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Was und wie ist Kirche? Anmerkungen aus systematisch-theologischer Perspektive

Was bedeutet es für das Verständnis von Gemeinschaft, wenn diese digital stattfindet? Wo und wie entstehden neue Formen von Gemeinschaft - und wie verhalten sich diese zum Verständnis von Institution und Amt? Diesen Fragen geht der folgende Beitrag nach.

Published onMay 11, 2021
Was und wie ist Kirche? Anmerkungen aus systematisch-theologischer Perspektive
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Mit diesem dritten Workshop schließt eine erste Runde des Kreisens um Kernthemen einer Ekklesiologie digital-analoger Kirche. Und mit dem Thema „Amt und Gemeinschaft“ kommt für mich ein sehr grundlegendes Thema in den Blick – wenn nicht die Grundlage unseres gemeinsamen Nachdenkens über Ekklesiologie. Es geht um die Frage, was eigentlich diese „Kirche“ ist, von der wir so viel sprechen. Und wie sie sich verändert durch die vielfältigen digitalen, hybriden und analogen neuen Formen kirchlichen Lebens in den letzten Monaten. Als systematische Theologin interessieren mich dabei nicht nur nach den sichtbaren und offensichtlichen Veränderungen, sondern die Veränderungen im Selbstverständnis der Kirche.

Ich habe mich in den letzten Monaten intensiv mit Kirchenbildern auseinandergesetzt (vgl. van Oorschot 2021). Denn wer oder was Kirche ist, das drückt sich auch in Bildern aus: Leib Christi, Tempel, Volk Gottes – das sind die Bilder, mit denen die Gemeinschaft der Christusnachfolgenden in den biblischen Texten beschrieben wird und mit denen wir sie bis heute beschreiben. Eingangs wurde schon nach den Kirchenbildern gefragt, die Ihnen besonders zentral sind. Mit dem Bild der „Gemeinschaft der Glaubenden“ greift die erste These ein zentrales Bild der Kirche auf. Meiner Wahrnehmung nach steht diese Beschreibung der Kirche als Gemeinschaft in der Diskussion um digitale Kirche oft im Vordergrund. Und das zu Recht: Denn es ist m.E. die große Stärke vieler digitaler Formen kirchlichen Lebens, Gemeinschaft zu leben und miteinander Kirche zu leben.

Neue Formen der Gemeinschaft führen bis heute zu neuen Kirchenbildern, die bestehende Bilder ausleuchten, kommentieren und präzisieren. Dies gilt aktuell für digitale Formen kirchlichen Lebens. Immer wieder kommt hier das Bild der Kirche als „Netzwerk“ in den Blick: Netzwerkkirche, networked theology, Kirche im Netz, Kirche als Netz – in Wortspielen und Adaptionen des weltweiten Netzes wird der Ort, die Struktur und das Wesen der Kirche online gedeutet und entworfen. Und mit dem Bild des Netzwerks neu vor Augen gestellt.

Kirchenbilder stellen die Dogmatik vor die Aufgabe, diese begrifflich zu durchdringen und auf ihre ekklesiologischen Implikationen zu befragen. Dies ist auch das Anliegen der folgenden Überlegungen: Wie verhält sich das Bild des Netzwerks zu anderen ekklesiologischen Beschreibungen der Kirche? Was sagt es aus über das Verständnis der Gemeinschaft der Glaubenden? Und was sagt es aus über das Verständnis von Amt und Beauftragung?

1. Kirche als Netzwerk – Konturen eines Kirchenbildes

Die US-amerikanische Informatikerin und Theologin Heidi Campbell und der australische Theologe Stephen Garner haben bislang die präziseste Beschreibung des Kirchenbildes des Netzwerks vorgelegt, die auf ihren umfangreichen empirischen Studien digitaler Kirche aus den letzten 15 Jahren beruht.

Ausgangspunkt hierfür ist das sozialtheoretische Modell der Netzwerkgesellschaft im Anschluss an Manuel Castells: „Network society is based on social relationships that are flexible rather than fixed. These relationships are loosely connected by needs and preference rather than tightly connected by tradition and institutions. […] The image of the network further emphasizes that societal structures, and even our social relationships, are increasingly decentralized yet interconnected and supported by a social-technical infrastructure.“ (Campbell/Garner 2016, 64).

Die damit markierten Veränderungen betreffen auch den Bereich der Religion: Online bilden sich fluide neue „communities“ um religiöse Themen, die sich selbst als Kirchen beschreiben. Es finden Gottesdienste statt, es bilden sich Kommunikations- und Seelsorgenetzwerke rund um einzelne Akteure in sozialen Medien und einige Kirchen gestalten ihr kirchliches Leben vollständig online. In der Netzwerkgesellschaft, so die These von Campbell und Garner, verändert sich eben auch die Kirche und ihre Gemeinschaftsformen.

Als Leitbild wird dabei ebenfalls das Bild der Kirche als Netzwerk eingeführt und durch fünf Merkmale gekennzeichnet (Campbell 2020; Campbell/Garner 2016, 64-77; Friesen 2009):

  1. Nach innen dient das Bild des Netzwerks zur Beschreibung einer Gemeinschaft. Zwischen den Beteiligten bestehen fluide Verbindungen, die jederzeit veränderlich sind. Entscheidend ist die persönliche Wahl Einzelner, die zu starken oder schwachen Verbindungen führen. Friesen grundiert sein Bild einer Netzwerkkirche mit einer relationalen Theologie: Den trinitarischen Gott beschreibt Friesen als linking God (verbindenden Gott), der im Menschen als networked person (Netzwerkperson) seine anthropologische Entsprechung hat. Die Kirche ist daher seit ihrem Beginn als Netzwerk zu verstehen, das eine offene Gemeinschaft beschreibt.

  2. Die Netzwerkstruktur wird egalitär gedeutet: Das Netzwerk ist eine Gemeinschaft unter Gleichen, es wird als „demokratisch“ beschrieben und stellenweise durch den Verweis auf das Priestertum aller Glaubenden dogmatisch gedeutet. Autorität wird durch Authentizität und Kompetenz erworben. Pastoren sind zur Pflege dieser Räume beauftragt. Autorität kommt diesen nur insofern zu, als sie sich als authentisch und kompetent für diese Aufgabe erweisen. Amt und Beauftragung verlieren ebenso an Bedeutung wie Institutionen und Organisationen.

  3. Die Identität der Gemeinschaft gründet in einem verbindenden religiösen Narrativ, das als Kristallisationspunkt und Gravitationszentrum der Netzwerke dient (storied identity). Verbunden wird dieses mit dem Geist Gottes, der das Netzwerk variabel in Zeit und Raum zusammenhält – es handelt sich zugleich um eine asynchrone wie zeitlose und ortlose Gemeinschaft. Stellenweise wird diese potentiell universale Vernetzung mit der Figur des Leibes Christi verbunden.

  4. Nach außen kennzeichnen sich Netzwerke durch offene Ränder. Sie sind Teil sich überlappender Lebenswelt-Netze und ihrer Praktiken (convergent practise) online und offline (multiside reality).

  5. Das Netzwerk wird als Zukunft der Kirche beschrieben: Anschlussfähig an bestehende Sozialformen scheint im Netzwerk eine zukunftsfähige Kirche jenseits institutioneller, räumlicher und zeitlicher Grenzen denkbar.

Im Bild des Netzwerks kommt meiner Wahrnehmung nach zweierlei zusammen: Auf der einen Seite dient es der Einordnung digitalen kirchlichen Lebens in ein kulturtheoretisches Konzept, eben in die Beschreibung der Netzwerkgesellschaft (reflexive Dimension). Auf der anderen Seite wird es theologisch, anthropologisch und ekklesiologisch gedeutet und so zu einem Leitbild, einer dogmatischen Leitidee, an der es sich auszurichten gilt. Als Leitbild beschreibt es eine egalitäre und zukunftsfähige Vergemeinschaftung mit offenen Rändern, deren Identität narrativ entfaltet und im Geist Gottes gestiftet ist.

Was für ein Verständnis von Gemeinschaft transportiert nun dieses Bild? Und was sagt es über das Amt – oder vielmehr: An welchen Stellen schweigt es sehr offensichtlich zu diesem Thema? Dazu fünf Beobachtungen:

2. Gemeinschaft und Netzwerk

2.1. Gemeinschaft ist community und communio.

Netzwerke konstituieren eine Gemeinschaft, das ist ihr zentrales Kennzeichen. In den Blick kommt im Bild des Netzwerks die informelle Verbindung der Glaubenden in, zwischen und unter den Institutionen – oder völlig davon losgelöst. Diese wird als „community“ beschrieben. Digitale Netzwerkgemeinschaften zeigen dabei vorbildlich, wie soziale Gemeinschaft auch in Kirchen digital gelebt werden kann, wie die Thesen richtig beschreiben – zum Teil deutlicher als so manche parochiale Gemeinschaft.

Ein zweiter Blick zeigt: Die communities digitaler Kirchen verstehen sich als communio digitalis: Sie sind im Geist Gottes gestiftet und durch ihn verbunden miteinander, so führt es die katholische Liturgie­wissen­schaftlerin Theresa Berger aus: Die physische Kopräsenz der Feiernden – also die leibliche räumliche Nähe – ist daher nach Berger kein Kennzeichen und damit auch kein Konstitutivum geistlicher Gemeinschaft (Berger 2017, 39).

Hier trifft die Beschreibung der Kirche als Netzwerk ein Anliegen ökumenischer Ekklesiologien: Kirche ist auch und vor allem eine geistliche Gemeinschaft, eine Communio Sanctorum. Entsprechend kommen in den Vorstellungen der Kirche als Netzwerk konfessionelle Grenzen entweder kaum oder als überwundene Grenzen in den Blick. Dass die communio sanctorum weder mit physischer Kopräsenz noch mit institutionellen Anbindungen konstitutiv verbunden sein muss, ist für eine digitale Netzwerkkirche ebenso deutlich wie für die ökumenischen Kirchenbilder.

2.2. Communio ist virtuelle Gemeinschaft – im Geist, nicht im Medium.

Über die notwendigen Differenzierungen der Gemeinschaft als leibliche und geistliche Gemeinschaft, sowie die Unterscheidung zwischen virtueller Geistgemeinschaft und digital mediatisierter Virtualisierung sagen die Thesen einiges aus, was ich kurz vertiefen möchte.

Deutlich wurde: Die gottesdienstliche Gemeinschaft ist eine geistliche Gemeinschaft: Es ist die Gemeinschaft des Leibes Christi, an der die gottesdienstliche Gemeinde teil hat. In diesem Sinn hat jeder Gottesdienst einen virtuellen Aspekt im Wortsinn: Es ist eine Gemeinschaft, die immer mehr ist als das, was kohlenstofflich erkennbar ist. Zugespitzt kann jeder Gottesdienst als eine erweiterte Realität beschreiben werden: Wir feiern in der Hoffnung auf die Teilhabe und die Eingliederung in die Raum und Zeit übergreifende Gemeinschaft der Heiligen. Gottesdienst – oder christliches Leben im Ganzen – ist also eine Form von augmented reality im Wortsinn!

Feiern wir Gottesdienste online, so tritt zu dieser virtuellen Ebene eine bestimmte Form der Mediatisierung: Die Gemeinschaft, die wir erleben, ist vermittelt durch technische Strukturen. Wir haben es also mit zwei Formen von Virtualität zu tun: Auf der einen Seite der virtuellen Gemeinschaft der Kinder Gottes – gestiftet durch den Geist. Auf der anderen Seite einer technisch mediatisierten virtuellen Gemeinschaft – ermöglicht durch digitale Medien.

Damit ist deutlich: Der Unterschied zwischen digital vermittelter Gemeinschaft und kohlenstofflicher Gemeinschaft liegt nicht darin, dass das eine virtuell ist und das andere nicht. Vielmehr liegt der Unterschied in der Frage, welche Bedeutung der physischen Gemeinschaft zugesprochen wird. Wir haben diese Frage in den Abendmahlskontroversen intensiv diskutiert. Ich möchte daher nur eines hervorheben: Digitale Gemeinschaft kann und will – so wie ich es wahrnehme – physische Gemeinschaft nicht ersetzen, sondern akzentuiert andere Aspekte von Gemeinschaft. Zugleich ermöglichen digitale Medien Gemeinschaft, die physisch nicht möglich ist. Beides kann also nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern bereichert sich gegenseitig, wie Thesen 6-8 beschreiben.

2.3. Gemeinschaft in (digitalen) Netzwerken ist eine „Gemeinschaft der Praxis“.

Die Gemeinschaft digitaler Kirche entsteht durch gemeinsames Feiern und das Teilen von religiösen Erfahrungen. Anders gesagt: Das Teilen des Wortes Gottes, das Teilen eigener Erfahrungen – das macht die community zu einer communio. So beschreibt auch Campbell die gemeinsame story, das geteilte Narrativ, als identitätsstiftend: Dieses bringt den gemeinsamen Bezug auf Gott zum Ausdruck und verbindet die Glaubenden miteinander.

Erkennbar wird hier eine Dynamik, die Felix Stalder im Blick auf digitale Gemeinschaft insgesamt beschreibt: Digitale Gemeinschaften sind communities of practice (Stalder 2017, 135ff). Sie entstehen aus ihrer geteilten Praxis. Von dort her generieren sie auch gemeinsame Inhalte, dieses steht jedoch nicht im Vordergrund. Sie kennzeichnen sich vielmehr durch ihr gemeinsames Handeln, das geteilte Erleben.

Verbindet man diese Bobachtung mit protestantischen Ekklesiologien, scheint eine interessante Spannung auf.

Auf der einen Seite ist für die evangelische Tradition der religiöse Vollzug, das gemeinsame geistliche Leben entscheidender Ort und Konstitutivum der Kirche: Mit CA 7 ist dort Kirche, wo das Evangelium recht verkündet und die Sakramente recht verwaltet werden – und zwar im Vollzug der konkreten Gemeinschaft. CA 7 schreibt hier nicht von der communio, sondern von der konkreten congregatio – also der gottesdienstlichen Gemeinschaft.

Auf der anderen Seite kommt der festgeschriebenen gemeinsamen Glaubensüberlieferung – also den Bekenntnissen und der Tradition – ebenso wie der organisierten Rahmen der Gemeinschaften – also der Institution, dem Amt und den Formen der Beauftragung – auch in der protestantischen Tradition großes Gewicht zu. Diese dienen – ähnlich wie die Amtsstrukturen im Neuen Testament – zum einen der Erkennbarkeit der Gemeinschaft nach außen und zum anderen der Sicherstellung der Dauerhaftigkeit der Gemeinschaft.

In diesem Spannungsfeld ist nun konstruktiv zum einen nach dem Verhältnis von Praxisgemeinschaft und Inhalt und zum anderen nach dem Verhältnis von fluider Verkündigungs- und Zeugnisgemeinschaft zu Institution und Amt zu fragen. Das möchte ich in den zwei folgenden Thesen entfalten.

2.4. Gemeinschaft im Narrativ und unter dem Wort Gottes.

Fragt man nach dem Verhältnis einer „community of practice“ zu ihren Inhalten, steht ekklesiologisch die Frage nach dem Grund der Gemeinschaft im Raum. Denn mit dem Bild des Netzwerks wird das Subjekt der Gemeinschaft doppelt begründet: Die communio sanctorum ist eine Gemeinschaft, die in der geistgewirkten Anteilhabe an Gott gründet – die community wird als Zeugnisgemeinschaft beschrieben, die damit im menschlichen Bezeugen gründet. Und so stellt sich die Frage: Ist es der Geist, der die Einzelnen einschreibt oder sind es die Glaubenden? Weiter gefragt: Versteht sich das Netzwerk als creatura verbi, also als eine im Wort und durch das Wort gestiftete Gemeinschaft – oder als Erzählgemeinschaft? Wie lassen sich diese Dimensionen zueinander ins Verhältnis setzen?

Weiterführend ist an dieser Stelle ein anderes Kirchenbild: das Bild des Leibes Christi. Auch hier steht die Verbindung miteinander im Fokus: Paulus beschreibt die Verbindung sonst getrennter Gruppen im Leib Christi und die Aufhebung der Unterschiede im neuen Sein der Glieder des Leibes (1Kor 10,17. 12,12). Jedoch beschreibt Paulus eine andere Dynamik für und aus dieser Verbindung: Denn die Verbindung untereinander gründet in dem Sein in Christus. Nicht die Glieder konstituieren den Leib, sondern Christus macht sie zu einem Leib. Durch die Eingliederung in den Leib Christi verändert sich die Identität der geistlichen Gemeinschaft als ein neues Sein en christo. Diese Dynamik wäre auch für die Beschreibung der Kirche als Netzwerk zu bedenken.

3. Und das Amt?

Nun habe ich den zweiten Teil des Workshoptitels noch kaum berührt und bin schon fast am Ende meiner Zeit. Das hat einen inhaltlichen Grund: Nach evangelischem Verständnis sind Amt und Institution kein Selbstzweck neben der Gemeinschaft, dem Gottesdienst, der Liturgie und dem Abendmahl. Sondern Aufgabe des Amtes ist es, all dieses zu ermöglichen, auf Dauer zu stellen, zu sichern. Dass sich dies an den Amtsstrukturen im Neuen Testament anschließen lässt, habe ich schon gesagt. Dies kommt im Bild des Netzwerks sehr deutlich zum Tragen.

Und doch stellt sich die Frage nach dem Verhältnis fluider religiöser Formen zu etablierten Strukturen und ihren Ordnungsmomenten nicht nur deskriptiv, sondern auch ekklesiologisch: Denn wenn es Aufgabe der amtsgebenden Strukturen ist, kirchliches Leben zu ermöglichen und auszurüsten, ist diese Frage für alle Formen kirchlichen Lebens von Bedeutung.

Fragt man nach dem Verhältnis von Netzwerk und Institution, stehen aus der Debatte um analoge kirchliche Netzwerk verschiedene Zuordnungen im Raum: Roleder weist auf das konstitutive Wechselspiel von formalen Strukturen und informellen Netzwerken hin, die sich gegenseitig erhalten und fördern (Roleder 2020, 299. 302). Mit Horst Gorski kann hier aber auch eine „institutionelle Widerständigkeit“ der Kirche beschrieben werden – die nicht nur bremsend, sondern auch konstruktiv irritierend in die Zukunftsvision digitaler Netzwerke eingebracht werden kann (Gorski 2018, 206). Welche dieser Zuordnungen für digitale Netzwerke gelten und wie diese sich gestalten lassen, ist derzeit offen. Damit verbunden ist auch die Frage nach dem Verhältnis von digitaler und parochialer Kirche.

Die ökumenischen Debatten um das Amt – schon im Vorfeld digitaler Kirche und noch deutlicher jetzt im Kontext des digitalen Abendmahls – zeigen deutlich die Brisanz dieses Themas. Angesichts des sehr offenen Feldes möchte ich dazu nur zwei Fragekomplexe umreißen:

Offen ist erstens die ökumenisch herausgearbeitete Verhältnisbestimmung von Priestertum aller Gläubigen und geordnetem Amt, bzw. Beauftragung. Die – ökumenisch verbindende – Rede vom Priestertum aller Glaubenden ersetzt nicht die Ordnung des Amtes und Beauftragung. Vielmehr geht es mit CA 14 um das Verhältnis von öffentlicher und privater Verkündigung (publici docere, rite vocatus): Ökumenisch wird unterschieden zwischen der Verkündigung des Evangeliums untereinander, die Sache aller Glaubenden ist, und der Verkündigung in der Öffentlichkeit und Verwaltung der Sakramente, welche Sache der Kirche ist. Wie wird dies unter den neuen Zuordnungen von privat und öffentlich im Digitalen zu sortieren sein? Pastoraltheologisch gewendet steht diese Frage in These 10 im Hintergrund, die auf die Inszenierung von Amt und Person hinweist.

Zweitens wird über den Zusammenhang von Amt und Macht zu sprechen sein. Macht konstituiert sich in der Netzwerkgesellschaft über Prozesse von Inklusion und Exklusion, über Präsenz und Mitgestaltung, über Aufmerksamkeit, Knotenpunkte und Steuerung der Protokolle. Diese Formen „funktionieren“ anders als institutionalisierte Macht in bestehenden Kirchen. Aktuell entstehen meiner Wahrnehmung nach viele Konflikte gerade an den Reibungsflächen dieser unterschiedlichen Logiken – zumeist also in und an den Personen, die sowohl Amtsträger der hierarchischen organisierten kirchlichen Institutionen sind als auch im digitalen aktiv. An dieser Stelle bin ich besonders gespannt auf die Einsichten aus der empirischen Forschung.

4. Anstelle eines Fazits

Deutlich wurde: Um das Verständnis der Gemeinschaft zu verstehen, sind viele Bilder notwendig, die sich ausleuchten, kommentieren und präzisieren. Das Bild des Netzwerk sanctorum konstruktiv in diese Aufgabe einzuspielen, war mein Anliegen heute.

Literatur

Berger, Teresa (2017): @Worship. Liturgical Practices in Digital Worlds. Milton: Taylor and Francis (Liturgy, Worship and Society Series).

Campbell, Heidi A. (Hg.) (2020): Digital Ecclesiology. A Global Conversation. Digital Religion Publications: OAK Trust. Online verfügbar unter https://oaktrust.library.tamu.edu/handle/1969.1/188698. DOI 10.21423/DIGITALECCLESIOLOGY .

Campbell, Heidi A.; Garner, Stephen (2016): Networked Theology. Negotiating Faith in Digital Culture. Grand Rapids: Baker Academic (Engaging Culture Ser).

Friesen, Dwight J. (2009): Thy kingdom connected. What the church can learn from Facebook, the Internet, and other networks. Grand Rapids, Mich.: Baker Books (Emergent Village resources for communities of faith).

Gorski, Horst (2018): Theologie in der digitalen Welt. Ein Versuch. In: Pastoraltheologie 107, 187–211.

Roleder, Felix (2020): Die relationale Gestalt von Kirche. Der Beitrag der Netzwerkforschung zur Kirchentheorie. 1. Auflage (Praktische Theologie heute).

Stalder, Felix (2017): Kultur der Digitalität. 3. Auflage, Originalausgabe. Berlin: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 2679).

van Oorschot, Frederike (2021): Network Sanctorum: Reflections on an Image of Church Online. Cursor_ Zeitschrift Für Explorative Theologie. https://cursor.pubpub.org/pub/oorschot-network-sanctorum (letzter Zugriff am 29.04.2021).

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