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Sohn der Sonne – Kind der Nacht

Superman, der Sohn der Sonne, Batman, dieses Kind der Nacht. Wie sich die Licht-Dunkel-Metaphorik über die Prototypologie der allerersten Superhelden verspannt.

Published onJul 17, 2022
Sohn der Sonne – Kind der Nacht

Zugegeben, mit einem luftigeren Titel lässt sich ein besserer Anfang machen. Er muss einem allerdings auch in den Sinn kommen, außerdem sollte er mit den Denkstrecken verträglich sein, die man zu gehen beabsichtigt. Wäre es also weislich klüger, weil strategischer gewesen, gleich den begrifflichen Schlüssel dieser Auftragsarbeit über „Dämonen der Gegenwart“ zu nutzen, um flugs eine Comic-Ikone der POP-Kultur, nämlich: den Batman, als Ausbund des gegenwartskulturell fixierten Dämonischen auszuweisen - und by the way exemplarisch vorzuführen, was damit gemeint sein könnte? Vielleicht.

Andererseits jedoch will hier genau das gemeint sein, was sich in Titel und Untertitel zaghaft andeutet, nämlich: dass die Batman-Figur eine von zunächst zwei Basisfigurationen – nähmen wir etwa WonderWoman hinzu, wofür es gute Gründe gibt, gäbe es bereits derer drei – der Comic-Superhelden-Erzählindustrie ist. Und dass sich das zum Dämonischen comicesk Ausfigurierte im Wesentlichen narrativ rekonstruiert bzw. aus der comicalen Origin-Story erklärt – und insofern der verhältnismäßig monokausalen Erklärung Folge leistet, wonach die Lebens- und Sozialgeschichte einer menschlichen Kreatur deren Wesenskern mindestens nachhaltig gestaltet. [Wie ärgerlich es bisweilen ist, dass mit Hilfe einer solchen Erklärungslogik für jeden Menschen und jede Tat eine biografisch-soziografisch-kulturbasierte Entschuldigung angeführt werden kann, auch dort, wo man auf die Frage nach dem Vorkommen übler menschlicher Basischarakterzüge auch mit anderen Antworten aufwarten könnte – z.B. mit der Idee eines Menschengeschlechts, dessen Trachten (Gen 8,21), Wirken, Sein und Wesen böse ist von Grund auf – ist auch in der Comicwelt registriert worden: An dieser Stelle wird man in der Regel mit einer vierten Basisfiguration konfrontiert, nämlich der des Superschurken und Erz- bzw. Endgegners aller Helden. In der Batman-Welt ist es für gewöhnlich der Joker; dieser Prince of Crime wird mitnichten zu denen gerechnet, die sich als Opfer der Umstände verteidigen lassen, denn er ist schon dem Wesen nach arg, beißend, peinlich, falsch, boshaft, herzlos, abgründig, heimtückisch und hinterlistig: Auch ein Dämon – wie Batman, s.u. – aber eben einer von der üblen Sorte. Doch zurück zur ursprünglichen Betrachtungslinie. Oder besser: ganz zum Anfang.]

Im Juni 1938 erschien die erste Ausgabe des Action Comics. Auf der Titelseite war gerade ein Mann in einem farbenfrohen Zirkuskostüm dabei, ein Auto mühelos über seine Schultern vor einen Steinhügel zu schleudern: Ein echter Übermensch, ein Supermann im Nietzsche’schen Sinne quasi, jedoch, wie sich später herausstellen sollte, keineswegs irdischer Herkunft. Der Supermensch war gar kein echter Mensch, auch wenn er so ausschaute; sondern ein Alien des Kosmos, ein Waise des zerberstenden Planeten Krypton, von seinen sterbenden Eltern mit einer Raketenkapsel ins Weltall gejagt, bis er irgendwo in den USA niederging und von einem kinderlosen Ehepaar gefunden, dann aufgezogen worden war. Die Science-Fiction-begeisterten Freunde Jerry Siegel und Joe Shuster hatten den Superman-Character erdacht; vier Jahre waren benötigt worden, um jene Heldenfigur zu entwickeln, die ein grundgütig-edles Wesen besaß, von Geburt an über einzigartige Fähigkeiten verfügte, als per se unverwundbar und übermächtig galt und sich aufgrund seiner sogenannten geheimen Zweitidentität gut zu tarnen vermochte.

Der Superman der Action Comics erwies sich als Glücksgriff für die Verlagsanstalt, eine eigene Superman-Reihe folgte umgehend, und auch der Bedarf nach einer weiteren Heldenfigur, die den Erfolg wiederholen könnte, war gegeben. Eine schlichte Verdopplung sollte jedoch nach Ansicht des Verlegers Vin Sullivan ausgeschlossen werden; zwar habe man sich bei der Entwicklung eines Nachfolgecharakters an der bewährten Superhelden-Kriteriologie zu orientieren, müsse aber zugleich eine komplementär angelegte Heldenidee versinnbildlichen können. (Immerhin ergibt es ja auch Sinn, mit neuen Figuren ein alternatives Klientel zu gewinnen.) Auf dieses Verlagsansinnen konnte v.a. der junge Cartoonist Bob Kane optimal reagieren. Sein Portfolio – die Entwürfe waren deutlich inspiriert von der mehrfach filmisch inszenierten und printmedial durchdeklinierten Pulp-Figur des Zorro mit ihrer „playboy by day, avenger at night"-Aura, zudem von düsteren Hollywood-Produktionen der 30er Jahre (The Bat Whispers, 1930; Dracula, 1931), zuletzt von da Vincis Fluggerät-Skizzen – war derart überzeugend, dass er binnen kürzester Zeit seine Arbeit aufnehmen durfte. Gemeinsam mit dem ambitionierten (Comic-)Autor Bill Finger schuf Kane den erwünschten neuen Superhelden.

Im Mai 1939, also nicht einmal ein Kalenderjahr nach dem Erstauftritt des Superman, debütierte The Bat-Man in Detective Comics #27 (und bescherte dem schwächelnden Magazin die erwartet neuen Erfolge). Der schnell in Batman umbenannte Held war, im Gegensatz zu Superman, verwundbar und verletzlich. Kane und Finger hatten sich entschlossen, seine Genese als traumatische Begebenheit auszugestalten; in der Vor- und Entstehungsgeschichte des Batman wird erzählt, dass der junge Millionärssohn Bruce Wayne Zeuge der Hinrichtung seiner Eltern wird: nach einem gemeinsamen Kinobesuch – die Familie schaut sich Zorro an! – werden Thomas und Martha Wayne von einem Taschendieb erschossen. Aus der Trauerarbeit des Knaben, entwickelt sich allmählich die Sucht eines beinahe verbitterten Erwachsenen, den es drängt, Verbrechen jeglicher Art zu bekämpfen. In Kampfsportarten trainiert und als Fledermaus verkleidet jagt Bruce (Batman) Wayne die Kriminellen seiner Zeit, um guten Bürgern schicksalhafte Begegnungen mit bösen Wesen zu ersparen. Im Frühjahr 1940 erscheint die erste Ausgabe einer eigenständigen Batman-Reihe.

Der doppelte Erfolg von Superman und Batman beflügelte Schreiber, Zeichner und Verlagsgesellschaften. Die Timely Comics Group mit ihren Marvel Comics präsentierten ihre Helden Human Torch, Prince Namor Submariner und Captain America, DC gelang ein weiterer großer Wurf mit Wonder Woman, der ersten wirklich populären Superheldin. 1941 lag die Zahl der regelmäßig erscheinenden Comic-Books im dreistelligen Bereich. Das Medium war weitestgehend vom neuen Genre der Superheldenstory dominiert: offensichtlich waren jene heldischen Superwesen, die sich mit einzigartigen Kräften und Fähigkeiten gegen Gefahren, Bedrohungen und Schicksalsschläge zu stemmen wussten, schnell zu Projektionsflächen für Wünsche und Sehnsüchte geworden; aus aktueller Perspektive gehören sie längst – ein Blick auf die jüngsten Erfolge der so genannten Superheldenfilme mag genügen – zu den großen Ikonen gegenwärtiger (POP-)Kultur. Das Spektrum besagter Heldencharaktere wird dabei nach wie vor von jenen ersten Prototypen gesäumt, die im Verbund als „Worlds Finest“ auftraten – und doch die konträren Pole besetzten.

Der Verfasser erinnert sich an dieser Stelle an seine Kindheitstage, in denen die Streifrage der spielenden Kinder „Bin ich Batman oder Superman“ über die Geltung der Argumente ausgefochten wurde, dass doch der eine ganz gottgleich sei, während der andere unverkennbar Mensch geblieben wäre. Letzen Endes kam es immer auf die Grundwesenszüge der Mitspielenden an: wollte man sich eher als unzerstörbare, aber eher einfältige Gottheit ins sichere Rennen begeben – oder in der Figur des verletzlichen, gleichwohl brilliant denkenden Menschen zwischen Selbstbeherrschung und Selbstzweifel das Wagnis des Lebens durchexerzieren? (Übrigens lässt sich eine solche Debatte auch über Charaktere des so genannten Marvel-Universums führen, etwa in der Gegenüberstellung von Daredevil und dem Silver Surfer, Captain America und Captain Marvel oder Hawkeye und Thor. Um nur einige zu nennen. Aber das Prinzip ist das gleiche.)

Die Entscheidungsfrage hinsichtlich der existenziell letztinstanzlichen Favorisierung von Superman oder Batman war bereits in den Origin-Storys angelegt. Superman, geboren unter der roten Sonne Kryptons, hatte seine Kraft augenscheinlich aufgrund der veränderten Schwerkraftbedingungen der Erde erhalten, aber, wie man bald erfahren durfte, letzten Endes aus der gelben Sonne des blauen Planeten Erde bezogen. Die gelbe Sonne war seine Energiequelle, er selbst funktionierte wie eine Art lebendiger Solarzelle, erschien des helllichten Tages am Himmel seiner Wahlheimat, der Großstadt Metropolis. Batman hingegen war in der Crime Alley, einer düsteren Gasse der Großstadt Gotham City entstanden, neu geboren in der Nacht des Mordens; er blieb der Dunkelheit zugewandt, entfaltete sich zwischen den Schatten vernebelter Straßenschluchten. Supermans Farben waren leuchtend blau, rot und gelb, Batman kleidete sich in graublauschwarzes Leder, umhüllt von einem schwarzen Cape. Superman trug sein Gesicht offen zur Schau, Batman verbarg sich hinter einer Maske, die nur die Mundpartie offen ließ. Superman sprach ganze Sätze durch seinen Mund. Batman knurrte wenige Worte durch einen Sprach- bzw. Stimmverzerrer. Beide waren auf ihre Art früh zu Waisen geworden, den Superman jedoch hatten seine Adoptiveltern Martha und Jonathan Kent noch zu einem Optimisten machen können. In seiner eigentlichen Existenz war er Clark Kent, ein Mensch mit Beziehungen und Freunden; Superman war der Verkleidete, ein Rest im bunten Dress. Bei Bruce Wayne war es umgekehrt. Zu weit war er schon in seiner Entwicklung, um den Tod seiner Eltern vollends vergessen verdrängen zu können. Er wurde ganz zur Kreatur der Nacht, nicht das Gewand war seine Tarnung, sondern die Persona Bruce Wayne. Der Batman – das war er: ein Rächer, der als dämonische Fledermaus dem abergläubischen Gesindel Angst und Schrecken einflößen wollte, um es alsbald zur Strecke zu bringen.

Diese Basisgeschichte wurde immer neu erzählt. Die Pointe blieb bestehen.

Und nicht nur. Denn dieses Kind der Nacht war ja nicht der Antagonist des Sonnensohnes, der jede Atomrakete stoppen konnte – und alle Verletzungen billigend in Kauf nahm, weil er auf die Sonne vertrauen durfte.

Der Batman war von einer anderen Gewalt, war der Dämon, der das Böse im Alltäglichen zur Strecke brachte. Der Geist, der erschien, um die Straftat als solche zu identifizieren und den Täter vor die Konsequenzen zu stellen. Dieser Dämon war das Gericht – und zugleich immer derjenige, der seine eigene, verbliebene Existenzform mit der Verfasstheit der üblen, gefallenen Welt zu (er)klären versuchte.

Beide – sowohl der Sohn der Sonne als auch das Kind der Nacht – haben ihre Dämonen, die nicht von der guten Art sind. Es sind die Nachtgesichte ihrer je persönlichen Vergangenheitsgeschichte, vor allem aber die Personifizierungen einer Gegenwelt, die sich auftürmt und mit Macht (Lex Luthor) und Wahnsinn (Joker) zu triumphieren sucht. Kommt es zu einer Situation, in der sich Größenwahn und Verrücktheit solidarisieren, um die Zeitläufte zu korrumpieren, bilden Licht und Schatten, Sonne und Nacht eine Allianz, um dem Armageddon ein Bollwerk entgegenzusetzen. Und kommt der Erfolg, kommt die Freundschaft, kommt die Erinnerung, kommt die Erlösung.

… Aber das war erst der Anfang. Der Text endet an dieser Stelle, wird aber andernorts weitergeschrieben. Immerhin bleibt zu diskutieren, was diese Konstruktion guter Dämonen in der Gegenwartskultur austrägt. Wie es mit den üblen Dämonen weitergeht. Wie sie zu greifen sind. Was das mit dem Joker zu tun hat. Und warum diese Zeilen so abrupt enden, als sei der Gedankengang abgeschlossen. Vielleicht, weil der Verfasser mit Zuschriften rechnet? Von Batman gar? Oder von Dir?

Einen nächsten Eindruck vermitteln übrigens die Klassiker der Comic-Literatur, ausgewählt vom F.A.Z. Feuilleton, ed. FAZ, Frankfurt/M. 2005f., besonders die Bände 07 (Batman) und 01 (Superman). Lesenswert ist zudem Frank Miller et.al., The Dark Knight Returns 1-4, DC / New York 1986 sowie Dave Gibbons / Steve Rude, World’s Finest, DC/New York 1990.


Frank Thomas Brinkmann, seit einiger Zeit Professor für Praktische Theologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hat seine Kindheit mit der protestantischen Religion seiner Oma und den Cowboyspielereien seines Großvaters, den Bildungsermahnungen seines meist abwesenden Vaters und den belletristisch gesättigten Traummomenten seiner Ma, außerdem als Hüter eines ziemlichen Schatzes pädagogisch gefragwürdigter Comics zugebracht. In seiner inneren Enzyklopädie haben sich also regelmäßig Winnetou, Batman, Jesus, Odysseus und Lilo Pulver ein gleichberechtigtes Stelldichein gegeben und miteinander gerungen.
Brinkmann hat übrigens über Wahrheit und Gewißheit promoviert, sich zu Comics und Religion habilitiert. Geschrieben hat er einige Bücher (über Musik, Heimat, Kunst, POP, Comics usw.) und ganz viele Aufsätze. Er ist Vorsitzender von pop.religion e.V. (https://pop-religion.de/). Batman ist weiterhin sein Held.

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