Die Thesen bündeln Debatten aus dem dritten Workshop der Arbeitsgruppe „Theologie in der Klimakrise“, der am 05.–06.02.2024 an der FEST Heidelberg stattgefunden hat. Sie dokumentieren die Diskussionen aller und wurden von Frederike van Oorschot und Kinga Zeller verfasst.
Die Gründe, die Klimakrise als ein theologisches Thema zu verstehen, sind vielfältig:
Kontextuelle Begründung: Grundsätzlich gilt, dass theologische Konzepte von ihren jeweiligen Kontexten geprägt sind. Ein prägender Kontext unserer Zeit ist die Klimakrise, woraus sich konsequenter Weise die Aufgabe ergibt, einerseits zu reflektieren, inwiefern sich die Behandlung theologischer Topoi durch diese Krise verändert sowie andererseits zu fragen, welches Deutungsangebot die Theologie bezüglich dieser Krise anbieten kann. In diesem Sinn betreiben wir Theologie in der Klimakrise.
Anthropo-relationale Begründung: Theologisch wird der Mensch als Beziehungswesen verstanden und Theologie beschäftigt sich immer auch mit Beziehungen und Beziehungsgestaltung. Insofern die Klimakrise den gesamten Beziehungsraum des Menschen und vieler seiner Mitgeschöpfe bedroht, werden diese Beziehungen verschärft in Frage gestellt.
Soteriologisch-kosmologische Begründung: Durch die Klimakrise wird das Leid auf der Welt unter menschlichen wie nichtmenschlichen Geschöpfen weiter potenziert, als Christ*innen stellt sich uns mit Blick auf die Liebesgebote (Nächsten- sowie Fremden- und Feindesliebe) und den Nachfolgeauftrag (Mitwirken am Reich Gottes) immer auch die Frage nach dem Umgang mit (eigenem und) fremdem Leid hinsichtlich dessen Überwindung.
Ethische Begründung: Aus der soteriologischen Begründung folgt unmittelbar die ethische Frage nach dem guten und richtigen Leben – dem eigenen wie dem der Mitgeschöpfe. Dies ist auch eine theologische Frage, die sich (in christlicher Perspektive) Menschen in ihrem Glauben an Gott und in ihrem Handeln an und mit der Welt stellt unter der Perspektive des angebrochenen Gottesreiches und des Aufrufs zur Nachfolge, zum Leben in der Welt in Liebe und Gerechtigkeit.
Versteht man die Klimakrise als ein Thema der Theologie, so ist noch mehr als sonst geboten, deutlich – in der Terminologie Dietrich Bonhoeffers – zwischen Letztem und Vorletztem zu unterscheiden: Die Klimakrise ist nicht in dem Sinn Thema der Theologie, das an ihr das Heil oder Unheil der Welt im Sinne der Gottesbeziehung hängt. Zugleich berührt die Klimakrise theologische Grundfragen des Welt- Selbst- und Gottesverständnisses sowie -Verhältnisses und ist vor diesem Hintergrund ein Thema auch der Dogmatik und theologischen Ethik (vgl. Workshop 5): Theologie in der Klimakrise fragt nach Schöpfer, Schöpfung und (Mit-)Geschöpflichkeit. Sie fragt, wie wir uns als Menschen verstehen (wollen) und wie wir als Geschöpfe Gottes in die Welt gestellt sind.
Soteriologische und hamartiologische Rede im Kontext der Klimakrise stehen grundsätzlich in der Spannung zwischen Entlastung und Überforderung: Im Licht des Handeln Gottes ist deutlich, dass der Mensch nicht alles leisten muss. Theologisch ist gleichermaßen klar, dass es auch gar nicht alles leisten kann. Zugleich zeigt die Verflechtung der Gottes-, Selbst- und Mitweltbeziehungen, dass der Umgang mit der Mitwelt den Kern des christlichen Glaubens betrifft und den Menschen in seinem weltgestaltenden Handeln fordert.
Mit soteriologischer Rede wird etwas dem eigenen Sein und Handeln Vorausliegendes bezeichnet, das die eigene Existenz trägt, zu einem bestimmten Weltverständnis einlädt und das eigene Handeln orientiert und motiviert. Gleichzeitig kann dieses Vorausliegende nicht allgemein begründet, sondern nur bezeugt werden.
Wie Heil, Heilung, Gnade, Rechtfertigung, Erlösung und Versöhnung in der Selbst-, Welt- und Gottesbeziehung – in protestantischer Terminologie – in Bezug auf Vorletztes (die Welt in ihrem aktuellen Stand) und Letztes (die Welt in ihrem vollendeten Stand) zu denken sind, ist vom Evangelium aus zu explizieren. So, wie der Sündenbegriff verschiedene Funktionen erfüllt und in verschiedenen Hinsichten verwendet werden kann (s.u.), müssen auch soteriologische Begriffe mehrdimensional/multikategorial gedacht werden.
Rechtfertigung ist das göttliche Handeln, das den Menschen mit Gott, der Welt und sich selbst versöhnt. Der Mensch in seinem aktuellen Stand ist immer rechtfertigungsbedürftig. Gerechtfertigt ist der Mensch erst im vollendeten Stand.
Gott bewirkt die Erlösung des Menschen von seinen Sünden und damit Versöhnung mit Gott selbst, der Welt und dem Menschen selbst. Dieses Erlösungshandeln Gottes findet schon jetzt statt, seine Vollendung steht allerdings noch aus.
Dieses Geschehen wird in der Theologie als Heil (soteria) bezeichnet. Aus dem Heil des Menschen erwächst die Möglichkeit für den Menschen, sich seiner Mitwelt zuzuwenden und ihr und sich selbst Gutes zu tun (Heilung/Heiligung). Auch Heilung und Heiligung finden bereits in dieser Welt statt, stehen in ihrer Vollendung aber noch aus.
Offen ist, wie sich diese Prozesse als Prozesse auf die nicht-menschliche Welt beziehen. Klar ist, dass das Heil der gesamten Schöpfung mit allen ihren Geschöpfen gilt.
Das Handeln Gottes ist reine Gnade, eine unverdiente Zuwendung Gottes zum Menschen. Während die Gnade Gottes der vorausgehende existentiale Grund sein kann, der das eigene Sein und Handeln trägt und motiviert, ist es ebenso wichtig zu betonen, dass die ökologische Qualität des eigenen Lebens nicht das Gottesverhältnis des Einzelnen bestimmt. Das Heilshandeln ist dem Menschen im Einzelnen nicht einsichtig. Daher kann vom (ökologischen) Lebenswandel nicht auf den Heilsstatus eines Menschen geschlossen werden.
Gnade ist in Teilen schon heute erlebbar und in Teilen noch ausstehend (vgl. Workshop 4 Eschatologie). Dies wird besonders deutlich, wenn es etwa um die Versöhnung der Menschen untereinander angesichts dauerhafter Ungerechtigkeit in der Welt geht.
In den gegenwärtigen theologischen Debatten um die Klimakrise scheint die Rede von Sünde deutlich weiter verbreitet als die Rede von soteriologischen Kernthemen (Erlösung, Gnade, Rechtfertigung, Versöhnung). Es ist daher daran zu erinnern, dass theologisch die Rede von Sünde immer im Zusammenhang mit Soteriologie und Eschatologie zu denken ist: Erst von der Gnade Gottes her wird die Sünde des Menschen ihm anteilig schon jetzt und letztgültig im Eschaton erkennbar.
Wenn die Sünde aus dem Heil erkannt wird, bedeutet Sünde eine gestörte Beziehung auch im Sinne einer Ent-Solidarisierung des Menschen zu sich selbst, seiner Mitwelt und Gott.
Im Kontext der Klimakrise wird dies durch die Ausbeutung der Mitwelt besonders deutlich. Diese darf nicht auf Tatsünden reduziert werden, sondern es gilt die unterschiedlichen Formen und Funktionen des Sündenbegriffs mitzubedenken.
Sünde kann in individueller, kollektiver sowie struktureller Form erscheinen. Es handelt sich hierbei nicht um voneinander abtrennbare Alternativen, sondern um analytische Unterscheidungen und gegenseitige Ergänzungen, denn das Individuum existiert nie getrennt vom Kollektiv und den Strukturen, in denen es sich vorfindet.
Von Sünde kann in ontologischer, epistemischer sowie moralischer Hinsicht gesprochen werden: Sünde stört Beziehungen, verhindert das Erkennen von gestörten Beziehungen und äußert sich in der Verfehlung von Beziehungen.
Der Sündenbegriff kann verschiedene Funktionen erfüllen: Er kann motivational mit Blick auf Tatsünden, aber auch analytisch oder konfessorisch bezogen auf einen Bußprozess verwendet werden.
Sünde hat nie nur eine vertikale Ebene das Gottesverhältnis betreffend, sondern immer auch eine horizontale Ebene die Mitgeschöpfe betreffend. Insofern ist es legitim, Sünde als theologisches Thema im Kontext der Klimakrise zu adressieren.
Der Sündenbegriff sollte dabei nicht voreilig ins Ethische gewendet werden. Insbesondere die Rede von Schuld angesichts der Klimakrise bedarf einer sorgfältigen Differenzierung in seiner soteriologischen, hamartiologischen und ethischen Dimension.
Als Mensch in der westlichen Hemisphäre ändert auch klimabewusstes Verhalten nichts an der Verstrickung in kollektive und strukturelle Zusammenhänge, die das Leben der Mitwelt schädigen.
Damit geht eine Schuld einher, die teils bewusst und teils unbewusst ist, und die nur bedingt individuell zuschreibbar ist. Gleichzeitig kann sie zurecht von Menschen aus dem Globalen Süden eingeklagt werden und führt zu Verantwortlichkeiten.
In diesem Zusammenhang sind ethische Kategorien wie Gerechtigkeit, Solidarität, Nächstenliebe und Verantwortung weiter zu differenzieren (vgl. Workshop 5).
Im Begriff des Zutrauens können soteriologische und hamartiologische Perspektiven auf den Menschen im Kontext der Klimakrise zusammengeführt werden:
Eine Rede vom Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen kann einerseits als Reinterpretament des Bewahrungsauftrags verstanden werden: Das Zutrauen Gottes in den Menschen richtet sich dabei auf ein lebensdienliches Handeln des Menschen in der Schöpfung im Rahmen seiner Handlungsmöglichkeiten. Die Bewahrung der Welt liegt bei Gott und dem Menschen wird zugetraut, die Welt zu gestalten (vgl. Thesenreihe 2 zur Bewahrung der Schöpfung).
Eine Rede vom Zutrauen Gottes in das Wirken des Menschen kann andererseits als Interpretament der imago Dei fungieren. Die Ebenbildlichkeit besteht nicht nur in Eigenschaften, sondern auch in bestimmten Fähigkeiten in der Bezogenheit und relationalen Existenz des Menschen eben als Imago Dei – so sehr beide nach dem Sündenfall unter dem Vorzeichen der Sünde zu sehen sinds.
Der Zutrauensbegriff hält grundsätzlich die Spannung zwischen der Möglichkeit zum Gelingen sowie zum Scheitern offen, sodass auch in dieser Hinsicht das Sündenmoment nicht negiert wird (vgl. Workshop 5 zu Gerechtigkeit).
Der Mehrwert einer Rede vom göttlichen Zutrauen in das Wirken des Menschen kann im Empowerment liegen, das Zutrauen kann Hoffnung wecken und Trost im Aushalten von Verzweiflung und Ohnmachtsgefühlen spenden (vgl. Workshop 4).