Die folgenden Thesen bündeln Diskussionslinien aus dem vierten Workshop der Arbeitsgruppe „Theologie in der Klimakrise“, der am 26.-27.09.2024 an der FEST Heidelberg stattgefunden hat. Sie dokumentieren die Diskussionen der gesamten Arbeitsgruppe (AG) und wurden von den Leiterinnen der AG, PD Dr. Frederike van Oorschot und Prof. Dr. Kinga Zeller, verfasst.
Eschatologie und Apokalyptik sind – analog zu den Debatten um den Schöpfungsbegriff – in theologischer Perspektive und von den biblischen Texten her kommend keine Denkfiguren der Zukunft, sondern „Bewältigungs- und Deutungskategorien“1 für die Gegenwart. Auch apokalyptische Szenarien, die gegenwärtig rund um die Klimakrise formuliert werden, sind entsprechend zu interpretieren und im Hinblick auf ihre programmatischen Aussagen für das Heute wahrzunehmen (s. Thesen 5-10).
Eschatologien und apokalyptische Szenarien beschreiben ein Narrativ, in dem Gottes Handeln und menschliches Handeln eng miteinander verwoben sind.
Sie laden ein, sich an einem gottgefälligen Leben zu orientieren. Indem die Zukunftsvision nicht nur chronologisch, sondern vor allem inhaltlich zu deuten ist, zeigt sie auf, was ist, was erwartet werden kann und was möglich ist.
Apokalyptische Szenarien stehen immer unter dem Eindruck starker Bedrängnis.
Eine Minderheitengruppe sieht sich überwältigenden Mächten ausgesetzt und richtet ihre (verbleibende) Hoffnung auf das rettende Eingreifen Gottes. Es geht damit Erlösung, Befreiung, auch Entrückung in himmlische Welten.
In den biblischen Texten verbindet sich in der Apokalyptik die Beschreibung einer zu erwartenden Zukunft mit dem Anliegen, die Gegenwart zu beeinflussen. Insofern sind eschatologische Texte auch als prophetische Texte zu lesen:
Als eschatologische Texte wollen sie himmlische Welten aufschließen, die nicht kognitiv zugänglich sind.
Als prophetische Texte stehen je nach Adressat*innenkreis unterschiedliche Anliegen im Vordergrund: Sie rufen die einen zur Umkehr und versuchen den anderen Trost zu spenden. Diese Adressat*innenperspektive gilt es auch für den Umgang mit gegenwärtigen Apokalypsen und die Verwendung eschatologischer Motive in der Gegenwart, gerade im Kontext einer Klimatheologie, zu bedenken (s. These 13).
Die Verbindung und zugleich Differenz von Apokalypse und Prophetie verdeutlicht die Herausforderung der Bezugnahmen auf eschatologische Motive in der Klimatheologie: Die eschatologischen Bilder können von den einen als prophetisches Zeichen zur Umkehr gedeutet werden, den anderen dienen sie als Trost, wieder anderen machen sie Angst.
Eine enge Verbindung von Eschatologie und Ethik ist daher naheliegend. Sie darf dabei jedoch nicht übersehen, dass die Eschatologie in der Ethik nicht aufgeht, sondern – analog zur Rede von der Schöpfung – grundlegende Aussagen über Mensch und Welt treffen will.
Apokalypsen finden wir vor. Säkulare und religiöse (post)apokalyptische Bilder und Imaginationen begegnen im Zusammenhang mit der Klimakrise derzeit allenthalben. Zu unterscheiden sind:
Wissenschaftlich fundierte Skalierungen der Kipppunkte des Klimas, der Artenvielfalt u.v.a.m., die einerseits nach dem potentiellen Ende der lebensermöglichenden Faktoren auf der Erde oder in bestimmten Regionen der Erde fragen und andererseits auf einen gesellschaftlich auszuhandelnden Risikoabwägungsprozess verweisen, insofern diese Skalierungen mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Diese arbeiten nicht per se mit apokalyptischen Szenarien, können von den Forschenden aber mitunter mit solchen Szenerien und Narrativen verbunden werden.
(Pop)kulturelle Imagination möglicher Zukünfte des Menschen in Büchern, Film und Serien, die das Ende der Menschheit z.T. sehr spezifisch vor Augen malen.
Die Verwendung apokalyptischer Szenarien als Drohkulissen im Kontext (populistischer) politischer Instrumentalisierung und mitunter auch Polarisierung.
Die Verwendung apokalyptischer Szenarien als Verheißung des kommenden Gottesreiches im Kontext bestimmter religiöser Interpretationen mit häufig fundamentalistischen Tendenzen oder Ausrichtungen.
Es ist bei den verschiedenen Formen der Apokalyptiken, bzw. ihrer Imaginationen auch zu unterscheiden, ob sie allgemein gehalten sind und sich auf den Untergang aller beziehen, oder berücksichtigen, dass für MAPA (most affected people and areas) in gewisser Weise die Apokalypse schon eingetreten ist, gerade eintritt oder früher als für andere eintreten wird.
Die Formen unterscheiden sich wesentlich durch ihren epistemischen Status: Während wissenschaftliche Endzeitszenarien auf breiter interdisziplinärer Forschung beruhen, bewegen sich (pop)kulturelle Szenarien in kulturellen Bild- und Textwelten. Bei (populistischen) politischen Verwendungen finden sich häufig Mischformen, aber auch die Leugnung interdisziplinärer Forschungseinsichten.
Religiöse Interpretationen, die im Klimawandel hoffnungsvolle Zeichen der Apokalypse und des anbrechenden Gottesreiches erkennen, setzen sich pauschal auf die Seite derjenigen , die auf Erlösung hoffen dürfen, und ignorieren den kritisch-prophetischen Gehalt der Apokalypse. Sie gehen beim Reich Gottes zudem von einem neuen Reich aus, das die bestehende Schöpfung ablöst, statt von einer Transformation der bestehenden Schöpfung.
Die von wissenschaftlichen Erkenntnissen beeinflussten (pop)kulturellen apokalyptischen Formen haben oft motivierende Funktion und rufen zur „Umkehr” auf. Darin teilen sie ein Anliegen mit den biblischen Texten, wobei innere Umkehr und der Ruf nach transformativem Handeln unterschiedlich gewichtet sein können (sowohl innerhalb der biblischen Texte als auch in modernen Formen).
Eine theologische Auseinandersetzung besteht weniger in der Entwicklung neuer apokalyptischer Szenarien als in der Deutung vorfindlicher Imaginationen und ihrer Ziele – auch im Gespräch und in Auseinandersetzung mit den apokalyptischen Imaginationen der christlichen Tradition.
Die apokalyptische Rhetorik der Klimabewegung unterscheidet sich von der antiken Apokalyptik durch ihren Wirklichkeitsbezug, den sie durch die Auseinandersetzung mit und in Aufnahme von wissenschaftlich-fundierten Erkenntnissen gewinnt. Sie ist mithin insofern angebracht, als sie von wissenschaftlicher Empirie gedeckt wird.
(Pop)Kulturelle Imaginationen der Apokalypse deuten das Ende der Welt aus ihrer Perspektive für ihre Zeit. Insofern sind auch sie – ähnlich der christlichen Imaginationen – „Bewältigungs- und Deutungskategorie“ für die Gegenwart.
Auch in ihrem prophetischen Überschuss (s. These 3) ähneln sich christliche und säkulare Eschatologien der Klimakrise. Sie unterscheiden sich, wenn es sich in der säkularen Apokalypse um eine sog. „kupierte Apokalypse“ handelt, in der die Heilserwartung entweder nicht genannt oder explizit abgelehnt wird.
Aus der biblischen Tradition beschreibt eine Apokalypse eine systemische Gefangenschaft. Das lenkt den Blick darauf, nicht pauschal von Täter*innen und Opfern zu sprechen (auch wenn die Zuordnung mitunter deutlich möglich ist), sondern zu differenzieren. Auch im „reichen Westen“ gibt es Opfer des Systems.
Während die apokalyptischen Imaginarien der westlichen Welt vor allem auf den möglichen zukünftigen Untergang der Welt abheben, ist die apokalyptische Szenerie (bspw. von Fluten oder Bränden verschlucke Heimaten) für viele andere Kontexte der Welt schon Gegenwart. Es ist bei einer theologischen Auseinandersetzung mit der Apokalypse immer auch zu berücksichtigen, dass sie für bestimmte Kulturen und Gemeinden bereits stattgefunden hat, gerade stattfindet oder deutlich früher stattfindet als für andere.
Die Rede vom Gericht rückt den kommenden Gott in den Fokus und stellt uns vor die Frage, welches Handeln der Ankunft Gottes und seinem Urteil standhält.
Das Gericht hat in der christlichen Tradition den Charakter der Offenlegung von Handlungsfolgen: Gericht bedeutet, von den Konsequenzen der eigenen Haltung und des eigenen Handelns eingeholt zu werden. Es kann auch bedeuten, die eigenen Handlungen und Entscheidungen in einem neuen Licht wahrzunehmen. Dies kann sowohl trösten als auch bedrohen.
In Bezug auf unseren Kontext und unsere Verantwortlichkeiten hinsichtlich der Klimakrise braucht es eine neue Lesart der apokalyptischen Texte der Bibel.
Die biblischen Gerichtsbilder sprechen aus der Perspektive derer und zu denen, die leiden. Die Täter*innen können nicht auf das Gericht hoffen, sondern müssen es fürchten.
Wir finden uns als Theolog*innen aus dem deutschsprachigen Raum nur begrenzt in der Rolle der zu befreienden Gruppe wieder, sondern sind (schon rein strukturell und daher auch auf unterschiedliche Art und Weise) Mitglieder der Gegenmacht (das „Empire“, die „Hure Babylon“, die Täter*innen). Wir sind nicht jene, die im Text direkt angesprochen werden, sondern stehen eher auf der Seite jener, über die gesprochen wird. Auch der Umgang damit ist eine theologische Aufgabe und reicht von der Aufdeckung der Zusammenhänge bis zur Tröstung und dem Versuch, Lähmung und Resignation vorzubeugen.
Dabei kommt ein rein binäres Verständnis der biblischen Apokalyptik an ihre Grenzen: Es gibt im Blick auf die Klimakrise zwar klare Täter*innen und klare Opfer, aber auch viele strukturelle Verflechtungen dazwischen und Zusammenhänge, in denen die Zuweisung als „Täter*in“ oder Opfer nicht eindeutig zu bestimmen ist. Statt von einem „Empire“ scheint es in einer globalisierten Welt sinnvoller von Wirtschaftsformen zu sprechen, da es letztendlich v. a. wirtschaftliche Interessen globaler Marktteilnehmer*innen sind, die sich gegen Klimaanpassungen und -schutz sowie eine Transformation des Bestehenden wehren.
Die Klimakrise ist nicht das (End)Gericht, aber die Rede vom Gericht über die Taten des Menschen kann zum Interpretament der Klimakrise werden.
Das Anthropozän lässt sich als Gegenmacht beschreiben, die uns zugleich betrifft und uns gegenübersteht „wie ein Gericht“ – gerade weil Menschen es herbeigeführt haben und wir hier mit den Konsequenzen unseres Handelns konfrontiert werden. Das Ausweichen vor diesen Konsequenzen erfordert Einzelhandlungen, die keine Auswirkungen in naher Zukunft haben werden.
Handlungsfolgen können Gegenstand eines Gerichts sein, auch im Sinne der klassischen Beschreibung des Gewissens als “forum internum”: Dort ist der Mensch zugleich Ankläger, Verteidiger und Richter – ganz ähnlich wie im gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs. Das Anthropozän steht dann in gewisser Weise für die (denkbare) Endgültigkeit und Unausweichlichket von Handlungsfolgen.
Damit ist die biblische Vorstellung vom Gericht ethisch neu interpretiert – weit über die Texte hinaus in eine andere Konstellation, die weniger Glauben oder Unglauben als Handlungsfolgen in den Blick nimmt: Unser Heil hängt zwar nicht an unserem Umgang mit unserer Mitwelt, unser (ganz konkretes, innerweltliches) Unheil aber schon. „Environmental sin“ lässt sich daher als Handlungsoption beschreiben, die man unterlassen sollte.
Eschatologie ist Lehre von Hoffnung und Furcht: Sie erwartet den kommenden Gott, dessen Kommen die Gegenwart verändert. Das Auf-uns-Zukommen Gottes aus der Zukunft Gottes ist orientierend für das menschliche Handeln.
Diese Ausrichtung ist auch für die Apokalypse leitend und es bietet es sich an, vor diesem Hintergrund verschiedene Arten der Apokalypse (bspw. mit Cathrine Keller) zu unterscheiden und dabei auch zu bedenken, inwiefern sie Handlungsmacht oder Ohnmacht suggerieren.
Hoffnung ist ein Entgegenkommen von Gott zu uns und ein „Locken“ (Cathrine Keller) zu Gott und dem gottgefälligen Leben. Hoffnung widerfährt uns als/in der Gnade.2
Hoffnung ist ein Modus des Handelns und diesen gibt es nur in verkörperter und materialisierter Form.
Hoffnung wird konkret in der Liebe: Liebe als Zuwendung zur Welt und zum Nächsten bedeutet einen Mentalitätswechsel und daraus resultierenden Handlungswechsel. Die Fähigkeit hierzu wird dem Menschen von Gott zugetraut.3
Im Horizont der Apokalyptik steht neben der Hoffnung das Beharren des Menschen (Hypomone) in der Gegenwart im Vordergrund: Diese beschreibt Durchhaltevermögen und aktiven Widerstand in Bedrängnis.
Menschliches Handeln vollzieht sich im Spannungsfeld von Gegenwart und Zukunft. Epistemische Unsicherheit und existentielle Ungewissheit sind daher ein zentrales Thema der Ethik.
In der Klimakrise verbinden sich existentielle und epistemische Dimensionen, wenn wir ernst nehmen, dass wir selbst von der Klimakrise betroffen sind: Als ethisches Subjekt bin ich in Entscheidungen als Subjekt epistemisch und existentiell involviert.
Weiterführende Fragen für den nächsten Workshop sind: (Wie) kann mit eschatologischen Bildern ethisch gearbeitet werden? Welche Potentiale erschließen die narrative Form, poetische Sprache und/oder filmische Darstellung christlicher und säkularer Apokalyptik? Wo wirken diese motivierend, wo lähmend?