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Kirchenordnungsfragen nicht zu hoch hängen

Interview zum digitalen Abendmahl mit Christoph Markschies

Published onMar 09, 2021
Kirchenordnungsfragen nicht zu hoch hängen
Prof. Markschies: Zum Abendmahl im Digitalen

Christoph Picker: Herr Professor Markschies, Sie twittern. Ich habe einen Tweet aus dem Jahr 2017 ausgegraben. Da reagieren Sie auf ein Wahlplakat der FDP: Christian Lindner mit dem Smartphone in der Hand und dem Slogan: „Digital first. Bedenken second.“ Sie kommentierten das folgendermaßen: „Denken erst an zweiter Stelle? Das kann doch eigentlich nicht ernst gemeint sein? Und wie soll digital eigentlich gehen ohne Denken?“ Würden Sie das auch für das digitale Abendmahl einfordern: Erstmal nachdenken und die Bedenken berücksichtigen, dann digitalisieren? Oder sollen wir mit dem digitalen Abendmahl fröhlich drauflos experimentieren und erst danach über unsere religiösen Erfahrungen damit reflektieren?

Christoph Markschies: Da muss ich einen ‚Disclaimer‘ anbringen: Im letzten April habe ich als Vorsitzender der Kammer für Theologie der EKD viel mit dem Thema zu tun gehabt und deswegen auch viel gesehen und gelesen. Das ist zwar nur ‚Low Level Experience‘, aber mein Eindruck ist, dass viele, die da etwas gemacht haben, sehr genau nachgedacht haben. Ich verdeutliche das an Jochen Arnold und dem Evangelischen Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik Hildesheim. Die haben eine sehr ambitionierte Form des digitalen Abendmahls entwickelt – einschließlich von Einsetzungsworten als Podcast, worüber man sicher auch in Streit geraten kann. Was man aber nicht bestreiten kann, ist, dass Jochen Arnold von einer lutherischen Abendmahltheologie her, die sehr stark von der Lutherdeutung des Tübinger Theologen Oswald Bayer geprägt und damit hoch voraussetzungsreich ist, wohl bedacht argumentiert. Die Vorstellung, dass irgendjemand an seinen Kühlschrank geht, ein Toastbrot herausholt und einfach mal munter mitmacht – das mag es vielleicht auch gegeben haben. In Hildesheim und in der Hannoverschen Landeskirche aber ist durchaus nachgedacht worden. Das FDP-Plakat war ein Wahl-Gag von Lindner, der sich ein bisschen nach dem Motto darstellen wollte: „Ach ja, da gibt es dann noch die bekloppten Geisteswissenschaftler an den Universitäten, die denken nach. Wir aber als Partei marschieren munter voran.“ Da muss man dann doch mal deutlich sagen: „Leute! Dass es Reflexionskompetenz in der Gesellschaft gibt, ist vielleicht auch nicht schlecht.“

Christoph Picker: Also durchaus eine ernsthafte Diskussion und eine reflektierte Praxis zum digitalen Abendmahl. Dass über das Abendmahl gestritten wird, zum Teil mit enormer Heftigkeit, ist nichts Neues. Das zieht sich durch die gesamte Kirchengeschichte. Woher kommt das?

Christoph Markschies: Um es mit dem schönen Mediziner-Ausdruck zu sagen: Das hat multiple Gründe. Es liegt sicherlich daran, dass es sich beim Abendmahl um eine besondere Form der Präsenz Jesu Christi handelt. Insofern ist es ein Thema von besonderer Würdigkeit und damit auch Streitwürdigkeit. Im Blick auf einen zweiten Grund begebe ich mich in den Bereich der Laienpsychologie und will dementsprechend vorsichtig sein: Wenn es um Dinge geht, die unmittelbar mein Leben und meine Existenz betreffen, dann streite ich jedenfalls auch engagierter. Bei der Frage, ob der Berliner Gendarmenmarkt wieder Rasen haben soll oder ob es auch die übliche Pflasterung tut, diskutiert man nicht in dieser Emotionalität. Zum Dritten verbergen sich hinter dem Abendmahl tatsächlich spannende Probleme. Wie verhält sich reine Materialität – eine Oblate, die bröselt, und ein Wein, der schmeckt oder auch nicht schmeckt – zur Präsenz von etwas, das per definitionem – Stichwort Ubiquität – keine räumlichen Grenzen hat. Da müssen Extreme auf der Skala zusammengehalten werden: Materialität versus Geistigkeit, Begrenztheit versus Unbegrenztheit. Und schließlich ein Viertes: Das Abendmahl ist, ein bisschen wie Corona, ein Brennglas. Wenn man sich das Arnoldshainer Abendmahlsgespräch in den 1950er Jahren anschaut, merkt man: Da spielt Rivalität zwischen Neutestamentlern und Systematischen Theologen – das waren damals ausschließlich Männer – eine Rolle. Wer hat denn hier eigentlich das Sagen? Sind die Neutestamentler in der Lage, das selbst hinzukriegen? Müssen die sich endlich mal durchsetzen? Hinter Abendmahlsdebatten stecken ganz viele Probleme: Konfessionsstreitigkeiten, Disziplinen-Rivalitäten, Fragen der Konvention. Wie direkt gehen wir eigentlich miteinander um? Ist es legitim, dass ich jemanden anderen berühre? Oder möchte ich das eigentlich überhaupt nicht? Wie im Brennglas kommen ganz viele theologische Fundamentalprobleme, aber auch sonstige Fundamentalprobleme zusammen und müssen am Schluss auf eine Viertelstunde Liturgie heruntergebrochen werden.

Christoph Picker: Ihre vier Punkte leuchten mir sehr ein. Ich hätte noch einen Vorschlag für einen fünften: Thomas Kaufmann hat geschrieben, dass der Abendmahlsstreit die ‚Grundlagenkrise‘ der Reformation sei. Kann es sein, dass wir als Protestanten in Sachen Abendmahl traumatisiert sind? Dass es da immer gleich um die Identität und um die Angst vor massivsten Konflikten geht? Und dass deshalb sofort alle Alarmglocken schrillen?

Christoph Markschies: Ja, aber auch noch etwas Anderes. Ich werde nie vergessen, dass wir – als ich noch in Jena war – den Bonhoeffer-Schüler Wolf-Dieter Zimmermann zu Gast hatten. Der erzählte von der Erfahrung, wie sie damals in der Bekennenden Kirche als Lutheraner mit Reformierten Abendmahl feierten und engste Gemeinschaft haben konnten, nicht aber mit ihrem lutherischen Amtsbruder aus der Nachbarkirche, der bei den Deutschen Christen war. ‚Grundlagenkrise‘ trifft also nur die eine Hälfte. Die andere heißt: Glück. Man denke an die Wittenberger Konkordie – das Glück der Konkordien seit dem 16. Jahrhundert –, auch die Entwicklungen in der Pfalz. Auf der einen Seite steht der traumatische Schmerz der Trennung, auf der anderen Seite aber auch das Glück. Ich hatte das Arnoldshainer Abendmahlsgespräch erwähnt: die Begeisterung darüber, dass die Gruppe der Neutestamentler den Systematischen Theologen mal sozusagen eins ausgewischt hat. Günther Bornkamm und Joachim Jeremias – völlig unterschiedliche neutestamentliche Traditionen – haben denen vorgeführt, was Exegese zu leisten vermag. Das Glück der Mittagspause, wie bei der Vorbereitung der Barmer Theologischen Erklärung: Die anderen schlafen und wir haben das geschafft. Beides also: Krise und Glück. Reden müssen wir sicher auch über die Frage des Amtes. Wie verstehen wir das in der evangelischen Kirche? Thomas Kaufmann hat sicher auch insofern recht, als viele ungeklärte oder halbgeklärte Fragen in der evangelischen Theologie immer wieder aufs Tapet kommen. Dazu gehört sicher auch die wunderbare Frage: Wer darf das Abendmahl einsetzen? Oder unabhängig vom Abendmahl: Dürfen Vikare segnen? Dürfen sie die Kreuzform verwenden? Oder dürfen sie nur um den Segen bitten, kein Kreuz schlagen und nicht die Arme ausbreiten? Wird der Segen erst gültig, wenn er von einem Ordinierten oder einer Ordinierten gespendet wird? Während meiner Ausbildung in Württemberg war das eine Frage.

Christoph Picker: Eine der historisch bedeutsamsten Streitfragen ist die nach der Materialität, Körperlichkeit und Leiblichkeit des Abendmahls.

Christoph Markschies: Das Großartige an der Digital-Debatte ist – jedenfalls aus der Sicht eines Historikers –, dass sie eine Frage aus der mittelalterlichen Theologie fokussiert, die bisher nur Spezialisten bekannt war: Reicht sehen? Ich denke da beispielsweise an die berühmten Schaureliquien, die bis heute die Aachener ‚Heiltumsweisung‘ prägen: In Aachen – und in Kornelimünster – werden Reliquien gezeigt. Was passiert da eigentlich? In der mittelalterlichen Theologie wurde das ausführlich diskutiert. Hinter dem Stichwort ‚Digital-Abendmahl‘ verbergen sich ganz unterschiedliche Formen. Aber es verbirgt sich immer auch die Frage dahinter: Aus welcher Distanz kann ich eigentlich etwas sehen, so dass es wirksam wird? Sie merken, das ist meine Berufs-Ratio als Historiker, dass ich immer sage: „Das war schonmal da!“

Christoph Picker: Johannes Chrysostomos schrieb im vierten Jahrhundert zum Abendmahl: „Wir teilen das Fleisch mit der Hand und unsere Zunge wird vom schauererregenden Blut gerötet.“ Auch in der mittelalterlichen Mystik, bei Luther, im Pietismus geht es um mehr als um das ‚Sehen‘. Zum Teil in sehr drastischen Formulierungen. Woher kommt dieses Interesse am Körperlichen?

Christoph Markschies: Da muss man jetzt sehr generell antworten – und dann wird es natürlich auch schrecklich verallgemeinert. Eine aus den Quellen des Judentums geschöpfte Religion und Theologie ist zwangsläufig körper- und leiborientiert. Das Christentum ist nicht nur eine Professoren-Religion, in der beispielsweise ein Origenes dasitzt und über die Frage diskutiert: Wie ist denn das eigentlich mit dem Logos? Das Christentum ist eine auf Gemeinschaft angelegte Religion, die sich im Leben realisiert, bei der Schöpfung und leibliche Existenz eine Rolle spielen. Das Abendmahl – das kann man bei Chrysostomos sehr gut sehen – ist einer der Schnittpunkte. Ohnehin ist der antike Gottesdienst relativ konkret. Zum Beispiel: Sie kommen in die Kirche hinein und am Eingang stehen die Büßer. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen: Alle Priester des Erzbistums Köln, die sich schuldig gemacht haben, stehen am Eingang des Kölner Doms, tragen ein graues Büßergewand und können dort gesehen werden. Das ist in der Antike also ohnehin viel, viel konkreter als heute. ‚Schauererregende Mysterien‘, wie Chrysostomos schrieb. Über das Schauerliche wurde auch in Arnoldshain noch diskutiert: Kann man das Abendmahl ‚sich selbst zum Gericht‘ essen oder kann man das nicht? Und wie ist das mit der ‚Manducatio Impiorum‘, also mit der Frage, ob beim Abendmahl auch diejenigen den Leib und das Blut Christi empfangen, die nicht oder nicht richtig glauben – nämlich zum Gericht. Dass solche Fragen heute nicht mehr so breit in der Abendmahlstheologie verhandelt werden, ist ja vielleicht auch gut. Leiblichkeit, das versteht man heute immer noch, hat wunderbare und schöne Seiten – ich treffe jemanden, den ich schon lange nicht mehr gesehen habe, nehme ihn in den Arm und drücke ihn –, aber Leiblichkeit hat natürlich auch etwas Schreckliches. Wenn wir über sexuellen Missbrauch reden, wird unübersehbar klar: Es gibt auch schreckliche Formen von leiblicher Nähe. Das ist nicht nur eine ‚Eiapopeia‘-Gemeinschaft – beim Abendmahl wird auch das deutlich. Bis hinein in die aus unserer Sicht etwas absurden mittelalterlichen Geschichten, dass eine Hostie blutet und dass klar ist, dass es sich nicht nur um ein pappiges Stück Brot handelt.

Christoph Picker: Lassen sich diese ambivalenten Dimensionen von Leiblichkeit digital abbilden? Oder gibt es im Digitalen und beim digitalen Feiern des Abendmahls eine Tendenz zur Entleiblichung, zur Spiritualisierung und zur Intellektualisierung dessen, um was es eigentlich geht?

Christoph Markschies: Ich bin kein Medientheoretiker, sondern Kirchenhistoriker und habe meine individuellen Erfahrungen mit dem Abendmahl gemacht. Ich würde das als gradierte Skala beschreiben. Meine allerersten Erfahrungen – vor dem Kirchentag in Nürnberg 1979 – waren Erfahrungen mit dem Abendmahl als ‚Anhang‘ zum Gottesdienst in der Dorfkirche. Mit abgedunkeltem Licht und mit lauter alten Leuten. Da wird man auch nicht von einem großen Gemeinschaftserlebnis sprechen können. Man kniete auf einer samtbezogenen Bank. Helmut Gollwitzer – ich weiß das noch ganz genau – stolperte über seinen Talar, versuchte, einem irgendwie eine Oblate auf die Zunge zu legen, und bemühte sich zu vermeiden, dass man beim Kauen mit den Zähnen auf den Gollwitzer`schen Finger biss. Das ist aus unserer heutigen Perspektive und auch exegetisch betrachtet zweifelsohne eine defiziente Form von Abendmahl. Deswegen würde ich immer denken, man darf die Diskussion nicht so engführen, dass man auf die Defizienzen des digitalen Abendmahls an sich schaut. Man muss genau einzelne Formen betrachten. Weil ich vorhin so freundlich über das Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik in Hildesheim gesprochen habe: Kann tatsächlich der lebendige Zuspruch der Einsetzungsworte, der für meine und auch für lutherische Theologie ganz zentral ist, durch einen Podcast ersetzt werden? Meine Frau fragte, als sie diesen Podcast hörte: „Ist das eine künstliche Stimme? Spricht hier überhaupt ein Mensch?“ Das ist natürlich ein bisschen unfreundlich. Wahrscheinlich könnte man den Sprecher auch identifizieren, wenn man die Hildesheimer Gruppe näher kennt. Trotzdem: Es ist etwas anderes, wenn ich das digital abrufe. Wenn ich das Abendmahl, das am Sonntag im Berliner Dom gefeiert wurde, am Dienstag abrufe. Man muss, das ist das Gute an den Thesen zum digitalen Abendmahl von Hella Blum, Selina Fucker und Frederike van Oorschot, eine gradierte Skala der Defizienzen aufstellen. Die allergrößte Defizienz ist die zum eschatologischen Abendmahl. Das ist nämlich nicht nur eine graduelle, sondern eine Kategorial-Defizienz. Dann kommt irgendwann die ungemütliche Frage, die Kirchenleitungen stellen müssen: Wo ist die Defizienz so groß, dass wir das nicht wollen oder dass wir es jedenfalls nicht empfehlen können. Das digitale Abendmahl ist nicht das schlechterdings andere, sondern es ist eine Feier mit bestimmten Defizienzen. Natürlich macht es einen Unterschied – das erleben wir ja gerade – ob ich meine Freundin oder meinen Freund, den ich seit langem nicht gesehen habe, drücke und körperlich bei mir habe, oder ob wir uns hier in digitalen Kacheln sehen. Aber es gibt Situation, in denen nur Kacheln gehen – und in denen Kacheln vielleicht auch ganz gesund sind, weil wir uns dann nicht anstecken.

Christoph Picker: Historisch gab es immer ein starkes Interesse daran, wie man das mit dem Abendmahl ordnet. Es sollte rituell und liturgisch ordentlich zugehen – sowohl im Blick auf die Leitenden, als auch im Blick auf diejenigen, die daran teilnehmen. Soll das digitale Abendmahl ein Raum der Freiheit sein? Ist das eine Chance? Solche Hoffnungen knüpfen sich ja auch sonst an den digitalen Wandel: Demokratie, Partizipation, Freiheit. Ist das gut so oder brauchen wir so etwas wie Regulierung?

Christoph Markschies: Die Debatte um das digitale Abendmahl lässt uns längst existierende Konflikte etwas schärfer sehen. Es gibt einen ökumenischen Dialog, in dem Expertinnen und Experten mit viel Sachverstand versuchen, die evangelische Form, ‚Amt‘ zu denken, und die katholische Denkweise irgendwie zu verbinden. In der Debatte um das digitale Abendmahl merkt man: Im ökumenischen Dialog wird eine sektorale Diskussion geführt. Dort wird die Frage gestellt: Dürfen Vikarinnen und Vikare Abendmahlsfeiern leiten? Das haben wir zum Ökumenischen Kirchentag Frankfurt diskutiert. Muss die hessen-nassauische Kirche im Interesse der ökumenischen Gemeinschaft darauf verzichten, in Abendmahlsgottesdiensten auf dem Ökumenischen Kirchentag Vikarinnen und Vikare zu Vorstehern der Abendmahlsfeier zu machen? Einige haben gesagt: „Ja, das wäre eigentlich ganz gut, weil es dann für die Katholiken einfacher wird.“ Andere meinten: „Das kommt doch gar nicht in die Tüte.“ Diese Differenz wird jetzt immer deutlicher. Es wäre auch sehr verwunderlich, wenn wir die allgemeinen gesellschaftlichen Pluralisierungstendenzen in der Kirche nicht hätten. Dabei schauen die jeweiligen Seiten kritisch auf die anderen. Und das wird dann immer außerordentlich hoch gehängt: Die hehren Dinge von ökumenischer Gemeinschaft, Demokratie und so weiter. Man unterfüttert die eigenen Positionen ja gerne mit den ganz hehren Werten. Ob Vikarinnen und Vikare das Abendmahl leiten dürfen, daran hängen dann gleich das Evangelium oder die Demokratie. Diese Dimensionen gibt es tatsächlich. Aber zunächst einmal ist relativ klar: Da gibt es eine weise Entscheidung aus dem 16. Jahrhundert zur Ordination: Wer der Feier vorstehen darf, ist auch eine Kirchenordnungsfrage. Ich finde es immer ein bisschen problematisch, dass im ökumenischen Dialog diese Kirchenordnungsfrage sehr hoch gehängt wird und dass gesagt wird: „Ja, aber Jesus hat doch eingesetzt und deswegen darf beispielsweise nur ein geweihter Mann dieser Feier vorstehen.“ Die Frage nach der Kirchenordnung ist ebenso wichtig wie die Überlegung, wer berufen ist, aber man sollte sie auch nicht zu hoch hängen. Das wäre eine große Entlastung. Ob man jetzt wirklich ein Interesse daran haben kann, dass jeder, der Lust hat, sein Toastbrot aus dem Kühlschrank holt und Abendmahl feiert? Ich gebe gerne zu, dass ich das etwas polemisch sage. Aber meine Mutter hat tatsächlich rätselhafterweise das Toastbrot immer in den Kühlschrank getan.

Christoph Picker: Aber nicht zum Abendmahlfeiern, oder?

Christoph Markschies: Nein, natürlich nicht. Meine Mutter war reformiert und mein Vater lutherisch. Insofern hatten die beiden sehr unterschiedliche Abendmahls-Traditionen. Jetzt erzähle ich aber noch eine Geschichte: Zu meinem Vater hat der streng lutherische Theologe Ernst Sommerlath gesagt, als er in Leipzig Assistent war: „Herr Markschies, gehen Sie bloß nicht auf den Kirchentag. Da könnte Ihnen ein Reformierter das Abendmahl reichen“. An dieser Geschichte wird deutlich: Es hat inzwischen Verständigungen gegeben, die man auch nicht kleinreden sollte in ihrer systematischen Kraft. Nein, ich finde: Natürlich muss das geordnet werden. Das ist im Prinzip auch gar nicht schlimm. Und natürlich gibt es einen evangelischen Verständigungsprozess. Wenn wir Glück haben, ist das Abendmahl an Karfreitag 2021 digital anders als es 2020 war, weil es schon Diskussion darüber gegeben hat. Und Ordnung ist schon deshalb legitim, weil Abendmahl etwas mit Gemeinschaft zu tun hat und darauf geachtet werden muss, dass die Gemeinschaft wirklich Gemeinschaft ist und nicht Sekte.

Christoph Picker: Viele Dank, Herr Professor Markschies, für das Gespräch.

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