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Was machen Sie an Ostersonntag?

Published onApr 08, 2020
Was machen Sie an Ostersonntag?

Herr Groß, was machen Sie dieses Jahr an Ostern?

Ostern feiere ich in diesem Jahr in einer wilden Mischung aus Innovation und Tradition: Bereits am Karsamstag um 20.55 Uhr senden wir  unsere Online-Osternacht „for your soul“  aus dem Veranstaltungshaus Wollfabrik in Schwetzingen, einen Steinwurf von der Evangelischen Stadtkirche entfernt. Ausgestrahlt wird der Gottesdienst im YouTube-Kanal unserer Kirchengemeinde ekischwetzingen sowie auf der Homepage www.ekischwetzingen.de. Gemeinsam mit einem professionellen Team aus Ton- und Lichttechnikern, einem Kamerateam und dem Team der Wollfabrik verbinden wir die mittelalterlich geprägte evangelische Osternachts-Liturgie mit der edlen, postmodern anmutenden Atmosphäre des Veranstaltungsraumes.  Zwei Kollegen aus den Nachbarorten Plankstadt und Oftersheim leiten mit mir die Liturgie, Klavier, Trompete und ein Bassist als Kantor steuern die Musik bei – ganz klassisch mit Händel und Telemann.

Die Osternacht ist Teil der regelmäßigen Online-Gottesdienste in der Wollfabrik, die wir seit dem 22.März 2020 jeden Sonntag sowie an Karfreitag unter der Marke „for your soul“ sonntags ab 9.55 Uhr feiern.

Nach einer kurzen Nacht geht dann um 9.55 Uhr der Gottesdienst zum Ostersonntag auf Sendung – im mittlerweile gängigen „for your soul“-Format: Ein Trio aus professionellen Rockmusikern, die auch sonst regelmäßig bei Konzerten in der Wollfabrik auftreten, spielt Popsong, deren Texte interpretationsoffen sind für das Evangelium. Bisher waren Songs wie „Fragile“ von Sting, „Stand by me“ (Ben E. King) oder „Crazy“ (Zonderling/Lost Frequencies) dabei, die Musik für den Ostersonntag steht bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Das Thema hat Schwetzinger Lokalbezug: Es geht um den Beginn der Spargelsaison, die großen Probleme, die die hiesigen Bauern durch das Fehlen der osteuropäischen Erntehelfer haben – und die Welle der Solidarität, die diverse Schwetzinger jetzt zum Helfen auf die Felder treibt. Sogar Flüchtlinge, die in Schwetzingen untergebracht sind, helfen mit – zur Verwunderung der örtlichen AfD. Österliche Hoffnungszeichen inmitten der Krise!

Der Spargel zum Oster-Festmahl ist durch die vielen helfenden Hände gesichert.  Auch auf unserem Tisch, wo meine Frau, unsere drei Söhne (von denen die beiden älteren auch beim Spargelstechen dabei sind) und ich dann nach dem Online-Gottesdienst zusammensitzen werden – leider ohne meine Eltern, die zum Infektionsschutz im heimischen Ostwestfalen bleiben und nicht wie geplant die Festtage mit uns im Pfarrhaus verbringen. Ansonsten wird es mit dem Essen ein ganz normaler Ostersonntag – Eiersuche im Garten und Spaziergang inklusive.

Ostern in Zeiten der Corona-Krise - was bedeutet das theologisch?

Ostern in Corona-Zeiten ist theologisch ein, wenn nicht der Ernstfall: Wann war die Botschaft, dass das Leben letztlich über die Mächte des Todes siegt, relevanter als jetzt? Am Gründonnerstag erleben wir durch die Abwesenheit der gemeinsamen Abendmahlsfeier eine schmerzhafte Leerstelle – und erfahren, wenn es gut geht, gleichzeitig neue Formen der Gemeinschaft mitten den Menschen im Haus oder bei gemeinsamen Mahlfeiern an verschiedenen Orten, die von manchen Kirchengemeinden analog und digital angeboten werden.

Am Karfreitag lassen sich die eigenen Erfahrungen von Leid, Tod und auch Gottverlassenheit dieses Jahr ganz neu in die Geschichte von Jesu Passion eintragen.

Der Durchbruch vom Dunkel zum Licht in der Osternacht und am Ostersonntag spiegelt sich in der Hoffnung auf einen Durchbruch in der Forschung Richtung Impfstoff oder Medikament – und allgemein in der Hoffnung auf ein wahrhaftiges Ende der todbringenden Corona-Krise.

Nicht wegzudiskutieren ist allerdings auch in der Osternacht, dass Taufe und Abendmahl in der versammelten Gemeinde schmerzlich fehlen. Dadurch wird auch der Wert dieser leibhaft erlebten Sakramente neu deutlich. Ähnliches gilt für das gemeinsame Singen im Gottesdienst, die Kirchenmusik oder das persönliche Gespräch beim Kirchencafé.

Haben Sie einen konkreten Vorschlag: Wie können Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren Gemeinden den Ostermontag feiern?

Eine Kirche ohne Kontakt gibt es genauso wenig wie einen christlichen Glauben ohne Gemeinschaft. Allerdings sind physische Kontakte aus meiner Sicht nicht so alternativlos wie gelegentlich behauptet, und digitale Kontakte sind nicht per se physischen oder analogen unterlegen. Wir machen in Schwetzingen  nicht nur mit dem wöchentlich ausgestrahlten Online-Gottesdienstformat „for your soul“ sehr gute Erfahrungen, sondern auch mit unserem Telefon-Besuchsdienst, der den normalen Besuchsdienst in Corona-Zeiten ersetzt und von unserer Gemeindediakonin organisiert wird. Die Plankstadter Kollegin verteilt Gottesdienste zum Mitnehmen:  Zum Palmsonntag waren das zwei knappe Impulse, dazu ein Teelicht und ein Miniatur-Palmzweig, alles liebevoll verpackt. Sie macht die Erfahrung, dass deutlich mehr Menschen diese Gottesdienste „to go“ mitnehmen als sonst am Sonntag zur Kirche kommen.

Auch die zum stillen Gebet offenen Kirchen werden angenommen; Gebetswände füllen sich und Segensworte werden eingesteckt. In der katholischen Nachbarkirche haben die Gemeindeglieder ein rotes Herz mit ihrem Namen auf ihren Lieblingsplatz gelegt und sind so symbolisch präsent, wenn der Priester in der leeren Kirche und übertragen bei YouTube die Messe feiert.

Sowohl analoge als auch digitale Formate haben ihren Sinn. Es kommt darauf an, möglichst klar zu planen: Was soll wen wie erreichen? Und es ist dabei keineswegs so, dass Jüngere nur auf digitalem Wege erreichbar sind und Ältere ausschließlich analog. „Herr Pfarrer, wir sehen uns am Sonntag – also ich Sie, auf dem Bildschirm“, sagte mir kürzlich eine 85jährige Dame auf dem Wochenmarkt.

Ich glaube, dass nicht jede Gemeinde gut beraten ist, unbedingt regelmäßig Gottesdienste im Internet zu streamen -  auch nicht an Ostern. Der Aufwand, um ein halbwegs in der Medienwelt konkurrenzfähiges Angebot auf die Beine zu stellen, ist sehr groß. Wahrscheinlich ist es besser, wenn etwa in jedem Kirchenbezirk eine Gemeinde stellvertretend einen gut gemachten Online-Gottesdienst feiert, am besten mit interaktiven Elementen wie Live-Gebetsbitten wie Facebook, und dazu dann immer wieder Kollegen oder Ehrenamtliche aus anderen Gemeinden zur Mitwirkung einlädt.

Auch die ZDF-Fernsehgottesdienste dürften derzeit nicht nur an Ostern eine größere Rolle spielen als sonst. Und Online-Gottesdienste sind ja nicht die einzige Cnance für Pfarrer, Diakone oder Prädikanten: Audio-Gottesdienste, Podcasts, Gottesdienste zum Mitnehmen oder zum Download,  Anrufe bei Gemeindegliedern, ein von Jugendlichen mit Kreide auf die Straße gemaltes „Fürchte dich nicht!“ oder „Christ ist erstanden!“ – die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt. Es kommt darauf an, mit den vorhandenen oder mobilisierbaren Ressourcen die Menschen zu erreichen, die man erreichen kann und will.

Wie können Christinnen und Christen den Ostermontag zuhause/ in Isolation/ ohne physische Gemeinde feiern?

Zunächst einmal, in dem sie auf die bereits skizzierten Angebote zurückgreifen. Auch der bundesweite Flashmob #osternvombalkon“, bei dem um 10.15 Uhr aus den Häusern, Gärten und von den Balkonen „Christ ist erstanden“ gesungen und gespielt wird, kann Gemeinschaft über die Distanz hinweg stiften und die Botschaft in die Häuser bringen. Wie gut insbesondere die Klänge von Blechbläsern unseren Gemeindegliedern tun können, weiß jeder, der einmal mit dem Posaunenchor auf einem Weihnachtsmarkt gespielt hat. Warum sollte das an Ostern nicht dezentral funktionieren?

Was lehrt uns die Corona-Krise hinsichtlich der Infragestellung des Sonntags-/ Festtagsgottesdienstes als des selbstverständlichen Zentrums der Gemeinde?

Die Corona-Situation zeigt meiner Ansicht nach überdeutlich, was schon sich schon vorher abzeichnete: Der herkömmliche Gottesdienst um 10 Uhr nach Agende 1 oder 3 hat nur für eine sehr begrenzte Zielgruppe dauerhaft Relevanz.  Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass dieses klassische Gottesdienstformat von vielen Pfarrerinnen und Pfarrern und von regelmäßigen Kirchgängern geliebt wird (von mir selbst auch).  Entsprechend erleben und beklagen vor allem diese Insider die jetzt entstandene Leerstelle. Und auch wenn die Beobachtung, dass der um 10 Uhr am Sonntag gefeiert Gottesdienst auch für Menschen relevant ist, die selbst nicht teilnehmen, aber sich so von anderen Christinnen und Christen vertreten fühlen, kann nicht darüber hinwegtäuschen: Die theologische Konzeption, wonach der Gottesdienst das Zentrum der Gemeinde ist, bricht sich an der Empirie.

Gleichzeitig ist aber die Regelmäßigkeit des Termins sonntags um 10 Uhr ein Vorteil, den wir nicht leichtfertig aufgeben sollten. Deshalb haben wir diesen Termin auch bei „for your soul“ für den Livestream beibehalten, aber er ist eben nicht alternativlos, da die Sendung auch später bei YouTube abgerufen werden kann.

Allein die Tatsache, dass man einen ebenfalls um 10 Uhr live ausgestrahlten und danach dauerhaft abrufbaren Online-Gottesdienst auch mitfeiern kann, wenn man im Schlafanzug am Frühstückstisch sitzt, ist nach den mir vorliegenden Rückmeldungen ein echter Anreiz für Menschen, die selten bis nie sonntags um 10 Uhr in Kirche oder Gemeindehaus aufzufinden sind.

Es könnte für die Zukunft ein Weg sein, regional einen Gottesdienst-Dreiklang ins Leben zu rufen: An einem Ort ein klassischer Gottesdienst um 10 Uhr, an einem anderen Ort ein Abend-, Jugend-, Familien- oder anderer Zielgruppen-Gottesdienst zu einem anderen Termin, und an einem dritten Ort wird ein Online-Gottesdienst gefeiert. Wenn es dann noch gelingt, die auf so unterschiedlichen Wegen feiernde Gemeinden ein paar Mal im Jahr zum gemeinsamen Feiern einzuladen, ist viel gewonnen – auch nach Corona.


Steffen Groß ist Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Schwetzingen. Vor seinem Vikariat war er Redakteur bei einer Tageszeitung und beim Regionalfernsehen. Wissenschaftlich interessieren ihn vor allem die Chancen und Risiken digitaler Verkündigung.

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