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Theologie – Chance und Herausforderung eines Theorie-Praxis-Schismas

Es ist an der Zeit einer wechselseitigen Öffnung: Theologie und Kirche müssen sich herausfordern lassen von den Junkies und den höflich Distanzierten, diese müssen Einzug halten in die akademische Welt und müssen ihren Auftritt fordern, mitten im gepflegten Kirche-Sein.

Published onJan 22, 2018
Theologie – Chance und Herausforderung eines Theorie-Praxis-Schismas
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Szene 1

Es war an einem Donnerstagabend im April 2017. Um 18:30 beginnt der Werktagsgottesdienst in einer großen katholischen Kirche in einer mittelgroßen Stadt Norddeutschlands mit einer nur noch sehr kleinen Anzahl Katholik*innen. Ich bin neu hier. Die Kirche ist mitten in der Stadt, ein Sammelsurium an Bau-, Kunst- und Liturgiestilen – man merkt ihr die Stürme der Reformation und Besetzung durch die Katholik*innen förmlich an. Ich bin spät dran, laufe schnell Richtung Altarraum, in dem sich die kleine Werktagsgemeinde im Kreis um den Altar versammelt. Es hat etwas für sich, Katholikin in der Diaspora zu sein. Priester und Laien agieren auf Augenhöhe, haben längst das Divenhafte abgelegt, das man bei vielen Südstadtkatholik*innen noch bemerkt. Kurz bevor ich die drei Stufen zum Altarraum hochlaufe, schwenkt mein Blick nach rechts auf den hellbeigen Teppich vor der Pietà. Auf dem Teppich liegt eine blutverschmierte Spritze. Nach dem Gottesdienst spreche ich das Pastoralteam auf die Spritze an und bekomme sehr unaufgeregt erläutert, dass sie die wohl heute übersehen hätten. Wie in jeder Stadt habe man hier das „Problem“ mit den Junkies in den Kirchen, man würde die Spritze gleich einsammeln.

Ich habe viele Jahre in Städten gelebt und katholische Kirchen dort kennengelernt. Ich kenne Kirchen, die jetzt Turnhallen sind; Kirchen, in denen Kindergruppen ihre Schlafsäcke ausrollen; Kirchen, die als Ausstellungsräume für Vernissagen dienen – diese Art der Kirchennutzung war mir nicht bekannt.

Der Raum vor der Pietà eine Fixerstube? Die Wahl des Ortes ergibt Sinn: Diese katholische Kirche ist tagsüber immer geöffnet und doch ist selten jemand dort. Sie ist in der Nähe des Bahnhofs und eines Parks. In ihr ist man ungestört, egal, ob zum Gebet oder zum Ausruhen und Verweilen oder um seine Nöte, Ängste und Sorgen anders zu stillen. Das Kirchenschiff ist lang und vom hinteren Eingang bis zum Altarraum, der noch dazu mit Säulen „verbaut“ ist, ist der Weg weit; dort vorne ist man relativ geschützt. Und der Teppich ist einigermaßen warm. Ist das der Funke Geborgenheit, den „Kirche“ noch geben kann? Es ist ein Platz im Schatten, ohne dass das eigene Leiden in den Schatten des Leidens Jesu gestellt wird. Vielmehr ist es die Nähe zum scheinbar ausweglos Leidenden und die nicht zu zähmende Hoffnung, doch einst erlöst und erweckt zu werden. Der Teppich lädt ein, sich zu den beiden zu setzen, die Arme Mariens gedanklich zu verlängern. Dann halten sie nicht nur Jesus in dieser scheinbar ausweglosen Situation, diesem dead end, sondern auch den- oder diejenige, die sich zu ihnen gesellt. Die Stellung der Augen Mariens erlaubt es sogar, sich angesehen zu fühlen. Maria schaut nicht nur das Leid des in ihren Armen toten Mannes an – zerkratzt, zerfurcht, blutverschmiert, schwitzig und kraftlos, sondern auch den Menschen auf dem Teppich. Sie schaut hin! Genauer gesagt geht ihr Blick auf faszinierende Weise geradeaus und dabei dennoch leicht schräg nach unten. Sie blickt nicht ehrfurchtsvoll oder demütig nach oben, zu denen, die es geschafft haben, zu denen man auf-schauen muss, die man sich wohlgesonnen machen sollte, auf deren Hilfe man angewiesen ist. Ihren würdevollen Blick richtet sie auf diejenigen, denen der aufrechte Gang genommen wurde, die sich nicht mehr strecken können oder wollen, auf die man zu oft herabgeschaut und die dadurch immer kleiner geworden sind. Marias Schauen ist kein verächtliches, es ist ein aufmerksames, interessiertes – ein anerkennendes. So wird sie zu einer Lehrmeisterin für eine Theologie und Kirche des 21. Jahrhunderts! 

Szene 2

Firmgottesdienst in einer lebendigen Gemeinde in einer traditionell katholischen Stadt, einem gut situierten Akademiker*innenviertel, beinahe 30 Firmlinge. Die Kirche ist gefüllt bis an den letzten Rand: Weihnachten mitten im Jahr. Die Firmlinge haben den Gottesdienst maßgeblich mitgestaltet, haben die Lieder ausgewählt, Fürbitten vorbereitet, Erinnerungen und Wünsche formuliert. Wäre man auf einem westfälischen Schützenfest, würde man sagen, ‚hier laufen Schlager‘. Neue Geistliche Lieder, die bereits seit Jahren immer wieder auf den Hitlisten von Hochzeiten, Schulgottesdiensten, Weltjugendtagen und Ökumenischen Kirchentagen stehen. Und doch singen die, die immer singen.

Hier wird ausnahmsweise nicht die leere, sondern die gefüllte Kirche zum Lernort. Wie gehen wir, die in der Kirche Beheimateten, mit ‚unserer‘ Tradition um, unserer einstudierten Formelsprache, die uns vielleicht noch trägt, plausibel erscheint, den anderen aber nicht? ‚Die anderen‘ werden immer mehr und es liegt längst nicht mehr an den Singenden, zu beurteilen, ob ein Lied bekannt ist. Liturgie erschließt sich nicht von selbst und die gemeindetheologische Intensivgruppen-Romantik: ‚Wenn ihr nur laut und fröhlich genug singt und erlöst genug dreinschaut, wollen die anderen unbedingt zu euch gehören und eure Lieder singen‘, wirkt nur noch bizarr. Seit langem beobachtet man – gerade bei besonderen gottesdienstlichen Feiern – dass Mitfeiernde sich beim Händereichen zum Friedensgruß mit Vor- und Nachname vorstellen. Während dann die eine „Der Friede sei mit Dir“ nuschelt, antwortet der andere „Freut mich. Max Mustermann“. Oder wenn beim Kommunionempfang die Hostie nicht mit „Amen“ entgegengenommen und sofort verzehrt, sondern mit „Oh, velen Dank“ gegriffen und dann mit ihr in der Hand zurück in die Bank gegangen wird – wo sie vermutlich in so mancher Handtasche oder Brillenhülle verschwindet. Was soll man damit? Was isst man da? Warum Amen?

Szene 3

Eine munteres akademisch-intellektuelles Gezanke in einer theologischen Fachzeitschrift: Ein Autor erhebt die Stimme der analytischen Philosophie, die sich offensichtlich in ihrer tragenden Rolle für den wissenschaftlich-theologischen Diskurs nicht genügend anerkannt sieht. Unter dem Schleier der wissenschaftlichen Neutralität und vor allem Nüchternheit tummelt es hier nur so von Emotionalität. Die Aufgabe der Katholische Theologie versteht der Autor als „zum einen durch homiletische Tiefengrammatik geprägte[n] Dienst für die Gemeinschaft der Gläubigen, zum anderen nach außen Rechenschaftsgabe auf dem Forum der öffentlichen Vernunft.“

Hier geht es um eine Schulstreitigkeit innerhalb der Theologie, genauer der katholischen Theologie. Göcke wirft „der katholischen Theologie Deutschlands“ (35) vor, dass sie ein Problem mit der analytischen Philosophie habe. Und vermutlich hat er Recht. Denn selbst wenn die Vertreter*innen der analytischen Philosophie mit allem richtig liegen, Wahrheit für sie kein diskursives Feld mehr ist, hat sie ein Vermittlungsproblem (womit sie sich in guter Gesellschaft der universitären Theologie insgesamt befindet). Wer die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes in einer modallogischen Formelsprache ausdrückt, hat zwar entsprechend seines eigenen methodischen Anspruchs „begriffliche Klarheit und argumentative Transparenz“ geleistet und ist der „Explikation der zur Anwendung kommenden Rechtfertigungsstrukturen und deren Voraussetzungen im methodischen Vordergrund“ (35) gerecht geworden, muss sich dann aber auch die Frage gefallen lassen, wie die Gottesformel denn erlebt werden kann. Worauf soll der Denksport hinauslaufen und was ist mit den Unsportlichen? Bleiben sie am Rand sitzen und bewundern die Leistungssportler*innen auf dem Feld, oder lässt man sie teilhaben, mitspielen? Spielt man ihnen den Ball zu? Und wenn sie ihn nicht fangen? Sind sie dann einfach nur zu ungeschickt, oder haben wir ihn rücksichtslos geworfen? Zu weit? Zu nah? Zu fest? Zu sachte?

Es ist die alte Frage: Wozu Theologie?

Wann immer ich mich dem analytischen Boot Camp hingebe und seitenlange Diskurse studiere, schwebt folgende Frage wie ein Damoklesschwert durch meinen Kopf: Wie ist dieser garstige Graben zwischen Philosophie und all ihren Auswüchsen und hilfreichen Durchwirkung der Systematischen Theologie hin zur Praktischen Theologie zu überwinden? Welche universitäre Person ist eigentlich dafür zuständig, den Modallogik-Gott den zukünftigen Religionslehrenden nahe zu bringen, zu vermitteln? Welcher Kindergärtner bringt die Frohe Botschaft des Modallogik-Gottes 3-Jährigen bei? Welche Pfarrerin predigt den immer älter werdenden Kirchgänger*innen den Modallogik-Gott? Welcher Weihbischof ermutigt beim Weltjugendtag mit einer Katechese über den Modallogik-Gott? Welche*r Wissenschaftler*in schafft den Spagat, den intellektuell aufbereiteten Modallogik-Gott in ihrer eigenen schweren Lebenskrise im Gebet zu spüren?

Und dabei geht es nicht nur um die analytische Religionsphilosophie; vielmehr hat die universitäre Theologie an sich ein Vermittlungsproblem – auch die Idealistinnen, Hermeneuten, Hegelianer etc. erheben jeweils hegemoniale Ansprüche. Insofern ist Magnus Striet in seiner Replik und Antwort auf Benedikt Göckes Beitrag1 zuzustimmen „Wunderbar, man streitet sich“ – so der Titel. Allerdings schließt sich die Frage an, um was hier gestritten wird? Geht es hier wirklich um „die Sache“?

Fachkräfteüberschuss?

Der Diskurs muss ein Plausiblisierungsdiskurs sein und zwar auf ganzer Linie. Die Unterschiedlichkeit dieser drei Szenarien soll verdeutlichen, wie fern universitätswissenschaftliche und oft auch akademische Theologie von kirchlichem Leben und dieses wiederum vom gesellschaftlichen Alltag entfernt ist. Die Zeiten sind vorbei, in denen Theologieprofessoren selbstverständlich auch Pfarrer waren, zumindest im gemeindlichen Alltag irgendwie verankert waren oder dort mal gewesen, seelsorgerliche Luft geschnuppert haben. Mittlerweile herrscht in der akademischen Theologie alles andere als ein Fachkräftemangel. Hochgebildete und hochspezifizierte Intellektuelle geben immer mehr Antworten auf Fragen, die sich so kaum jemand der Gottessuchenden stellt. Selbst binnentheologisch hapert es an der gegenseitigen Vermittlung der eigenen Anliegen und Ansätze. Die Diskussion darüber, welche Teildisziplin nun wahrhaft die Wichtigste ist, welcher metaphysische Begründungsanspruch nun wirklich das allerallerletzte Wort hat, ist eine Elfenbeinturmdiskussion, der man „Touch ground – please“ zurufen möchte. Es hat etwas Elitäres, wenn Systematische Theolog*innen meinen, sie seien der Nabel der Theologie und es dann auch bei der eigenen Nabelschau belassen. Nicht nur, dass damit den anderen theologischen Disziplinen jegliches begründende Element abgesprochen wird, sie werden bestenfalls zu „Vermittlungswissenschaften“ degradiert, die dann selbst schauen können, wie sie das von der Systematischen Theologie generierte „Know-How“ an den Mann/die Frau bringen. Eine Theologie, die zu einer puren intellektuellen Gymnastikübung avanciert, ist keine Theologie mehr. Sie redet mehr von sich selbst als von Gott. Sie vergisst, dass man nicht von Gott reden kann, ohne von Menschen zu reden.

Das Neuland, das es meines Erachtens zu entdecken gibt, ist die Lebenswelt der Suchenden und Zweifelnden. Auch der Verzweifelten und derjenigen, die das Suchen aufgegeben haben. Papst Franziskus mahnt seine Kirche, sich ihres eigentlichen Ortes wieder bewusst zu werden: den Rändern. Zugegeben, es ist etwas ironisch, wenn das Zentrum sagt, wo die Ränder seien, denn indem es dies tut, ist es nicht dort.

Es ist an der Zeit einer wechselseitigen Öffnung und eines mutigen Schrittes: Theologie und Kirche müssen sich berühren und herausfordern lassen von den Junkies und den höflich Distanzierten, sie müssen Einzug halten in die akademische Welt und ihren Auftritt fordern, mitten im gepflegten Kirche-Sein. So lange die Sprache von Gott eine Fremdsprache bleibt und das Dolmetschen einigen engagierten Praktischen Theolog*innen überlassen wird, degradiert man die Mehrheit zur Minderheit und erhebt sich über sie. Damit aber stellt sich die akademische Theologie selbst ein Bein: Vor lauter Rechtfertigung ihrer Wissenschaftlichkeit und Standortsicherung an den deutschen Universitäten, errichtet sie sich selbst ein Denkmal und verliert damit jegliche Berechtigung ihres Seins. Denn Theologie ist eine zutiefst menschen- und lebensweltbezogene Angelegenheit. Das Neuland, zu dem Theologie aufbrechen sollte, ist so alt, wie sie selbst: der Mensch gewordene Gott. Ohne Landkarte und ohne Kompass möge sie sich auf die ungewisse Reise begeben, um nicht nur über und von den Menschen zu sprechen, sondern in erster Linie mit ihnen. In der Begegnung mit Welt wird so manche Frage an Virulenz verlieren, andere werden erst gehört werden. Das Neuland ist die Empirie – sie soll Impetus für Forschungsfragen sein und sie soll Forschung in Auftrag geben.

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