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Hoffnung am Ende?

Was es heute heißt, von der „Endzeit“ zu reden

Published onMay 17, 2022
Hoffnung am Ende?

Es gibt Worte, die erschüttern unser ganzes Leben. Wenn sie uns treffen, ist nichts mehr so, wie es eben noch war. Zuletzt war das für mich der Satz: „Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten zehntausend Jahre laufen, auf gut Deutsch: ob die menschliche Zivilisation überlebt“ (von Hirschhausen 2021: 69). Hier spricht nüchterne wissenschaftliche Erkenntnis nach über 30-jähriger Er­forschung des Klimawandels und seiner immer deutlicher werdenden Folgen für den Fortbestand allen Lebens auf der Erde. Mit dem vorwiegend von den Industrienationen und ihren Emis­sionen verursachten Klimawandel erleben wir gerade tatsächlich den Anfang vom Ende der uns vertrau­ten „Zivilisation“. Auch wenn wir das Ende im reichen Norden noch nicht so deutlich spüren, der globale Süden erlebt seit Jahren vermehrte Überflutungen, Dürren, Stürme, Ernteausfälle, Hun­ger, Kriege und Flucht. Dass die ökonomischen Verlierer dieser Welt nun auch noch die größten ökologischen Leiden zu tragen haben, ist die zynische Krone unserer „Weltordnung“.

Ich versuche, mir konkret vorzustellen, was sich für meine Heimat abzeichnet. Trotz diverser Klimagipfel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts Grundlegendes an den Klimawerten geändert.1 Schon am Ende dieses Jahrzehntes wird sich darum die Erdtemperatur um 1,5 Grad aufgeheizt haben. In zwei bis drei Generationen ist die norddeutsche Tiefebene, die geo­graphische Grundlage auch meiner Kirche, weitgehend von den Schmelzwassern der arktischen Eisschilde überflutet.2 Über dem Schreibtisch, an dem ich gerade arbeite, wird dann das Wasser der Nordsee stehen. Ich verstehe eine Kirchenälteste, die sofort protestiert, „so pessimistisch dürfen wir doch als Christen nicht sein“. Wie soll man auch leben können mit solchen Aussichten? Aber ich frage mich auch: Dürfen wir die Realitäten verharmlosen? Die jetzigen und künftigen Opfer stumm machen für ein „ruhiges“ Leben? Und geht christliche Hoffnung überhaupt auf im Glauben an den guten Ausgang der Welt?

Den sehe ich mit vielen anderen immer weniger. Gewiss, wer bin ich, wer sind wir, dass wir das Ende der Geschichte gottgleich selber bestimmen könnten? Andererseits verdichtet sich gerade vieles zu einem beklemmenden Ganzen. Putins verbrecherischer Krieg, der jetzige Rückgriff auf wieder fossile und atomare Brennstoffe, die Remilitarisierung der deutschen Politik mit 100 Milliarden Euro, die beim Umbau der Welt zu mehr Nachhaltigkeit bitter fehlen werden, all das wirft uns um Jahr­zehnte zurück! Es gibt zurzeit zwar viele kleine und private Initiativen für nachhaltigere Lebensweise, aber keine erkennbare politische Mehrheit für einen grundsätzlichen Systemwandel. „Grünes Wachstum“ und mehr Elektromobilität sind nur hilflose Versuche, die tieferen Probleme zu verschleiern. Die Politik ist selber abhängiger oder willfähriger Teil eines globalen „Imperiums“3. Die neutestamentliche Apokalyptik identifiziert „Rom“ als ein lebensfeindliches Macht- und Ausbeutungssystem (Offb 17). Das Bild der „Hure Babylon“ (Offb 13.17) soll uns bei der Enthüllung heutiger lebensfeindlicher Gewalten helfen, wie dem globalen Finanzkapitalismus, der endlich ein dem Leben dienendes Regelwerk braucht. Dazu gehört auch die Aufnahme der Nachhaltigkeit als Staatsziel ins nationale und internationale Recht. Aber auch generell ist zu fragen, wie wir der Schöp­fung Gottes künftig gerecht werden, wenn wir in einer endlichen Welt weiter von endlosem Wachstum träumen und in dem Unrecht verharren, „wie Gott zu sein“? Dabei ist Gott ganz anders.

Gottes spielende Weisheit stiftet uns dazu an, in dankbarer Freude mit sei­nen Geschöpfen „zu spielen“ (Ps 104, 26), also zweckfrei die Schönheit jedes endlichen und einmaligen Geschöpfes zu feiern. Gott lädt uns immer noch ein, seine treuen Verwalter der Erde zu werden, Bewahrer seines und nicht unseres Eigentums, Diener allen Lebens. Doch wir verspielen seine Weisheit und Welt, haben uns als „homo sapiens sapiens“ selbst zur „Krone der Schöpfung“ ernannt, mit unbegrenzter Verfügungsgewalt über alles Leben. Dagegen ist der Schabbat und damit Gott selbst die ewige Krone der Schöpfung! (Gen 2,1-4)! Wir verfehlen unser Leben, wenn wir unsere Endlichkeit als Mangel und nicht als Segen verstehen: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Ps 90,12) Wir verfehlen uns selbst, weil nur endliche Wesen auch liebende, soziale Wesen sein können. Und erst, wenn unsere „Umwelt“ endlich zur „Mitwelt“ geworden ist, was zum Beispiel die taggleiche Schöpfung der Landtiere und Menschen nahelegt (Gen 1, 24ff.), haben wir den Thron der Gewaltherrschaft verlassen.

Das paulinische „Seufzen der Kreatur“ (Röm 8,18-23)  ist im Zeitalter des „Anthropozän“, in dem der Mensch zum alles bestimmenden Faktor geworden ist, zu einer globalen Wirklichkeit geworden. Dieses Seufzen wartet je länger je mehr auf das „Offenbarwerden der Kinder Gottes“ (Röm 8,18). Wie kann dieses „Outing“ aber aussehen? Besteht überhaupt noch Zeit und Hoffnung auf Umkehr? Es gilt, nach einer Kraft zu suchen, die die­ser Realität nicht nur standhält, sondern sie zu überwinden weiß.

Es mag nun verwundern, aber der christliche Glaube ist immer schon Endzeitglaube gewe­sen. Mit dem Leben und Sterben Jesu Christi ist das Ende dieser gewaltsamen Weltzeit längst gekommen. Das „Lamm Gottes“ (Offb 21,22) hat das räuberische „Leben auf Kosten anderer“ durch sein eigenes Leben und Tun bis in seinen Tod hinein einmal für alle Male verwandelt in ein neues „Leben und Ster­ben für andere“, für alle anderen. Im Bild des Lammes wohnt für die christliche Gemeinde die tragende Kraft und Gewissheit für das wirklich schon vollzogene Ende der irdischen Gewalt-Kultur, dessen Voll­endung aber noch aussteht. Das Lamm ist aber schon „König über alle Könige“ (Offb 1,5a) und die Gemeinde Zeugin seiner radikal dienenden Macht. Durch unseren König widerfährt uns „frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.“ (Barmer Theologische Erklärung, These II)  Die ängstlich seufzende Schöpfung wartet auf uns! Haben wir unsere Bedeutung wirklich schon begriffen und angenommen? Die Seufzenden werden es uns sagen können, fragen wir sie!

Was aber wird aus unserer Hoffnung, wenn es nicht mehr nur um das Ende der Gewaltwelt geht, son­dern um das heute real drohende Ende der Welt selber?  

Martin Luther wird das Wort zugeschrieben: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt un­terginge, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!“ Luther verdrängt den Weltuntergang nicht, er sieht ihm sogar direkt ins Auge. Aber er gibt auch dem letzten Tod keine letzte Macht und kein letztes Recht über sich. Er will allein dem Leben dienen und dem, der alles Leben aus Liebe und für die Liebe hervorgebracht hat. Allein in diesem Gott findet Luther Halt, und allein darin gründet seine Haltung, frech und frei wie die spielende Weisheit dem Tod die Freude an neuem Leben abzutrotzen. Er rühmt das Leben. Er pflanzt neues Leben. Er spielt mit dem Leben, als habe es noch eine große Zukunft, auch wenn er sie nicht sieht. Luther hat sich damit frei gemacht von jedem Erfolgsdenken als Moti­vation für unser Tun. Ob der Kampf gegen den Klimawandel (noch) Erfolg hat, wollen wir dann nicht mehr wissen, wenn wir einfach das tun, was uns das Herz zu tun aufgibt. Nur Zuschauer des Lebens müssen Zyniker werden, die über Apfelbäumchen lachen, die so Handelnden lachen dagegen den Tod aus. Dies sind wir schlicht unserer eigenen Würde als Subjekte und Geschöpfe der Liebe Gottes wie auch der Würde unserer Kinder und Kindeskinder schuldig. Aus purer Dankbarkeit und Freude an der Schönheit Gottes und seiner Ordnung der Welt, der Ordnung, die in der ersten Schöpfungserzählung verheißen ist (Gen 1,1-2,4). „Hoffnung ist nicht die Über­zeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es aus­geht.“ (Vaclav Havel) Öffnet uns eine solche Haltung nicht die Tür zum Halt in unerschütterlicher Hoffnung?

Davon zeugt auch jenes Gleichnis, mit dem Gustav Heinemann seinen Lebensabschnitt als Bundespräsident beschloss:

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts tagte in einem Staat des nordamerikanischen Mittelwestens das Parlament dieses Staates. Und wie es dort manchmal vorkommt, zog ein fürchterliches Unwetter her­auf, ein Orkan, und verdunkelte den Himmel. Es wurde schwarz wie die Nacht. Die Parlamentarier woll­ten voll Entsetzen die Sitzung abbrechen und aus dem Sitzungssaal stürmen. Darauf sagte der Sprecher des Parlaments:

Meine Herren! Entweder die Welt geht jetzt nicht unter und unser Herr kommt noch nicht – dann ist kein Grund vorhanden, die Sitzung abzubrechen. Oder unser Herr kommt jetzt – dann soll er uns bei der Arbeit finden. Die Sitzung geht weiter! (Heinemann 1975: 339–340)

Endzeit? Endzeit! Immer!

Bert Gedenk, Pastor der evangelisch-reformierten Gemeinde im ostfriesischen Emden.


Literatur

Heinemann, Gustav W. 1975. Allen Bürgern verpflichtet. Reden und Schriften I. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

von Hirschhausen, Eckhardt. 2021. Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben. München: dtv.

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