…oder gerade das klare, womöglich im ersten (und vielleicht noch zweiten) Blick inkompatible, befremdliche Profil. Denn ebenso wenig, wie eine “radikale Kontextualisierung” stattfindet, traut sich Kirche in der Kommunikation des Evangeliums eine klar bekennende, bewusst ungeschliffene, vielleicht sogar (problematisch) dogmatische Deutlichkeit - ohne großbürgerlichen Gestus. Ich kann mir Situationen / Systeme denken, in denen die “authentische” Irritation konstruktivere Dialoge auslöst, als - zugegeben subtiler - “Nachahmungsströme” kreuzen zu lassen.
[s. dazu: Benedigt Friedrichs Kommentar zum Artikel über “Selbst-Verherrlichung der Kirche” in dieser Ausgabe:
”Wie cool wäre eine in den Leitmedien geführte Diskussion um einen gnädigen Gott? - ernst gemeinte, offene Frage! Dafür braucht es eine gewisse Standfestigkeit, Eloquenz und ordentlichen Mut, um mehr als ein etwas peinlich berührtes Lächern bei den LeserInnen hervorzurufen, oder? Und gleichzeitig würde es eine offene Flanke bieten: Das ist ein Teil unseres “Produkts” (Hannas Kommentar), lasst uns uns daran abarbeiten oder lasst es sein. In jedem Fall wäre es kein auf Verdacht gebautes Kirchendach unter dem sich am Ende schon irgendwie alle einfinden werden…” (Benedigt Friedrich)]
Aus der diakoniewissenschaftlichen Debatte kennt man das natürlich, und da gibt es auch eine Reihe von möglichst basisdemokratisch-emergenten Ansätzen wie Community Organizing, Action Research, oder aktivierenden Befragungen, um das “was vor Ort gebraucht wird” zu eruieren und zu organisieren. Nach Jahren und Jahrzehnten von gescheiterter Sozialraumorientierung “top-down”
Meine Frage ist aber, wie das abgesehen vom sozialen und diakonischen Engagement auf das “Kerngeschäft” von Kirche übertragbar sein soll? Die anderen Aktuere vor Ort sind ja oft eben Gruppen, die nicht die Kerninteressen der Gemeinde(n) vor Ort teilen (oder sie wären selber Gemeinden), so dass sich die Schnittmenge an gemeinsamen Zielen auf so etwas Kulturelles wie Nachbarschaftsfeste, oder dann doch eben wieder soziales Engagement beschränkt. Oder kann man gemeinsam mit der freiwilligen Feuerwehr, der Greenpeace-Gruppe und den Freimaurern “Jesus Christus predigen”?
Wäre dann der Job der Pfarrer_in vor Ort vor allem der der Quartiersmanagerin? Und wäre die Gemeinde selber dann vor allem eine Art soziale Nachbarschaftsplattform? (Das sind keine rhetorischen Fragen, und ich kenne auch Gemeinden, die sich zu 95% genauso verstehen. Aber die müssen sich auch anhören lassen, dass es bei ihnen eben nicht mehr um das Evangelium geht - was es ja auch gar nicht kann, wenn man den bottom-up Ansatz für Kooperation im Sozialraum ernst nimmt.)
Das mit Verlaub scheint mir außerhalb der pietistischen Welt nun wirklich nicht der Grund zu sein, warum es einem schwierig fällt das Evangelium zu kommunizieren.
Vielleicht muss man hier ungute Verbindungen, die der Pietismus geknüpft hat mal lösen: z.B. zwischen Sünde und Moralismus, zwischen Gericht und Verdammnis. Und auch die Idee, dass die Rede von der Sünde der guten Nachricht vorgeschaltet ist, ist nur in manchen Theologien so. Jüngel zB würde betonen, dass die Vergebung Bedingung für die Sündenerkenntnis ist, nicht anders herum.
Ich glaube man sollte nicht zu früh sein, Vokabeln fallen zu lassen. Stattdessen kann man die Gebrauchsweise von manchen Vokabeln verändern.
Das war ja auch eine Aussage über freikirchliche Akteure, wobei es sicher auch auf den pietistisch geprägten Teil des kirchlichen Feldes zutrifft. Und beides zusammen ist kein ganz kleiner Teil…
Was heißt “Scheitern”? In dem Zusammenhang eigentlich? Hängt vermutlich sehr stark davon ab, was für ein Kirchenverständnis u.a. Paradigmen man anlegt. Also zB: Wäre ein Experiment gelungen, wenn es mehr Einnahmen generiert als es gekostet hat? Wenn es neue Kirchenmitglieder gewinnt? (und wie viele müssten es sein?) Wenn es “Kirche” in “der” öffentlichen Wahrnehmung positiv oder innovativ erscheinen lässt? Wenn es adäquate “Übersetzungen” “des” Evangeliums bereitstellt? usw. Die Frage der Kriterien darf man an der Stelle m.E. keinesfalls unterschätzen - und auch nicht zu einfach marktförmige Kriterien übernehmen.!
Ich glaub Tobias hat “Radikaleres” vor Augen: wenn Kirche sich insofern “missional” bildet, indem sie sich neu auf den Sozialraum bezieht, dann entstehen eben auch neue kirchliche Gemeinschaften. Scheitern kann dann heißen: das Gemeinschaften sich “missional” um ein Projekt bilden und nach 2, 3 Jahren nicht mehr bestehen. Das IST scheitern. Und das ist auch nicht zu trivialisieren; denn es kann sein, dass danach die betreffenden keine neue Gemeinschaft suchen. Aber dennoch braucht man auch den Mut für solche Experimente: für “aus dem Fenster geworfenes Geld", für Projekte "ohne direkte Auswirkungen” und für möglicherweise auch gewagte Neuanfänge.
Über Identität wollen wir ja übrigens in Ausgabe 2 von CZeTh nachdenken… Klasse, dass sich hier schon erste rote Anknüpfungspunkte abzeichnen. Könnte spannend werden!
I love that…
Und nun: Was könnte das sein?
Und nun: Was könnte das sein?
Ach, ich finde, das “landeskirchliche Milieu” lebt doch von all den ungeschriebenen Regeln seiner eigenen Orthopraxie.
Stell Dich nur mal im Gottesdienst vor die Gemeinde und schlage vor, dass jetzt ein freies Gruppengebet stattfinden soll. Noch bevor Du Dich zu Hause am Mittagstisch des Sonntagsbratens erfreuen kannst, ruft Dein Dekan an, warum er so viele Beschwerdemails über Dich bekommt.
Das finde ich einen interessanten Hinweis, war mir so bisher nicht bekannt. In der Landeskirche wird meinem Eindruck nach immergern darauf hingewiesen, dass zwar die Landeskirhcenmitgleider weniger werden, aber ja weltweit das Christentum wächst und auch hierzulande Freikirchen wachsen usw. und mein Eindruck ist dabei irgendwie immer, dass das so ein etwas apologetisches Moment hat. So nach dem Motto, hey, insgesamt ist Religion/christlicher Glaube voll hipp, auch wenn man das bei uns jetzt grade nicht merkt… Aber ich habe auch das Gefühl, dass das irgendwie immer etwas unehrlich vorgetragen wird. Und mein Eindruck auch international ist übrigens eher der einger zunehmenden Säkularisierung (ohne jetzt auf den Begriff abzielen zu wollen, den nehmen mir die Soziologen sicher und zu Recht sofort auseinander). Aber auch in Ländern Lateinamerikas und Afrikas, wo Christentümer wachsen, scheint mir die persönliche Identifikation eher abzunehmen und die offizielle Religion mit dem, was im realen Leben der MEnschen wirklich stattfindet, weit auseinanderzudriften (alles rein subjektive EIndrücke aus persönlichen Kontakten, keine belastbaren statistischen Untersuchungen - freue mich aber über Hinweise). Andererseits: War das jemals wirklich anders? Auch wenn wir in den Kirchengeschichtsvorlesungen behaupten, dass in der Antike auch die Fischhändler über aktuelle christologische Streitigkeiten diskutiert haben, kann ich mir das immer nicht so recht vorstellen…
Für die Freikirchen gibt es leider kaum belastbare Zahlen. Aber meiner Beobachtung nach lebt der Großteil der deutlich wachsenden freien Gemeinden von einem “Transfer der Heiligen”, d.h. der großte Teil des Wachstums speist sich aus Christinnen und Christen anderer Gemeinden. Was das Internationale betrifft: keine Ahnung.
Ist das die heutige Gewissheit? Die Gewissheit der Ungewissheit? Ist das das Postmoderne “alles ist relativ”?
Gibt es - vielleicht mit der Ausnahme von Rorty - wirklich einen Postmodernen, der tatsächlich Relativist wäre? Ich höre hier Lyotard raus: die Skepsis über die Geltung der großen Narrativen wie Emanzipation, Nationalstaat, wissenschaftlicher Fortschritt, ökonomisches Wachstum. Oder aber: mir gefällt die Rede von der ausgebrannten Moderne am besten: diese Erzählungen als solche sind weiterhin wirksam, aber sie können keine Leidenschaft mehr wecken; man verschreibt sich Ihnen nicht mehr. Der Witz wäre dann ja: Solche Erzählungen bleiben auch dann noch wirksam, wenn NIEMAND mehr dran glaubt; nämlich genau so lange, wie die Institutionen, die Marktmechanismen etc. so funktionieren.
Ich gebe gerade eine Übung zur Säkularisierung/Postsäkularität etc. Ich bin da mehr auf der Seite von Pollack: Säkularisierung ist nicht notwendig (strukturell zB) aber wahrscheinlich und zumindest im Blick aufs Christentum durchaus zu beobachten. Er kritisiert auch die Individualisierungsthese und sagt: eigentlich ist tatsächlich der Gottesdienstbesuch (und: christliches Familienleben) der beste Indikator für einen starken Glauben. Das gilt natürlich nicht einfach theologisch, aber von den Faktoren her, die man soziologisch beschreiben kann, ist das sicher erstmal richtig: zwar kann man "von der Substanz einer früheren organisatorischen Einbindung” leben; aber nur die wenigsten werden “messbar religiös” (was auch immer das heißt) sein, wenn sie keinen Kontakt zu organisierter Religion hatten.
Ich halte beide Theorien für einseitig und würde sagen: ‘Sowohl als auch’ & ‘Weder noch’.