Weise könnte dann auch ein planetarisches Netz wechselseitig verbundener Verschiedenheit entstehen (planetary web of interdependent diversity).
Diese postkolonialen Skizzen werden im siebten Kapitel wesentlich vertieft. Sie verdichten sich zu einem Bild, das die Er-Neuerung des Christentums von den Rändern her zeichnet: „From Latin America, the Caribbean, Asia, Africa, Oceania, where formally a postcolonial situation obtains, come the new voices of Christianity, of a self-renewing Christianity continuing the polyglossia“ (115). Mit dieser fortgesetzten Polyglossie ist die Vielstimmigkeit der ersten Jahrhunderte gemeint, die bei der Imperialisierung des Christentums zugunsten der Orthodoxie der Einheit, der „idolatry of identity“ verloren ging und nun über den imperialen Bruch der Jahrhunderte neu von den Rändern her aufscheint. Für die etablierte europäische und us-amerikanische Theologie (zu der sich auch Keller selbst zählt) ergibt sich die Aufgabe, diese Stimmen bei der eigenen Theologie zu berücksichtigen, ihnen Gehör und Geltung zu verschaffen, und dabei die wechselseitige Fruchtbarkeit von Theologie und Postkolonialer Theorie auszuloten. Eben darin wird dann die Theologie konstruktiv, nämlich sowohl spirituell lebendig als auch kontextuell geerdet.
Ziel dieses kritischen und selbstkritischen Unternehmens ist eine „counter-imperial ecology of love“ (116), ein Komplex, in den sowohl die Konter-Apokalypse eingeht, als auch die neues Gewicht gewinnende Ökologie, eingebettet in eine Theologie der Hoffnung und der Liebe (planetary love, a divining love), wie sie bereits am Ende von ANT skizziert wurde. Zur Profilierung des Projekts wird es im kritischen Durchgang durch soziologische (Bauman, Hardt/Negri), theologische (Milbank) und postkoloniale (Spivak) Entwürfe geschärft.
Das Buch „Political Theology of the Earth“ wurde geschrieben „in einer Zeit zunehmender politischer Verwirrung und abnehmender planetarischer Hoffnung“.18 Es geht zurück auf Vorträge aus dem Februar 2017 an der Yale Divinity School und auf spätere Vorträge an der Mercer University. Das Buch setzt die Richtung fort, die mit „God and Power“ eingeschlagen wurde. Dort schrieb Keller in der Einleitung, daß das Buch nicht als eine umfassende Politische Theologie zu lesen sei.19 „Political Theology of the Earth“ steht daher für eben ein solches umfassenderes politisch-theologisches Projekt.
„Facing Apocalypse“ (2021) ist demgegenüber in einem deutlich anderen „Register“ geschrieben, eher eine Art systematisch inspirierte Bibelmeditation, die insgesamt um eine „apocalyptic mindfulness“ kreist und vielleicht als eine Art kleine Summe aller bisherigen Überlegungen gelesen werden kann. Von allen Büchern Kellers ist es wohl der beste Einstieg in ihren Denkraum.
Es liegt auf der Hand, dass die Counter-Apocalypse im Vergleich mit den antiken, aber auch den neuzeitlichen Ausformungen von Endzeitszenarien eine Art Umlenkung auf innerweltliche (diesseitige) Transformationen darstellt. Die fantastische Disruption apokalyptischen Denkens soll gleichsam zu einer eher realistischen (aber dennoch poetischen) Weltgestaltung umgeformt werden. Über die Erfolgsaussichten eines solchen Konzepts wird sicher unsere Diskussion einiges ergeben. Dennoch scheint es mir relativ klar, dass hier auch ein interessantes Konzept vorliegt, um einen plastischen und anschlussfähigen Begriff von „Hoffnung“ zu entwickeln, der den vielfältigen „Fallen“, in die man mit der Hoffnung geraten kann, zu vermeiden erlaubt. Daher soll im zweiten Teil von einer solchen „geerdeten Hoffnung“ die Rede sein.
Die folgenden Überlegungen stammen aus meinem Buchprojekt “Klimatheologie. Gott und Mensch im Anthropozän”, das mit dem klassischen Dreierpack „Glaube – Liebe – Hoffnung“ einsetzt. Es geht mir in diesem Abschnit vor allem um die Darstellung der Diskussionen im englischsprachigen Raum, die exemplarisch an drei verschiedenen Positionen verdeutlicht werden. Im Anschluß skizziere ich noch eine gegenwärtig dynamische Debatte in der Psychologie, die sich verstärkt mit Affekten und Emotionen im Zusammenhang mit der Klimakrise befasst.
Ich beginne mit einer sehr kurzen Umschreibung dessen, was ich hier vorläufig unter “Hoffnung” verstehen möchte: Hoffnung findet immer in einem Zustand relativer Unsicherheit statt. Wer über alles sicher Bescheid weiß, hat Hoffnung nicht nötig. Wem aber alles restlos unsicher ist, dem ist Hoffnung unerschwinglich. Es kommt vor, daß sich die biblische Hoffnung im Genre der Fantasy Literatur verliert (Offenbarung des Johannes). Es kommt vor, daß sich die christliche Hoffnung in Fantasien über ein überraschendes Eingreifen Gottes ergeht, der alles, was wir angerichtet haben, wieder gut macht (sehr verbreitet, weltweit). Hoffnung kennt viele Umwege und Abwege. Es käme daher alles darauf an, Unsicherheit und Gewissheit miteinander ins Gespräch zu bringen, ebenso wie das Irdische und das Überirdische, vielleicht sogar das Künftige und das Vergangene. Die im nächsten Abschnitt vorgestellten Beiträge zur Diskussion über die Hoffnung versuchen genau das.
Die Diskussionsbeiträge kommen aus sehr unterschiedlichen Richtungen, mit sehr unterschiedlichen Blickwinkeln. Dennoch tragen sie alle auf ihre Weise zur Profilierung der Hoffnung bei und haben zumindest dies gemeinsam, daß die Hoffnung nachdrücklich „geerdet“ wird.
Richard A. Floyd20 ist auf der Suche nach einer ökologischen Eschatologie, also einer erdverbundenen Vorstellung von der Endzeit, über die wir später noch mehr hören werden. Ihm geht es bei dieser Suche aber gerade nicht um diese Endzeit als solche, sondern um die Einstellung, mit der wir uns auf sie richten. Eben hier kommt die Hoffnung ins Spiel, die eng mit der Demut zusammengedacht wird. Chris Doran21 dagegen verbindet den Kern des christlichen Glaubens, den er in der Auferstehung sieht, mit der Sorge um die Schöpfung und ihre Bewahrung (Creation Care). Wenn man so will, lenkt er den engen Fokus auf die (individuelle) Auferstehung um und erweitert ihn zu einer umfassenden Sorge für ein nachhaltiges Wirtschaften, einen achtsamen Umgang mit der Nahrung und der neuen Positionierung der christlichen Gemeinschaft als ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Welt. Kristen Poole22 wiederum setzt mit einer ethischen Frage ein: wie kann die Goldene Regel, also die Orientierung des Handelns an anderen an der Vorstellung, wie man selbst von anderen behandelt werden möchte, – wie kann diese Regel auf kommende Generationen erweitert werden, gleichsam als Goldene Regel 2.0. Eine Ethik der Zukünftigkeit ist für das Christentum etwas vergleichsweise Neues, geht es doch nicht um eine mehr oder minder fantasievoll ausgemalte Endzeit, sondern um den Blick in die Zukunft dieser Welt und ihrer Gestaltung. Es geht, in Kürze, um die Einbettung des Künftigen in die gegenwärtigen Verhaltensweisen und Einstellungen.
Richard A. Floyds Buch über „Christliche Hoffnung und Klimawandel“ trägt den prägnanten Haupttitel „Down to Earth“. Interessanterweise zeigt das Buchcover einen von der Abendsonne beschienenen Wolkenhimmel, also vermutlich eben das, von woher man wieder herunter zur Erde gelangen soll. Und gerade dies ist der Punkt: die gerade in Nordamerika sehr weit verbreitete christliche Sicht auf die Errettung der Seele hat es sehr viel mit dem Himmel zu tun, aber nur wenig mit Erde. Bei aller Sorge um den Klimawandel ist die vorherrschende Einstellung die, daß es zumindest kein religiöses Thema ist. Eben hier setzt Floyd an und möchte der Hoffnung auf die endliche Erlösung einen irdischen Anker verleihen.
Insbesondere möchte er der Demut mehr Raum geben. Im Englischen ist die Tugend der Demut (humility) schon von der Herkunft des Wortes her mit der Erde (humus) verbunden, so daß sie sich sehr gut als eine Haltung entfalten läßt, die der Hoffnung eine gewisse Erdung verleiht (humble hopefulness). Im Deutschen dagegen verweist die Herkunft von Demut auf die Gesinnung des Dienenden und damit auf menschliche Hierarchien, was vermutlich der Aneignung dieser Tugend heutzutage eher hinderlich ist. Floyd entwickelt in seinem Buch eine Hoffnung, die sowohl geerdet ist, der Erde und ihren Bedürfnissen nah, als auch der göttlichen Schaffenskraft (divine creativity) zugewandt und also mit dem gewissen religiösen Überschwang versehen, ohne den die Hoffnung keine christliche Tugend wäre. Die Balance zwischen diesen Polen bestimmt die gesamte Untersuchung.
Wie es sich für eine wissenschaftliche Arbeit schickt, erarbeitet er sich seinen Weg in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen, hier vor allem Jürgen Moltmann und Sallie McFague. Dem gehe ich hier natürlich nicht im Einzelnen nach, sondern skizziere lediglich das Ergebnis. Beide landen auf je einer anderen Seite der aufgegebenen Balance: Moltmann zeichnet nachdrücklich die Hoffnung nach, aber die konkrete und auch spannungsreiche und tragische Schöpfung wird von der eschatologischen Vision gleichsam aufgesogen. McFague dagegen gerät in ihrer begrüßenswerten Aufmerksamkeit auf die Verflechtung alles Irdischen die Wirkungskraft der göttlichen Gnade aus dem Blick, ihre Hoffnung ist zu strikt an das Irdische geknüpft, um der Erlösung noch genügend Raum zu gewähren.
Wie immer bei solchen Abgrenzungen ließe sich vielerlei anmerken, aber darum soll es hier nicht gehen. Wichtig ist, daß Floyd seine eigene Vorstellung von der nötigen Balance zwischen Demut und Hoffnung nun konstruktiv entfaltet. Zunächst mit Blick auf die Demut im kosmischen Prozess. Diesen Ausdruck zieht Floyd dem Begriff „Schöpfung“ vor, weil er den Blick von der Erde hinweg lenkt auf den Kosmos, das Universum insgesamt. Denn wir waren und sind, auf die eine oder andere Weise, eingebunden in kosmische Prozesse. In einer sehr anschaulichen Darstellung, die von Calvin (Floyd gehört der reformierten Presbyterian Church an) bis zu modernen Prozesstheologie reicht, entwickelt er den Ort des Menschen im Kosmos, wobei er ausdrücklich vermeiden will, alles auf eben den Menschen zu zentrieren. Vielmehr liegt ihm auch an der Vergänglichkeit und an der Tragik alles Lebens, an der „Solidarität mit dem Staub“. Die andere Seite der Balance kommt nun in der Betrachtung der Schönheit zum Zuge. Hier befinden wir uns im Zentrum dieses Entwurfs und die Lektüre dieses Kapitels sei allen, die hier weiterdenken möchten, ans Herz gelegt. Am Anfang steht das Gedicht „Swan“ von Mary Oliver. Es endet mit den Versen:
„Und hast du es in deinem Herzen gespürt, wie er [der Schwan] zu allem dazugehörte? / Und hast auch du endlich herausgefunden, wozu Schönheit gut ist? / Und hast du dein Leben verändert?“
Damit ist auch schon der Ton für dieses letzte Kapitel gesetzt. Die Hoffnung wird zunächst ganz traditionell von den theologischen Traditionen des Gerichts und der Erlösung her entfaltet. Dann wird sie im Blick auf das erlöste Selbst erörtert, auch hier wieder mit vielen Verbindungen zur Prozesstheologie. Schliesslich steht dann die Schönheit im Zentrum. Allerdings ist das keine harmlose Schönheit, die nur dem Auge gefällt. Sie enthält Verletzlichkeit, Leiden und Tod. Sie steht eben damit für die unabänderliche Eingebundenheit in das große Ganze (Demut) und zugleich für den Aspekt der Hoffnung in diesem großen Ganzen. Und so steht am Ende wieder die kreative Kraft des Göttlichen im Fokus: Gott steht für die „Wirksamkeit des Schönen“ und darin – und nur darin – besteht unsere Hoffnung.
Es ist deutlich, daß der Schwerpunkt nicht auf ethischen Fragen liegt, auch wenn der Epilog den Titel „Die Neue Schöpfung praktizieren“ trägt. Vielmehr trägt dieser Entwurf, der sich innerhalb gegenwärtiger theologischer Diskussionen und angesichts des Klimawandels positioniert, eine interessante spirituelle Handschrift.
Chris Doran untersucht die „Hoffnung im Zeitalter des Klimawandels“ und zwar ausdrücklich diesseits der Auferstehung. Das ist weniger selbstverständlich als man denken möchte. Tut sich doch oft ein Graben auf zwischen der Auferstehungshoffnung und der Sorge um die geschaffene Welt. Eben hier will Doran gegensteuern. Insofern teilt er den balancierenden Ansatz von Richard A. Floyd. Deutlicher als bei diesem wird aber die Auferstehung auch als Glaubensgegenstand fest verankert, ja als Fundament des christlichen Glaubens verstanden. In Anknüpfung an Charles Taylors Konzept der Gesellschaftsbilder (social imaginaries) möchte er ein solches theologisches Glaubensbild zeichnen, das dann auch christliche Gesellschaftsbilder befördert, die sich um die geschaffene Welt und ihre Gerechtigkeit kümmern.
Die Auferstehung Jesu ist zunächst deshalb das Fundament der Hoffnung, weil sie deutlich macht, wer Gott wirklich ist. Er zeigt sich in der ganzen Bibel als der gute Schöpfer und der gerechte Erlöser und bekräftigt das nun eben in der Auferstehung. Die Schöpfung wurde schon in der Menschwerdung Gottes, der Inkarnation, in ihrer konkreten Körperlichkeit gewürdigt. Erst recht ist nun die Auferstehung als eine Transformation in ein neues, immer aber irgendwie körperlich zu denkendes Dasein, eine solche Würdigung. Aber auch Gottes Gerechtigkeit wird nun noch einmal deutlicher sichtbar, weil das zutiefst ungerechte Todesurteil in der Auferstehung aufgehoben wird, und weil das Leben aller in seiner irdischen Endlichkeit nicht eingeschlossen bleibt. Die Hoffnung nun ist eine Erwartung des Guten, die zugleich auf dessen Eintreten vertraut und sich bis zu diesem Eintreten in Geduld übt. Erwartung, Vertrauen, Geduld – das sind die wesentlichen Faktoren biblischer Hoffnung, wie sie etwa an Abraham von Paulus deutlich gemacht wird (Brief an die Römer, 4. Kapitel). Sie ist in dem allen aber nicht passiv, sondern aktiv. Vor allem aber ist sie auch kritisch, nämlich im Blick auf die Gegenwart. Wenn sie sich auf die Überwindung des Todes und des Bösen durch Gott richtet, schärft sich der Blick auf gegenwärtiges Unrecht. Hoffnung ist weder Optimismus noch Vermessenheit. Hier bringt Doran einen interessanten Gedanken ins Spiel.23 Die Auferstehung ist ein Ereignis in dieser Welt. Viel zu oft bringt man sie – vermutlich auch durch die „Himmelfahrt“ – mit einer Bewegung aus dieser Welt in Verbindung. Wenn man sie aber in ihrer innerweltlichen Bedeutung ernst nimmt, dann muß auch die Vision von Gerechtigkeit und Erlösung, die sich im Reich Gottes Ausdruck verschafft, bereits in dieser Welt sich zeigen und auch tätig befördert werden. Und hier kommt nun die Sorge für die Schöpfung ins Spiel: Es sind gerade die komplizierten und komplexen Herausforderungen des Klimawandels, die in besonderer Weise von einer solchen innerweltlich aktiven Auferstehungshoffnung profitieren. Denn diese Herausforderungen erfordern einen langen Atem. Viele Schritte, die wir jetzt unternehmen, werden erst sehr viel später wirksam werden. So wie die Erderwärmung ein Effekt ist, der sich aus unzähligen einzelnen Handlungen und ihren Folgen zusammensetzt, so muß auch das Gegensteuern aus unzähligen sehr kleinen und zunächst unscheinbaren Handlungen bestehen. Zwar kann man auch solche kleinen Effekte mit einer rein innerweltlich orientierten Erwartungshaltung verknüpfen. Aber gerade weil der Horizont dieser Herausforderungen jenseits unseres sehr endlichen Daseins liegt, läßt sich die christliche Vorstellung von einer Auferstehung, die grundsätzlich diese Endlichkeit überwindet, besonders gut mit dem Blick über diesen Horizont verbinden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Doran die Wirksamkeit theologischer Bilder im Blick auf Gesellschaftsbilder denkt.24
Und an dieser Stelle kommt nun, wie bei Floyd, die Demut ins Spiel. Statt uns mit großspurigen Titeln wie „Haushaltern“ (stewards) der Schöpfung zu schmücken, die uns ohnehin niemand abnimmt, wäre eine andere Besinnung notwendig, die uns noch einmal stärker auch mit der Schöpfung, für die wir Sorge tragen sollen, verknüpft. Auch hier wird die enge Verbindung von Mensch, Erde und Demut betont, die sich in der englischen Sprache schon klanglich zeigt (humans, humus, humility). Am Ende zeigt uns die Demut, wie wir als Menschen sein sollen. In fünf Punkten wird das verdeutlicht: 1) indem wir die Schöpfung wirklich als ein Geschenk göttlicher Gnade begreifen und dankbar dafür sind; 2) diese Dankbarkeit weist uns dann auch einen Platz in der Schöpfung an, der eben nicht durch Herrschaft und Anmaßung bestimmt ist, sondern durch Sanftheit und Freundlichkeit (Johannes Chrysostomos); 3) wir dürfen uns durchaus auch unserer Besonderheit bewußt werden: wir können, vermutlich anders als andere Geschöpfe, einen Blick auf das Ganze der Schöpfung werfen, sie im Ganzen zu denken versuchen, aber auch dies gelingt immer nur stückweise und in Annäherung; 4) der große Gedanke, als Ebenbild Gottes erschaffen zu sein, sollte immer mit dem Bild Gottes im Wirken Jesu und in seinem Kreuz verknüpft werden, in dem sich Gott als dienend und verwundbar zeigt; 5) schließlich werden wir uns unserer Geschöpflichkeit bewußt, die sich in all ihrer Verletzlichkeit und Gefährdung in der Gegenwart zeigt und zugleich doch auch in der Hoffnung Kraft verleiht, diese Gefährdung zu überwinden. – An diese Einübung in die Demut schließt sich dann noch ein Abschnitt zur Sünde im ökologischen Sinne an (Ecological Sin). Im Ganzen dürfte dieses fünfte Kapitel das Zentrum des Buches darstellen und wird der aufmerksamen Lektüre empfohlen.
Die weiteren Kapitel widmen sich konkreten Handlungsfeldern, der Ökonomie, der Nahrung und der christlichen Gemeinschaft. Einiges davon wird uns im Kapitel über die Kirche beschäftigen. Chris Dorans Entwurf zeichnet sich durch eine sehr intensive Verknüpfung von ethischen und dogmatischen Problemen aus, die jeweils konkret in ihrer Verbindung durchdacht werden. Auch hier schwingt immer ein spiritueller Unterton mit, der durch die Freude an der Vielfalt der Schöpfung, die Dankbarkeit für all ihre Wunder, aber auch die Klage über ihre drohende Zerstörung geprägt ist.
Kristen Poole hat vor allem die künftigen Generationen im Sinn. Eine goldene Regel 2.0 ist an der Zeit, um eine „Zukunft mit Hoffnung ermöglichen“, wie es der Untertitel anmahnt. Das geschieht in fünf Schritten.
1) Zuerst wird eine christliche Haltung, eine christliche Antwort auf den Klimawandel erarbeitet. Wichtig ist es vor allem, ihn als Teil des religiösen und spirituellen Lebens zu etablieren. Das schließt auch einen konstruktiven Umgang mit Fehlern der Vergangenheit ein, individuellen und kollektiven. Das Thema „Sünde“ muß von hier aus neu erschlossen werden. Wichtig ist, sich in seiner je eigenen konfessionellen christlichen Tradition zu bewegen und hier den Klimawandel einzubinden. Täter und nicht nur Hörer sein: das ist die Botschaft des Evangeliums.
2) Das (westliche) Christentum ist es nicht gewohnt, über eine irdische Zukunft als Herausforderung nachzudenken. Das soll mit der Vorstellung der Wiederkunft Christi befördert werden. Diese Erwartung, vielfach bezeugt im Neuen Testament und zwar als sichere Erwartung noch zu Lebzeiten der ersten Christ:innen, wurde bekanntlich in dieser Form nicht erfüllt. Darin besteht das Ärgernis (embarassment). Es bedarf daher einer Neufassung dieser Wiederkunft (Parousie), da eben sie das „mystische Ökosystem“ bezeichnet, in dem wir leben und in dem Menschliches und Göttliches über die Zeit(en) hinweg integriert sind. Ein ähnlicher Gedanke wie bei Chris Doran: In diesem Geist der Wiederkunft können wir die vielen kleinen Schritte, die Tat für Tag erforderlich sind, als Schritte verstehen, die sowohl irdische wie himmlische Bedeutung haben.
3) Wir müssen uns also in eine größere zeitliche Erstreckung einordnen, über Genrationen hinweg. Das heißt aber auch, die einseitig lineare Zeit neueren westlichen Denkens zu überwinden, was sehr eindrücklich an Salomons Tempel verdeutlicht wird (79–83). Das Neue Testament dagegen insistiert auf der Gegenwart, der jetzigen Generation. Wir müssen daher die generationenübergreifende Sicht der hebräischen Bibel wiedergewinnen und zwar innerhalb und als Teil der natürlichen Welt. Dafür kann die Liturgie hilfreich sein. Sie spielt ja in der anglikanischen Kirche eine sehr herausragende Rolle und repräsentiert bereits eine komplexe Zeitlichkeit (vgl. bes. 90f). Nun gilt es, eine „Liturgie der Zukunft“ zu entwerfen, die eben diese kommenden Genrationen in ihre Zeitlichkeit mit hineinnimmt.
4) An dieser Stelle muß auch über Individualismus und Individualität nachgedacht werden. Ganz so einfach wie es Bill McKibben vorschlägt (das wichtigste, was ein Individuum im Blick auf den Klimawandel tun kann, ist aufzuhören, ein Individuum zu sein), will es sich Poole aber nicht machen. „Generationen“ sind tatsächlich nicht aufeinanderfolgende Blöcke, sondern variable Einheiten, in denen stets neu Individuen und Kollektive miteinander interagieren. Die Frage sollte also lauten, wie die eigene Individualität mit dieser Gruppenzugehörigkeit fruchtbar verbunden werden kann. Die Moderne ist durch eine zunehmende Fokussierung auf das Subjekt gekennzeichnet, zugleich wird auch Gott zunehmend personal gedacht. Ziel ist aber nicht das Aufgeben der Individualität, sondern die Wiederentdeckung der eingebetteten Person, die verwoben ist in das Gewebe der Schöpfung. Ein wichtiger Gedanke: eine Ethik, die künftige Generationen tätig im Blick hat, kommt nicht schon durch das bloße Denken an diese kommenden Menschen zustande. Sie braucht auch eine neue Sicht auf unsere eigene Identität als Individuen, und als untrennbar mit anderen Menschen und anderen Lebewesen über Gottes Zeit hinweg.
5) In diesem Kapitel wird alles miteinander verbunden, unter dem Motto aus dem 4. Kapitel des Briefs an die Römische Gemeinde: „Hoffen gegen alle Hoffnung“. Anders als bei Abraham, der sich die nach menschlichen Maßstäben unwahrscheinliche Verheissung von Nachkommenschaft vertrauens- und hoffnungsvoll aneignete, hat Gott uns nie eine planetarische Stabilität zugesagt, auf die wir unsere Hoffnung richten könnten. Im Gegenteil: Der Ausgang der Paradieserzählung ließ eine durchaus schwierige und entbehrungsreiche Beziehung zur Erde erwarten. Insofern empfiehlt es sich, auch das fünfte Kapitel des Römerbriefes anzusehen, aus dem deutlich wird, daß Hoffnung das Ergebnis von Bedrängnis, Geduld und Bewährung ist. Und eine solche Hoffnung braucht eine Geschichte, eine „story“: die Auferstehung. Diese Geschichte ist aber keine einfache Erzählung, sondern komplex und spannungsreich. Eben darum geht es in diesem Kapitel, das höchst anschaulich eine Profilierung der Geschichte des Ikarus mit der Geschichte der Auferstehung vornimmt, nicht zuletzt anhand von einigen aussagekräftigen Bildmeditationen. Hier kommt die Kompetenz der Erforscherin frühneuzeitlicher Literatur sehr nachdrücklich zur Geltung. Ich konzentriere mich hier auf die biblischen Auferstehungsgeschichten.
Aufschlußreich ist zunächst einmal der Vergleich der Auferweckung des Lazarus und der Auferweckung Jesu (beide nach dem Evangelium des Johannes): Während die erste in allen Einzelheiten geschildert wird, ja während Jesus hier eine nachgerade theatralische öffentliche Inszenierung dieses Wunders vollzieht, erfahren wir von der Auferstehung Jesus: nichts. Also: fast nichts, jedenfalls keinerlei Einzelheiten des Vorgangs selbst. Es ist, wie Poole sehr plastisch sagt, eine Geschichte mit einer Lücke, die so leer ist wie das Grab. Johannes’ Geschichte der Auferstehung Jesu enthält keine Auferstehungsgeschichte. Nur indirekt erfahren wir ein wenig mehr, und das ist bei den anderen Evangelien im Grunde nicht viel anders. – Und nun folgt ein ebenso schlichter wie faszinierender Schluß: Die eigentliche Auferstehung findet in Johannes 21 statt – ein vermutlich nachträglich angefügter Text – beim Fischbarbecue am Seeufer. Keine spektakulären Ereignisse, sondern ein Beisammensein im Zeichen der Versöhnung und Vergebung, alltäglich in der Aussicht auf das Kommende. Insbesondere Petrus, der zunächst einmal ins Wasser springt, als er hört, daß der Herr anwesend ist, wird versöhnt mit seinem dreifachen Verleugnen Jesu. Ein sehr eigenwilliger Text, traumartig, liebenswürdig, nahezu idyllisch. Aber doch auf seine Weise bodenständig und geerdet.
Die Herausforderungen des Klimawandels werden ebenfalls nicht durch spektakuläre Wunder bewältigt, durch ein übernatürliches Eingreifen von wem auch immer. Sie werden bewältigt durch die fortdauernde Bemühung darum, das Richtige zu tun: Wie die nervende Witwe im Lukasevangelium (Kapitel 18); mit den Gaben, wie sie jeder und jede hat, wie es Paulus im ersten Brief an die Korinther beschreibt (Kapitel 12). Und schließlich in den einfachen Worten des Propheten Micha: „Gerechtigkeit üben und in Holdschaft lieben und bescheiden gehen mit deinem Gott!“ (Kapitel 6; Buber/Rosenzweig). Da dauert es schon einmal ein dreiviertel Jahr, bis man in seiner Gemeinde die Stromversorgung durch erneuerbare Energien durchgesetzt hat. Aber eben dies sind die Schritte in eine lebenswerte Zukunft. Hierin baut sich Hoffnung auf, für die wir etwas tun können und für die wir etwas tun müssen. Gott braucht uns.25
„Es ist wagemutig und es erfordert Hartnäckigkeit, eine Vision für eine Welt zu haben, die wir physisch nicht sehen können. Es erfordert Mut, alte Wege in Frage zu stellen und eine bessere Zukunft aufzubauen. Und es erfordert Liebe, die Quelle der transformativen Kraft – Liebe zu uns selbst, zu unseren Mitmenschen und zu den Orten, die wir unser Zuhause nennen“.26 Diese Sätze der politischen Aktivistin Gloria Walton sind nicht aus einer christlichen oder religiösen Perspektive gesprochen. Man sieht aber ganz gut, wie sich die hier entwickelte christliche Hoffnung dort einpassen könnte. Die Hartnäckigkeit der vielen kleinen Schritte in eine Richtung, die nur in Umrissen erahnbar ist, paßt sehr gut zur tätigen Hoffnung auf das Reich Gottes, das auch im Irdischen schon sichtbar werden soll. Die Abkehr von alten Wegen ist ein Hauptmotiv der jüdischen und der christlichen Bibel. Und die Liebe als transformative Kraft gehört als göttliche Liebe, die sich in den Wegen Jesu und seiner Gemeinde zeigt ebenfalls zum Kernbestand christlicher Selbst- und Weltdeutung. Das heißt nun nicht, daß diese Sätze christlich vereinnahmt werden sollen. Sie stehen sehr gut da, so wie sie eben stehen. Aber es zeigt sich, daß es bei der hier entwickelten christlichen Hoffnung auch nicht nur um eine christliche Binnenperspektive geht, die nach außen gar nicht zu vermitteln wäre. Das wäre auch denkbar schlecht, da sich die gegenwärtigen Herausforderungen überhaupt nicht aus irgendwelchen Binnenperspektiven allein angehen lassen, so wichtig diese sind. Noch wichtiger aber ist es, darauf zu sehen, daß solche Binnensichten auch verständlich gemacht werden und daraufhin angesehen werden, wo sich Verbindungen ergeben, in praktischer aber auch in weltanschaulicher oder spiritueller Hinsicht.
Die Hoffnung ist in all ihrer hier nachgezeichneten Erdung doch auch eine sehr innere Einstellung, die viel mit unserem Seelenleben zu tun hat. Daher sollen nun noch einige Akzente aus der gegenwärtigen Diskussion des Klimawandels in der Psychologie gesetzt werden. Bücher über „Klimagefühle“ oder „Klima im Kopf“27 gehören zu einem stark wachsenden Feld einer „Psychologie der Klimakrise“28. Was kann man dort über die Hoffnung lernen?
Zunächst einmal gehört Hoffnung zu den „positiven“ Emotionen wie auch Stolz, Freude und Dankbarkeit.29 Neben den Unterscheidungen in angenehme und unangenehme Emotionen spielt eine wichtige Rolle, ob sie aktivierend oder handlungshemmend sind. Auch tragen sie in der Regel dazu bei, kreativer und flexibler auf gedankliche Herausforderung reagieren zu können. Sie haben auch eine soziale Komponente, da soziale Abgrenzungen in ihrem Licht als weniger wichtig erscheinen. Sie werden nicht zuletzt durch ein „emotionales Storytelling“ geweckt. Was nun speziell die Hoffnung betrifft, ist – nicht anders als in der theologischen Diskussion – umstritten, ob sie vorwiegend kognitiv oder emotional verstanden werden soll. Interessanterweise ist sie bislang im Rahmen der Klimakrise noch nicht sehr gründlich erforscht worden. Auch in der Psychologie kennt man eine Hoffnung, die Aktivitäten eher lähmt, nämlich wenn sie mit Sorglosigkeit verbunden ist. Sehr schön ist die Bezeichnung für den Verlust einer solchen „falschen“ Hoffnung: „kreative Hoffnungslosigkeit“. Denn richtig „sinnvoll“ wird die Hoffnung erst im Zusammenhang mit konkreten Lösungswegen. Dann erst kann sie ihr ganzes Potential entfalten und auch zur Stressbewältigung dienen.
Man sieht leicht, wie viel psychologische Klugheit in den hier vorgestellten Entwürfen zur christlichen Hoffnung steckt. Auch hier ist es sinnvoll, das religiöse Nachdenken mit den Überlegungen der Psychologie zu profilieren. Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um Lernprozesse. Halten wir daher noch einmal die wichtigsten Einsichten zur christlichen Hoffnung vor dem Hintergrund der psychologischen Diskussionen fest: Hoffnung ist eine positiv gestimmte Erwartung. Sie richtet sich als religiöse Hoffnung auf eine Sphäre des Göttlichen, die zwar in dieser Welt wirksam ist, aber diese Welt auch immer überschreitet (transzendiert). Sie wird somit selbst auch zum Antrieb einer Transformation und Überschreitung der eigenen beschränkten Welt (Selbsttranszendenz). Diese Überschreitung von Grenzen kann sich in der Welt auf menschliche Gruppen aber auch auf die Grenzen zur nicht-menschlichen Welt beziehen. Die Hoffnung ist in dem allen eine tätige Einstellung, die Gefühl, Erkenntnis und Willen betrifft. Sie motiviert zu einer Umstellung eigenen Handelns im Angesicht kommender Generationen. Sie weiß sich dabei nicht nur in die Welt (der Menschen, der Lebewesen, des Planeten) eingebettet, sondern ist auch eingewoben in die erzählten Erfahrungen der Tradition und die erzählten Erwartungen des Kommenden. Für die christliche Hoffnung spielt die Auferstehung Jesu und seine Wiederkunft eine entscheidende Rolle. Beides wird nicht als rein individuelles Ereignis verstanden, sondern wird verbunden mit einer Vorstellung des anbrechenden und sich vollendenden Reiches Gottes. Das Vertrauen auf die hier aufscheinende Wirksamkeit des Göttlichen lähmt aber nicht, sondern befördert das eigene Handeln und verleiht ihm die Flexibilität, den Einfallsreichtum und die Widerstandskraft, die für die Herausforderungen des Klimawandels nötig sind.
In seinem Buch „Embracing Hopelessness“ (2017) zeichnet Miguel De La Torre ein düsteres Porträt der Gegenwart.30 Mit einem quälend präzisen Blick in fünf Territorien der Hoffnungslosigkeit stellt er sich er jedem voreiligen Optimismus entgegen, ja eigentlich will er sogar die Rede von der Hoffnung überhaupt hinter sich lassen. In der faktisch existierenden „Hölle auf Erden“ besteht für eine solche Hoffnung kein Anlass, geschweige denn ein Grund. Nur dann, wenn man sich diese Analyse zu eigen macht, also die Hoffnungslosigkeit voll und ganz akzeptiert, gewinnt man Raum zu einer befreienden Praxis, auf die es am Ende allein ankommt. Man sieht leicht, dass hier Motive mittelalterlicher Vorstellungen von der ewigen Verdammnis verarbeitet werden. Wenn bei Dante über dem Eingang zur Hölle steht, dass man alle Hoffnung fahren lasse soll, dann zeigt das eben die unabänderliche Endgültigkeit der Verdammnis (im Unterschied zum Fegefeuer, das am Ende die Geläuterten in den Himmel eintreten läßt). Wie immer in der Theologie tut es der differenzierten Weltwahrnehmung nicht gut, wenn sie mit Absolutheitsdimensionen befrachtet wird. Denn wollte man mit der diagnostizierten Endgültigkeit der „Hölle auf Erden“ wirklich Ernst machen, bestünde keinerlei Anlass, überhaupt befreiende Praktiken in Angriff zu nehmen. De La Torre scheint das selbst auch zu merken, wenn er dann doch einräumt: „because we cannot discern the future with any accuracy, and because the future is not determined, we can only and boldly engage in liberative praxis within the now – and hope for the best" (140). Was ihn an der üblichen Konzeption der Hoffnung stört, ist aber eben ihre spezielle Art der Zukunftsorientierung, die nach seiner Meinung die Aufgaben der Gegenwart an den Rand drängt. Ob sich jedoch Handlungen überhaupt denken lassen ohne jede (und sei es noch so kurzfristige) Vorstellung von einem künftigen Zustand, der durch eben diese Handlung erreicht werden soll, das wäre noch zu diskutieren.
Immerhin muss sich auch das Konzept einer „geerdeten Hoffnung“ diesem De La Torre’schen Stresstest unterziehen, wenn es realistisch bleiben will. Und theologisch wäre weiter zu diskutieren, ob nicht auch jede Vorstellung von Gott sich einem solchen Stresstest unterziehen müsste. Denn so wie es zweifellos illusionäre Hoffnungen gibt, so gibt es auch illusionäre Gottesvorstellungen. Beides hängt mitunter auch eng zusammen, etwa in der „Daddy wird’s schon richten“-Variante. Und damit wären wir auch schon bei der Apokalypse. Die Vernichtung der Welt wird hier als göttliches Gericht über die Welt in martialischen Bildern ausgemalt. Von befreiender Praxis in dieser Welt ist da schon lange keine Rede mehr. Die einzige Hoffnung, die noch bleibt, besteht darin, auf der richtigen Seite zu stehen, unterfüttert allenfalls durch das in den Sendschreiben angemahnte Standhalten und Ausharren. Die Hoffnung überquert damit eine tiefe Disruption zwischen dieser Welt, die der Vernichtung anheimfällt und jener Welt, die neu geschaffen wird, und die all jene bewohnen dürfen, die in Hoffnung stark geblieben sind. Die Konter-Apokalypse in der Fassung von Catherine Keller hätte dann ihr Fundament in einer Hoffnung, die der drohenden Weltvernichtung eine befreiende Praxis entgegensetzt, von der sie hofft, dass eben durch diese Praxis die Drohung nicht eintritt. Die drohende Zukunft fungiert als die Motivation, sie zu vermeiden. Und sie muss dann wohl als eine solche Zukunft gedacht werden, die tatsächlich vermeidbar ist. Wenn sie aber vermeidbar ist, dann scheint neben ihr (vor ihr? über ihr?) eine andere Zukunft auf, die eben nicht mehr drohend, sondern verheißungsvoll ist, weil sie eine bessere Zukunft ist, auf die sich eine (begründete und geerdete) Hoffnung zu beziehen vermag. Ein Stresstest ist das auf seine Weise auch, wenngleich nicht ganz so harsch wie in der Fassung von Miguel De La Torre.
Die Theologie hat jedenfalls allen Grund, sowohl der „kupierten Apokalypse“ popkultureller Dystopieverliebtheit wie der weltablehnenden Erlösungsphantasie mancher evangelikalen Kreise eine zukunftsfähige Konter-Apokalypse entgegenzuhalten, die mit einer stressresilienten Hoffnung an einem lebensdienlichen Planeten im Zeitalter des Anthropozäns co-kreativ mitarbeitet.