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Published onOct 29, 2017
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Ein Satz aus einem Aufsatz von Peter Sloterdijk geht mir immer wieder nach: „Kirche heute, so scheint es, ist ein Unternehmen zur Selbstverwaltung der Melancholie über die Unmöglichkeit von Kirche.“1 Ist es so? Ist es tatsächlich unmöglich, heute noch authentisch christliche Kirche zu sein? Das letzte große Unternehmen in diese Richtung war die „Kirche der Freiheit“, die mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts ausgerufen wurde. Die Abkehr von überholten Strukturen – vor allem denen der Kirchengemeinde – und die entschlossene Hinwendung zu angeblich modernen „Kunden-Beziehungen” mit den Menschen war das Ziel. Das war gewiss keine Melancholie; hat aber so nicht geklappt, wenn auch viele Spuren hinterlassen. Der Ausgangspunkt war eben diese Einsicht, dass es immer schwieriger wird, das was Kirche inhaltlich bedeutet, plausibel mit Menschen zu kommunizieren die mit christlichem Glauben immer weniger in Berührung kommen. Wenn das so ist dann bedeutet es ganz nüchtern, dass sich der Kreis derjenigen die sich noch interessieren, immer mehr verkleinert und authentische christliche Kommunikation nur mit denen möglich ist die sich in irgendeiner Weise der christlichen Religion überhaupt verbunden wissen – in der Regel sind das dann diejenigen die von Kindheit an mit dem Glauben in Berührung gekommen sind und sich etwas von ihm über vielfältige Übungen angeeignet haben. Aus diesen Engführungen rauszukommen – dafür stand „Kirche der Freiheit“: Öffnung zu modernen Kommunikationsmitteln und -wegen , Zielsteuerungen, Qualitätskontrollen – „Organisationswerdung der Kirche“, wie es mache nun nannten. Ein „Aggiornamento“ der besonderen Art.


„Kirche heute, so scheint es, ist ein Unternehmen zur Selbstverwaltung der Melancholie über die Unmöglichkeit von Kirche.“


Sloterdijk kennt dies alles und gießt darüber seinen Spott aus, indem er das Theorem von Niklas Luhmann von der Ausdifferenzierung der Religion in der Gesellschaft wie folgt interpretiert: „‘Ausdifferenzierte‘ Religion ist kirchliche Religion nach dem Kälteschock der Moderne; sie fährt mit ihrer Selbstklimatisierung fort, indem sie sich darauf konzentriert, in i


Künkle

Wie ist die Situation von Kirche heute?

Vor kurzem besuchte ich die „Weltausstellung Reformation“ in Wittenberg. Auf einem Rekordtief von zwölf Interessierten hielt ich einen Vortrag, anschließend ließ ich mich von einem Roboter segnen und „musste“ vor einer Andacht als Teilnehmer die Kirchenglocke selbst läuten. Ich fragte mich halb ironisch, halb ernsthaft: Ist das die Zukunft der Kirche?

Wie ist die Situation von Kirche heute? Unstrittig ist wohl: Kirche steht in gesellschaftlichen Transformationsprozessen und selbst vor großen Transformationsprozessen. Gesellschaft ist selbstverständlich immer im Wandel, aber es gibt genügend Indizien dafür, dass sich sozialer Wandel erstens immer schneller vollzieht, dieser zweitens häufig einen disruptiven Charakter aufweist und drittens Pluralisierungs- und Ausdifferenzierungsprozesse sich noch am ehesten als übergeordnetes Muster dieses Wandels erkennen lassen.2

Neue Unübersichtlichkeit

Vor nun mehr als 30 Jahren prägte Jürgen Habermas die Chiffre von der ‚neuen Unübersichtlichkeit‘.3 Aus heutiger Sicht scheint die damalige Situation recht übersichtlich und geordnet, die heutige Situation dafür unübersichtlich in einer neuen Qualität. Noch klammern sich nicht wenige Zeitgenossen an die letzten Residuen der großen modernen Erzählungen, auch wenn sie zunehmend Gewissheit darüber erlangen, dass es ungewiss ist, ob diese noch gültig sind. Verblieben sind Reste der Erzählung vom beständigen wirtschaftlichen Wachstum und wachsendem Wohlstand. Doch selbst auf der Wohlfahrtsinsel Deutschland werden diese brüchig, zum einen weil es nur eine Frage der Zeit ist, bis die nächsten Finanzblasen platzen, zum anderen, weil selbst hier die Situation von zunehmend sozial ungleichen Lebensverhältnissen, steigender Armut und der Prekarisierung von Arbeits- und Lebensbedingungen gekennzeichnet ist. Verblieben sind auch Reste der Erzählung vom beständigen, globalen sich Ausbreiten moderner, liberaler Demokratien und postmaterieller, demokratischer Werte. Angesichts des Bedeutungswachstums der neuen Rechten in all ihren Erscheinungsformen, der Bedrohung durch (islamischen) Fundamentalismus und nicht zuletzt eines Donald Trump an der Spitze der (?)ehemaligen Hegemonial- und Ordnungsmacht USA steigt auch hier das Kontingenzbewusstsein, dass bei aller gefühlten Alternativlosigkeit alles auch ganz anders sein bzw. werden könnte. Ein drittes Residuum besteht in der Säkularisierungserzählung, die das Fortschreiten der Modernisierung untrennbar an den Bedeutungsverlust von Religion koppelt. Auch diese hat sich angesichts eines genauen Blicks auf die globale, multireligiöse Situation mit ihren sehr unterschiedlichen Gesichtern empirisch eigentlich längst erledigt4, ist aber so zentraler Bestandteil der modernen europäischen Identität, dass sie angesichts des Traditionsabbruchs und Bedeutungsverlusts des christlichen Glaubens weiter in den Köpfen vieler westeuropäischer Menschen lebendig ist.5 Entscheidend ist: die Menschen klammern sich wohl deshalb so sehr an diese Auslegware auf der Resterampe moderner Narrationen, weil es kaum allgemeingültige Alternativerzählungen gibt und keine positiven, gesellschaftlichen Visionen.

Im Strudel von Wandlungsprozessen

Kirche befindet sich im Strudel dieser Wandlungsprozesse. Sie befindet sich größtenteils in Schrumpfungsprozessen, mit dem Wissen, dass die größten Veränderungsprozesse wahrscheinlich noch bevor stehen. Gleichzeitig sind die Beharrungskräfte, ob unbewusst oder in einem bewusst-trotzigen ‚Weiter so‘, enorm. Zugleich verliert der christliche Glaube für viele Menschen zunehmend an Bedeutung, auch wenn sich sowohl in Einstellungen als auch (etwas weniger) in Praktiken bei erstaunlich vielen erstaunlich viele Restbestände des christlichen Glaubens religionssoziologisch nachweisen lassen. Die Menschen werden auch nicht atheistischer, sondern eher diffus spirituell. Die Situation ist auch hier eher gekennzeichnet von einem Mix aus Multireligiösität, diffuser Hybridität und einer vagen spirituellen Offenheit.6 Kirche als Institution wird aber für immer mehr Menschen irrelevanter, was sich nicht zuletzt in der sinkenden Zahl der Kirchenmitglieder in den evangelischen und der römisch-katholischen Kirche niederschlägt.7 Dies zwingt viele evangelische Kirchen zwar zu teils enormen Sparmaßnahmen, die wesentlichen institutionellen Strukturen der Evangelischen Kirche bleiben jedoch bislang recht stabil. Angesichts von sich abzeichnenden Trends wie weiterer Schrumpfungsprozesse und Herausforderungen wie der prognostizierte Pfarrermangel werden der kirchliche Strukturkonservatismus, die volkskirchlichen Strukturen und deren parochiales System, das aus einem einst innovativen Mix aus staats- und vereinsanalogen Elementen besteht, zunehmend unter Druck geraten.8 Wahrscheinlich werden hier noch viele ‚heilige Kühe‘ geschlachtet werden müssen, jedoch darf man die Beharrungskräfte nicht unterschätzen, die nicht nur durch den Habitus der Beteiligten verursacht ist, sondern vor allem durch den großen institutionellen Überbau und damit ein System, das aufgrund seiner systemischen Eigenlogik, zunächst immer auch an seinem Selbsterhalt arbeiten wird – auch wenn es dabei anteilig immer mehr der vorhandenen Ressourcen verbrauchen sollte.

Herausforderungen inhaltlicher Art

Herausforderungen gibt es aber auch inhaltlicher Art. Man muss Erik Fluegges Polemik nicht komplett folgen, um Angst davor zu haben, dass die Kirche »an ihrer Sprache verreckt«.9 Die letzten Predigten, die ich in kirchlichen Gottesdiensten gehört habe, hätte man als Paradebeispiele nehmen können, um das Vorurteil eines Freikirchlers zu bestätigen, dass „in den Landeskirchen immer substanzloser und nichtssagender gepredigt würde“. Wenn dann auch noch – wie leider selber real erlebt – versucht wird, die verbliebenen Schäfchen bereits vor der Predigt zum Schlafen zu bringen, indem „Seht ihr wieviel Sternlein stehen“ gesungen wird…

Natürlich sind diese Erlebnisse nicht einfach verallgemeinerbar, es gibt großartige Pastorinnen und Pastoren mit großer Lehrkompetenz. Und doch scheint den Kirchen insgesamt die Kommunikation des Evangeliums heute schlecht zu gelingen, d.h. den Zeitgenossen verständlich zu machen, worin die konkrete Relevanz des christlichen Glaubens liegt und was eigentlich das Gute an der guten Botschaft ist. Vor dieser Herausforderung stehen auch freikirchliche Akteure, wobei es hier eher Beharrungskräfte bezüglich einer vermeintlichen Orthodoxie gibt, deren Vermittlung zunehmend scheitert, weil der guten Botschaft („Jesus ist für Dich am Kreuz gestorben und wenn Du Jesus Christus als Deinen persönlichen Retter annimmst, so wirst Du ewiges Leben bekommen.“) eine schlechte Botschaft vorgeschaltet ist („Du bist Sünder und Dich erwartet ewige Verdammnis.“).

In vielen Freikirchen zeichnen sich ohnehin ähnliche Schrumpfungsprozesse ab wie in den Volkskirchen. Neben wenigen wachsenden Gemeinden, stagnieren oder schrumpfen viele, analog zu den traditionellen und bürgerlichen Milieus, in denen die meisten von ihnen im sozialen Raum verortet sind. Manchmal sind es aber erst die großen Herausforderungen, die neue Chancen bergen. Gerade im freikirchlichen Bereich ist meine Wahrnehmung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine sehr traditionelle Gemeinde, die das eigene Aussterben vor Augen hat, eher zum Ort von Innovation werden kann, als eine Gemeinde, die sich selbst als „modern“ wahrnimmt und übersieht, dass die modernen Milieus schon längst nicht mehr Avantgarde sind und zunehmend von postmodernen Milieus sogar aus der gesellschaftlichen Mitte gedrängt werden.10

Neuland: “sozialer Nahraum”

In den evangelischen Kirchen wird zunehmend das Auseinanderdriften von Kirche und Diakonie wahrgenommen und es kommt verstärkt zu gemeinwesendiakonischen Versuchen einer doppelten Reintegration, der von Diakonie in die Gemeinde und der von Gemeinde in den Sozialraum. Auch nicht wenige Freikirchen haben in den letzten 15 Jahren das sozial-diakonische Engagement sowie ihren Stadtteil/ ihr Dorf wiederentdeckt und geben sich Mühe für ihren Sozialraum ‚relevant‘ zu sein.

Dieser konkrete Sozialraum vor Ort scheint mir das wichtigste Neuland zu sein, das noch viel stärker entdeckt werden sollte. Dies geschieht, wenn sich Kirche als ein Akteur im Sozialraum versteht, sich aktiv mit anderen Akteuren vernetzt, um gemeinsam mit diesen den Sozialraum für die dort lebenden Menschen, und besonders die Unterprivilegierten, attraktiver und lebenswerter zu machen und auf diese Weise durch Wort und Tat das Evangelium zu kommuniziere11.12 Beim Entdecken des Sozialraums wird der ‚Bildungsmodus‘, den viele kirchliche Veranstaltungen jenseits des Sakralen meist aufweisen, oft aufgebrochen und in einen ‚Abenteuermodus‘ überführt, bei dem viele Lern- und Umlernprozesse wahrscheinlich gemacht werden. Eine solche Sozialraumorientierung ermöglicht einen dritten Weg sowohl bezüglich der Sozialformen – jenseits von Parochie (Volkskirche) und Sammlung der ‚Frommen‘ (Freikirche) als auch bezüglich der konzeptionell-inhaltlichen Ausrichtung – jenseits von Traditionalismus und einer bloßen Politisierung.

Vernetzung, gemeinsames Experimentieren und der Austausch von Ideen, Erfahrungen und Wissen sind auch die wesentlichen Kennzeichen von zahlreichen neuen Allianzen und Netzwerken, wie ‚Emergent Deutschlan1314, Kirche hochzwe1516, Fresh X‘-Bewegu17g18, u.v.m. Diese Innovationen und Experimentalfelder an den Rändern werden m.E. von der Mitte oder den Zentren aus noch zu wenig wahrgenommen und gefördert. Hier gibt es jede Menge verstecktes Neuland.

Notwendig sind Brückenbauer

Welche Häresien braucht es angesichts dieser Situation? Zunächst vor allem Häresien der Orthopraxie. Notwendig sind vor allem Übersetzer_innen und Brückenbauer_innen, die nicht nur zu der in der Öffentlichen Theologie geforderten Zweisprachigkeit in der Lage sind, sondern kulturell mehrsprachig sind, d.h. dazu in der Lage sind Menschen zu begegnen, die aus einer ganz anderen Lebenswelt stammen als sie selbst bzw. zwischen unterschiedlichen Lebenswelten zu vermitteln und zu übersetzen. Das ist in erster Linie eine Frage der Haltung bzw. setzt eine ernsthafte Dialogbereitschaft voraus, Feindbilder, Vorurteile und wirkmächtige Images zu überwinden. Dies ist jedoch auch eine Frage danach, wie sehr man sich seiner eigenen Situiertheit im sozialen und kulturellen Raum bewusst ist und sich von dieser auch ein Stück weit distanzieren kann. So wie die freikirchliche Praxis oft eng mit einer kleinbürgerlichen Kultur verwoben ist, so ist die kirchliche Praxis oft ebenso mit einer großbürgerlichen Kultur verwoben, nicht erst dort wo sie sich explizit an Hochkultur lab19.20

Damit die Kommunikation des Evangeliums in die heute sehr ausdifferenzierten Lebenswelten und Kulturen gelingt, braucht es, wie oben schon angedeutet, radikale Kontextualisierungen der christlichen Botschaft in diese vielfältigen Kulturen und Lebenswelten. Inhaltlich wird hier ebenso stark experimentiert werden müssen, wie auf kirchenpraktischer Ebene. Wie Kirche und Gemeinde in einer neuen Kultur funktionieren kann, weiß im Vorhinein niemand. Innovation entsteht vor allem dort, wo man erstens ein historisches und kulturelles Bewusstsein hat, denn ohne dieses wiederholt sich Geschichte meist bloß. Zudem ist Innovation soziologisch betrachtet ohnehin das Produkt einer erfolgreichen „Kreuzung bestehender Nachahmungsströme21.22Das Verlernen lernen

Zweitens braucht es dazu eine Lernhaltung, die vor allem zum Verlernen bereit ist. Erst wo Muster und Gewohnheiten des kirchlichen Denkens, Wahrnehmens, Urteilens und Handelns zur Disposition gestellt und ggf. überwunden werden, kann Neues entstehen. Solche Lernprozesse werden oft existentiell als Krise erlebt oder erst durch eine Krise ausgelöst, denn sie verändern immer auch die Identität und sind damit immer schmerzhaf23.24 Allein deshalb sind die Beharrungskräfte meist stärker und es ist eine spannende und noch viel zu wenig beachtete Frage, wie solche Verlernprozesse institutionell gefördert werden können. Wir brauchen Experimente

Drittens braucht es viele praktische und konkrete Experimente, die einerseits zwar analytisch und wissensbasiert vorgehen (z.B. indem eine Kirchengemeinde Potential- und Kontextanalysen vornimmt, um gezielt zu schauen, was sinnvolle Schritte einer Sozialraumorientierung sein können), andererseits aber zu wirklichem ‚trial and error‘ bereit sind. Viele Experimente der letzten fünfzehn Jahre sind bereits gescheitert und viele werden noch scheitern. Die Frage wird hier sein, wie sehr eine schrumpfende und zum Sparen gezwungene Kirche bereit ist, Ressourcen für solche Projektarbeit und Versuchsräume bereit zu stellen.

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