Auferstehung ja, aber nur schrittweise und mit Maske – Zum Comeback eines theologischen Begriffs während der SARS-CoV-2-Pandemie?
Auferstehung ja, aber nur schrittweise und mit Maske1– Zum Comeback eines theologischen Begriffs während der SARS-CoV-2-Pandemie?
Wer hätte gedacht, dass #Ostern noch mal so ein wichtiger Milestone in der Geschichte der Menschheit werden würde. #Corona #Auferstehung2
Während wir das ganze Jahr über von politischen und literarischen #Auferstehungen vergessener Demokraten und Schriftsteller lesen können, sind es solche Tweets und Hashtags, die wir jetzt, kurz vor Ostern und inmitten der Corona-Pandemie, bei Twitter wie scheinbar selbstverständlich finden können. Auferstehung ist ein Begriff, der auch – und gerade – dann im säkularen Kontext Verwendung findet, wenn es um die Beschreibung einschneidender und krisenhafter Erlebnisse geht. Die pandemische Ausbreitung der Atemwegserkrankung COVID-19 durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ist zweifelsohne ein vielgestaltiger krisenhafter Prozess, dessen gesundheitliche, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen uns noch lange beschäftigen werden.
Neben den medizinischen Herausforderungen brechen sich zurzeit vor allem die Reaktionen auf die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens und von Grundrechten Bahn. So wird der partielle Lockdown in einem Kommentar in Die ZEIT offenbar so stark mit dem sozialen Tod einer Gesellschaft assoziiert, dass seine Aufhebung an Ostern für den Autor einer Auferstehung gleichkäme.3
So augenscheinlich und nachvollziehbar der Wunsch zu Krisenzeiten nach der Peripetie, also dem Wendepunkt der Tragödie, ist, so wenig ist bislang geklärt, welche Funktion und Deutung der Begriff Auferstehung im Kontext religionsübergreifender Zusammenhänge jeweils besitzt. Aus diesem Grund fragen wir auf Basis einer stichprobenartigen Analyse von massenmedialer Repräsentation, seiner Verwendung in sozialen Netzwerken sowie von Interviewsequenzen mit der Kirche fernstehenden Menschen nach den sprachlichen Assoziationsfeldern des Begriffs. Wo verliert er gänzlich seinen religiösen Bezug und aus welchen Beiträgen lassen sich bereits säkulare Übersetzungsleistungen dechiffrieren? Womöglich lässt sich gerade mithilfe dieser Ausdeutungen eine Diskussion über die Selbst-Verständlichkeit religiöser Grundfragen und -begriffe anstoßen, die einen größeren gesellschaftlichen Anschluss an theologische Deutungen diesseits und jenseits der Corona-Pandemie ermöglicht.
1. Auferstehung erleben und inszenieren
Man muss nicht die schlimmsten Auswirkungen einer pandemischen Virusinfektion bemühen, um einige Auferstehungsszenarien aufzuspüren – es reicht z.B. ein Blick zurück in die jüngere Smartphone-Gaminghistorie. Die Rede ist von Quizduell, einer »App die schon kurz vorm Untergang stand und jetzt jeder wieder zum Leben erweckt hat. #auferstehung #froheostern«.4Social Distancing sei Dank. Darüber hinaus sind es die kleinen und materiellen Dinge, die Menschen in eine tiefe Krise stürzen können – das zumindest suggerieren Beiträge bei Instagram. »PAULA IS BACK« – so feiert beispielsweise eine kleine Anhängerschaft die Reparatur ihres Campers, der nach einem Motorschaden zurück auf der Straße ist und dessen Besitzer eine »#Auferstehung« ihres motorisierten Lieblings inszenieren. Es ist die Geschichte von paula_the_van. Selbstverständlich ausgestattet mit einem eigenen Instagram-Account, auf dem das Interesse an Reisen, Unterbodenwäschen und Abenteuernostalgie fotodokumentarisch und zielgruppengerecht bedient wird. Auch im Blick auf die Zukunft des Fußballs wird die Metapher genutzt, wenn es in einem Beitrag in Anlehnung an die Nationalhymne der DDR heißt: »Auferstehen aus Ruinen: Schon jetzt scheint klar, dass die Corona-Pandemie den Profifußball in seinen Grundfesten erschüttern, wenn nicht zerschmettern wird. Aber vielleicht liegt darin auch eine Chance.«5
Alle drei Beispiele rekurrieren in ihrem Bedeutungsfeld von Auferstehung deutlich auf Sterben und Tod. Hier die in Vergessenheit geratene Gaming-App, deren Wiederentdeckung und -belebung medial aufbereitet wird, dort der technische Totalschaden, der zur Stilllegung des Fahrzeuges geführt hätte, zuletzt die Folgen der Corona-Pandemie für den Profifußball, die diesen in den Ruin treiben und »zerschmettern« können. Was in der Analyse trivial, fast lächerlich anmutet, legt doch die semantische Nähe zur christlichen Glaubensgeschichte nahe, die sich in zahlreichen weiteren Posts mit Auferstehungs-Hashtags nur noch schwer rekonstruieren lässt. Und auch im Zusammenhang mit der COVID-19-Erkrankung finden sich vergleichbare Übersetzungen, etwa, wenn statistische Daten zur Virusinfektion angezweifelt werden und augenzwinkernd auf dieser Basis gar »magische Wiederbelebungen«6 von Patient_innen antizipiert und als Auferstehung gedeutet werden.
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2. Krisen beschreiben und durchleiden
Neben humoristischen Social-Media-Inszenierungen kennt vor allem die Literaturgeschichte die Beschreibung existenzieller Krisen, deren Durchleiden beispielsweise der österreichische Shoah-Überlebende Jean Améry zum Ausdruck bringt, wenn er von sich und seinen ehemaligen KZ-Mithäftlingen von »Auferstandenen«7 spricht. In seiner Auferstehungsumschreibung manifestiert sich vor allem ein Widerstand gegen den Tod, ein Überleben-Wollen trotz allem. Dieses widerständige Potenzial zeigt sich andersherum aber auch im Loslassen, wenn »ein Mensch auf der letzten Strecke des Lebens die Todesangst verliert und in Frieden mit sich und den anderen sterben darf: Das kann Auferstehung sein«, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung über den »Aufstand«8 der Sterbenden gegen die medizinethischen und -technischen Zwänge unserer Gesellschaft. Wie nah und konkret eine Krise auch durch den Rezipienten miterlebt werden kann, erzählt die Geschichte einer Familie auf Instagram, die sich trotz transgenerationellem Trauma für ein drittes Kind entscheidet: »Er wollte kein drittes Kind. Er hatte Angst, dass ich dabei draufgehe«, schreibt die Autorin, denn die Mutter ihres Mannes »starb nach einer schnellen, unkomplizierten Geburt an den Komplikationen einer Vollnarkose. […] Mein Mann war dieses dritte Kind. Er wuchs ohne Mama auf.«9 Auch diese Form der Auferstehung lässt sich als Widerstand lesen. Denn die geglückte Geburt des dritten Kindes wird hier als Sieg über das Trauma des Vaters, als ein erfolgreiches Überwinden einer einschneidenden Lebenskrise gefeiert. Aus diesen drei Beispielen lässt sich eine erste heiße Übersetzungsspur ableiten: Mit Auferstehung verbindet sich ein widerständiges Potenzial, das ein Erleben und gelungenes Durchleiden von Krisen beschreibt. Darin liegen Chance und Kraft für das sich mit der Krise identifizierende Individuum, das aus derselben gestärkt hervorgehen kann.
3. Krisen überwinden
Dieses widerständige Potenzial haftet dem Auferstehungsbegriff bereits in seinen frühesten religionsgeschichtlichen Kontexten an.10 Die Vorstellung, dass es prinzipiell möglich ist, den Tod – und damit die existenzielle Krise schlechthin – zu überwinden, ist dort auf unterschiedliche Weise präsent. Fleischgewordenes Beispiel des Christentums ist die Auferstehung Jesu. Mit jener heiligen Erzählung von den drei Tagen der Kreuzigung bis zum leeren Grab und dessen Erscheinung vor den Jünger_innen hat sich die christliche Religion selbst auf die Überwindung einer Krise gegründet und sich diese mit dem Symbol des Kreuzes für immer ins Gedächtnis geschrieben.
Die Auslegung dieser überlieferten Erzählung hat eine lange Geschichte. Deren epistemischer Status als objektiver Sachverhalt geriet mit dem 18. Jahrhundert selbst in eine Krise. Es war der Dichter Gotthold Ephraim Lessing, der 1777 mit der Veröffentlichung der Fragmente des Hamburgischen Gelehrten Hermann Samuel Reimarus die historische Richtigkeit der Auferstehungsberichte massiv infrage stellte. Reimarus galten die Erscheinungsgeschichten als betrügerische Erfindungen der Jünger_innen, die Jesu Leichnam in Wahrheit gestohlen hatten. Sie suchten ihre eigene Krise des Verlusts ihres Mentors also mittels Täuschung zu überwinden. Der Theologe David Friedrich Strauß spitzt diesen Gedanken später so zu, dass er die Erscheinungen Jesu als innerpsychische visionäre Projektionen der Jünger_innen deutete, die sich quasi an ihren eigenen Haaren aus dem Sumpf der Depression zogen: »So hatten die Jünger durch die Produktion der Vorstellung von der Auferstehung ihres getöteten Meisters sein Werk gerettet; und zwar war es ihre redliche Überzeugung, den Auferstandenen wirklich gesehen und mit ihm gesprochen zu haben.«11 Es ist das positive Verdienst solcher Positionen aus der Epoche der Aufklärung, den Versuch unternommen zu haben, die kognitive Dissonanz zwischen traditionellem Kirchenglauben und moderner Welterfahrung zu verringern und die Bedeutung der Erzählung mit unserem neuzeitlichen Wahrheitsbewusstsein zu vermitteln. Traditionen der sog. Liberalen Theologie von Friedrich Schleiermacher über Ernst Troeltsch und Emanuel Hirsch bis zu Paul Tillich schließen daran an: Die christliche Eschatologie hat hier ihre spekulative Anschaulichkeit verloren. Der Status der Rede von der Auferstehung wird ins Symbolische gehoben: Die Fragen der christlichen Hoffnung werden zu Fragen unserer irdischen Existenz, die Frage nach den »letzten Dingen« zur Frage nach dem »Letztgültigen« im Leben und im Sterben. Es ist unübersehbar, dass es diese traditionsgeschichtlichen Interpretationslinien sind, die ihren Reflex in der gegenwärtigen kulturellen Aneignung des Begriffs der Auferstehung finden.
4. Empirische Resonanzen
1967 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel eine Umfrage über das Glaubensverständnis katholischer und evangelischer Kirchenmitglieder.12 Daraus geht hervor, dass 40 Prozent einer bestimmten Form der Visionshypothese zuneigen: Jesus habe »nach seinem Tode nicht so wie früher gelebt, sondern [er sei] seinen Jüngern nur als Vision erschienen, um ihnen zu zeigen, daß er bei Gott weiterlebt«13. 30 Prozent der befragten evangelischen Kirchenmitglieder sprachen sich dagegen für ein wörtliches Verständnis der Auferstehungsberichte aus, während weitere gut 30 Prozent der Evangelischen den Glauben an die Auferstehung Jesu ablehnten und meinten, dass Jesus allenfalls in seinen Werken weiterlebe. Der Befund zur Aneignung dieses theologischen Topos ist also bereits vor über 50 Jahren vor allem unter den Evangelischen hochdivers und bestätigt sich in einer späteren Umfrage von TNS-Emnid.14 Blickt man nun von dort aus auf Erkundungen unter Menschen, die der Kirche nicht oder nicht mehr angehören, zeigt sich zunächst, dass der Begriff Auferstehung »definitiv einen religiösen Bezug hat« (I.13) und dass sich die Verwunderung unter den Teilnehmenden einer stichprobenartigen Umfrage stellt, »was Auferstehung noch sein kann, außer religiös und mit Kirchenbezug« (I.8). Denn Auferstehung sei »als solche auch nur mit der Figur des Jesus vorstell[bar], mit niemand anderem sonst entstehen da irgendwelche Bilder« (I.17) – »so universell ist Auferstehung dann eben nicht« (I.8).15
Erst dann, wenn der Begriff seinem semantischen Konnotationsfeld entrissen und einem neuen Bedeutungsfeld zugeordnet wird – wie im Fritz-Kola-Beispiel dem zucker- und koffeinhaltigen Wachmacher –, kann für den Rezipienten ein neues Bild entstehen. Deshalb erzeugt der Werbeslogan aufgrund seiner semantischen und phonetischen Nähe zu ›aufstehen‹ vor allem eine Assoziation zu Wach-Sein, und weniger, wie in den obigen Beispielen, zu Tod oder Krise. Die stets mitschwingende religiöse Konnotation ist aber notwendig, um der Werbung ihren ironischen Charakter zu verpassen – »mit uns überwindest du den toten Punkt.«16
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Auferstehung bleibt also ein auf religiöse Inhalte zurückführbares, häufig aber vor allem »abstraktes, gesellschaftswissenschaftlich durchaus interessantes, Narrativ« (I.19), das aus Sicht der Befragten »keine konkreten [d.h. persönlichen] Konsequenzen hat« (I.19). Spüren sie diesem Narrativ in ihren gedanklichen Auseinandersetzungen jedoch nach, ergeben sich zahlreiche Überschneidungen zum Moment der oben bereits skizzierten Krisenüberwindung, wie wir sie vielfach als Übersetzungen in den Posts der social networks finden. Beschrieben werden u.a. das »Wiederaufstehen nach einer Krise« (I.12), das Erleben einer »Befreiung« (I.11), das Wagen eines »Neuanfangs« (I.4; I.12), das Erhalten einer »zweiten Chance« (I.20) sowie die »Wiederbelebung oder Wiedererweckung« (I.13; I.15) verloren geglaubter Kräfte. Damit gehen dann »Veränderung[en], Weiterentwicklung, Fortschritt« (I.10) einher. Die Umfrage hat unter allen Teilnehmenden kategorisierbare Reaktionen auf Auferstehung sowie auf Kirche als der dem Begriff zugeordneten Institution hervorgerufen. Eine erste Gruppe war irritiert und zeigte ein teils deutlich distanziertes Verhalten, das in einer Skepsis gegenüber der Umfrage resultierte. Mit einer Einteilung von Gerd Pickel könnte man von »volldistanzierten Atheisten« sprechen.17 Eine zweite Gruppe zeigte sich der Umfrage insgesamt offen gegenüber und griff in ihren Überlegungen offensichtlich auf ein strukturiertes Wissen über Religion zurück, das über eine in der Kindheit erfolgte religiöse Sozialisation erworben wurde. Eine dritte, eindeutig »bildungsgeschädigt[e]« (I.8) und dem akademischen Milieu zuzuordnende Gruppe, sah in der Umfrage vor allem die Herausforderung, den Begriff zur säkularen Gesellschaft ins Verhältnis zu setzen.
In ihrem täglichen Podcast fragen auch stern und RTL.de im Gespräch mit der Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Nordkirche, Kirsten Fehrs, u.a. nach der Bedeutung von Auferstehung während der Corona-Pandemie:
Moderator: »Das ist ja auch schwer symbolisch, jetzt die Osterzeit, ne, wenn man sagt, das ist äh Kreuzigung und äh äh Widergeburt, ist ja eigentlich, steht ja für vieles, was man sich zumindest wünschen würde, also nicht den Kreuzigungsteil, sondern eher der Wiedergeburt-Teil ähm«
Bischöfin: »Ja, die Auferstehung …«
Moderator (lacht): »Na, nicht Wiedergeburt, Auferstehung, ´tschuldigen Sie […] verzeihen Sie, Frau Bischöfin […]«
Bischöfin: »[…] Das Besondere an Ostern ist ja, dass es beide Seiten in den Blick nimmt. Sowohl dieses Hoffnungszeichen: Aufstehen und auch den Widerstand üben gegen alles das, was lebenszerstörend ist, also das ist ja ne richtig proaktive Art auch Leben zu gestalten und gleichzeitig ähm hat das vor allem den Tiefensinn, dass vorher mit dem Kreuz eben benannt wurde, da ist man durchs tiefe Tal gegangen, also das ist, das Kreuz steht ja wirklich für den Tod Jesu, der, das ist unser tiefer Glaube eben ›hinabgestiegen in das Reich des Todes‹, also wirklich durchs tiefe Tal hindurch und dann zur Auferstehung, das heißt es gibt einen Sieg des Lebens über den Tod und eben auch einen Sieg der Hoffnung über die Angst und das ähm ist so symbolisch verdichtet, finde ich, eine Beschreibung unserer jetzigen Situation in dieser Corona-Krise […] dass der Mensch es braucht, jetzt mal unabhängig davon, ob und wie tief religiös jemand ist, aber dass ein Mensch es braucht, dass es hinter dem Horizont weitergeht […]«18
Das Dokument ist ein veranschaulichendes Beispiel dafür, dass die Kirchen mit einem Übersetzungsnotstand ihrer christlich-überformten und letztlich selbstreferentiellen Terminologie konfrontiert sind. Gar nicht so sehr, weil der Moderator Auferstehung meint, aber irrtümlicherweise den Begriff Wiedergeburt benutzt, sondern weil er ganz selbstverständlich nach einer anschlussfähigen, d.h. verstehbaren Vermittlung von Auferstehung und modernem Wahrheitsbewusstsein fragt, die dann von der Bischöfin geleistet wird, indem sie Auferstehung als »den Widerstand […] gegen alles das, was lebenszerstörend ist«, übersetzt und »unabhängig davon, ob und wie tief religiös jemand ist, […] einen Sieg des Lebens über den Tod […] in unserer jetzigen Situation in dieser Corona-Krise« in Aussicht stellt.
5. Konsequenzen
Vor allem die Interviews zeigen, dass der Begriff Auferstehung offenbar so stark christlich-kirchlich überformt ist, dass eine persönliche Aneignung außerhalb des religiösen Kontexts erheblich erschwert wird. Der Begriff ist sozusagen fürs Religiöse reserviert und entsprechend maskiert. Werden die Interviewpartner_innen bewusst aus dieser nichtreligiösen Reserve gelockt, haben wir es mit subjektiven Resonanzen eines dem Christentum als Glauben zugeschriebenen objektiven Sachverhalts zu tun, die sich auf der Grundlage des Bildungshintergrunds der Teilnehmenden gleichwohl noch immer aus dieser christologischen Verankerung speisen. Es ist eine psychologische Aneignung der großen Ostererzählung des Christentums, die sich als eigene Kraft zur Krisenüberwindung umformt:
»Wenn man eine lange Zeit des inneren Kampfes [hatte …] und ähm ja, man weiß nicht, wie’s weitergeht, […] man ist […] völlig verzweifelt, hadert mit allem, und dann irgendwann kann man nicht mehr und gibt so die Kontrolle ab […] und wenn dann dieser Punkt gekommen ist, ist es manchmal so, also das kenn‘ ich von mir, ähm, kommt dann so ein Moment [….], da ist man einfach still und in dieser Phase kommt dann plötzlich so ein Licht […] und man sieht plötzlich so glasklar die Antwort und den Weg, den man dann zu gehen hat, und das ist für mich ne Auferstehung und ein anderes Wort wäre für mich Befreiung, ja.« (I.11)
Was bedeutet dieser Befund für die kirchliche Institution, welche die kulturelle Pflege dieser religiösen Topoi und der dahinter stehenden Erzählungen betreibt? Zum einen zeigt dieser Befund ihr die Richtung an, auf die hin kulturelle Plausibilitäten erzeugt werden können. Zum anderen zeigt er aber auch, dass große Teile der Gesellschaft heute eben weitgehend mit anderen Begriffen operieren. Die Frage ist also, wer eigentlich Anschluss an was oder wen sucht. Und nicht nur das: Es gilt auf Basis ernstzunehmender Analysen zu klären, ob eine Übersetzungskampagne der Kirchen überhaupt den erhofften Erfolg einer Anschlussfähigkeit religiöser Terminologie in einer sich zunehmend von Kirche distanzierenden Gesellschaft bringen kann. Wie kann nämlich ein Verstehen bei Menschen ohne biografische Vorprägung gelingen, wenn bereits ein mit kulturellem Kapital ausgestattetes Milieu kaum noch Anschlüsse findet oder für notwendig erachtet? Wenn es darum geht, den Relevanzverlust der Kirchen zu verlangsamen – Stichwort: #flattenthecurve –, dann muss man die sozialen Praktiken unserer Gesellschaft verstehen lernen. Dort, wo die Menschen ein (vielleicht erstmaliges) Interesse an Kirche haben, beispielsweise im Rahmen von Kasualien oder im Kontext evangelischer Kindergärten, sollte der Erstkontakt sitzen. Sonst scheint die größte Chance verpasst. Und die Konkurrenz ist in vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen groß.
Die Gründe für die Erosion des Auferstehungsglaubens können nach der obigen Analyse als ebenso naheliegend wie zwingend gelten: Es sind neben dem neuzeitlichen Wahrheitsbewusstsein eine generelle Diesseitsorientierung sowie die neuzeitliche Skepsis der Vernunft gegenüber dem Nichterfahrbaren zu nennen – die Auferstehung hat eben keine erfahrbare Analogie und kann mit unserer Wirklichkeit jedenfalls nicht unmittelbar verknüpft werden.19 Das zentrale Hoffnungsbild des Christentums bleibt ein zu interpretierendes Hintergrundgeheimnis, welches wir der Gesellschaft an jedem Osterfest und der vorangehenden Passionszeit zur Verfügung stellen. Wir hüten es stellvertretend.
Wenn Tillich recht hat und alle religiösen Symbole auch wieder absterben und bedeutungslos werden können, weil sie das Existenzverständnis der Menschen nicht mehr adäquat auszudrücken vermögen,20 dann bedeutet das für Kirche und Theologie, dass sie sich noch stärker um die Vitalität und Vermittlung ihres ›Auferstehungskapitals‹ bemühen muss. Auf der Grundlage einer Idee von Pastor Achim Strehlke von der Evangelischen Jugend-, Freizeit- und Bildungsstätte Koppelsberg der Nordkirche könnte man vorschlagen, dass wir nach der Lutherdekade gemeinsam mit den Brüdern und Schwestern aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen über eine »Dekade der Auferstehung« von 2021–2030 oder 2023–2033 nachdenken sollten – und zwar nicht nur um unserer Resonanz in der Gesellschaft, sondern letztlich auch um unseres Selbstverstehens willen. Was nämlich bedeutet die als verheißen geglaubte Kraft zur Überwindung einer Krise angesichts der Gefahr eines globalen Karfreitags durch einen Klimakollaps? Was heißt »Leben aus der Kraft der Auferstehung« für die unterschiedlichen Menschen unserer Kirche? Was bedeutet das für Unterdrückte und Marginalisierte? Und was für die Verwandlung unserer Welt? Auch für die Institution Kirche ist es angesichts der drohenden Szenarien von 2030 eine drängende Frage, welche Strukturen sterben müssen, damit sich Neues freisetzen kann. Realität gewinnt die Auferstehung also nicht allein dadurch, dass sie öffentlich gedeutet wird, sondern vor allem durch deren praktische Performanz. Die Grundbotschaft hinter der geheimnisvollen Erzählung war damals so revolutionär wie heute: Glaube, Liebe, Hoffnung sind stärker als Angst und Tod! Diese große Botschaft für die einzelnen Bereiche unserer Gesellschaft durchzubuchstabieren und inmitten derselben zu verwirklichen, sind wir dieser Gesellschaft schuldig – ob sie es auf die Auferstehung Jesu zurückführen können oder auch nicht. Denn für uns gilt das Geheimnis des Osterrufes: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“
Literaturverzeichnis
Améry, Jean (2005). »In den Wind gesprochen«. In Ders.: Werke. Bd. 7: Aufsätze zu Politik und Zeitgeschichte, hrsg. von Stephan Steiner, Stuttgart: Klett-Cotta, 573–600.
Mildenberger, Friedrich (1979). Art. Auferstehung, IV. Dogmatisch. TRE 4: 547–575.
Pickel, Gert (2013). Konfessionslose – das ›Residual‹ des Christentums oder Stütze des neuen Atheimus? Theo-Web 12, H.1: 12–31.
Strauß, David F. (1938 = 1872). Der alte und der neue Glaube: Ein Bekenntnis. Stuttgart: Alfred Kröner-Verlag 1938 (= 1872).
Verliert die Theologie nicht ihren Gegenstand aus dem Blick, wenn sie Auferstehung nicht auch als kreativen, schöpferischen Akt, der von Gott ausgeht versteht? Ist es nicht Gott, der die Auferstehung zur Realität werden lässt? Dann wäre an dieser Stelle nicht nach der Realität der Auferstehung zu fragen, sondern nach ihrer Relevanz für die Menschen und wie eben erreicht werden kann, dass diese Grundbotschaft die Menschen wieder berührt und alles das nicht nur aus naturwissenschaftlicher Perspektive mit einem Lächeln abgetan wird. Um an Tillich anzuknüpfen: Es geht doch darum, dass das religiöse Symbol der Auferstehung nicht bedeutungslos wird. Das Symbol und die Realität der Auferstehung sind aber doch nicht identisch. Gott ist es, der Angst und Tod überwindet und das sollte doch Mut geben Strukturen zu verändern und Neues zu entdecken und dem Symbol der Auferstehung wieder mehr Bedeutung zu verschaffen, damit es eben nicht ausstirbt.