Ist vom biblischen Schöpfungsglauben die Rede, so wird in der Regel an den Schöpfungsbericht in Genesis 1 und die Paradieserzählung in Genesis 2–3 gedacht.2 Ähnlich verhält es sich mit altvorderorientalischen Texten zum Thema Schöpfung, von denen in erster Linie die „großen“ Weltschöpfungsmythen genannt werden.3 Unbestritten handelt es sich um besonders wirkmächtige Texte. Das gilt insbesondere für die beiden biblischen Texte. Sie sind zumeist die biblische Referenz für die gegenwärtigen theologischen und gesellschaftlichen Debatten und stehen daher im Folgenden im Zentrum. Gleichwohl soll zunächst der Blick erweitert werden, denn die Konzentration auf Schöpfungsberichte und -mythen übersieht leicht, dass das Thema auch in Texten anderer Gattungen sowie in der Ikonographie breit belegt ist. Diese anderen, zumeist eher beiläufigen Erwähnungen des Themas Schöpfung machen sogar die Mehrzahl seiner Belege aus. Der Befund erklärt sich damit, dass „Schöpfung an sich“ kein sonderlich prominentes Thema ist, sondern Aussagen zur Schöpfung durch Gott oder die Götter in aller Regel eine bestimmte Funktion haben. In erster Linie geht es darum, die gegebene Lebenswirklichkeit zu erklären oder zu legitimieren. Im Einzelnen umfasst das so verschiedene Aspekte wie das Verhältnis von Gott oder den Göttern zu den Menschen und des Menschen zu den Tieren, die Ambivalenz der Lebenswirklichkeit, gesellschaftliche, kulturelle und politische Gegebenheiten und vieles mehr.
Wie sehr sich das Individuelle auf das Große und Ganze zurückführen lässt, zeigt die aus altbabylonischer Zeit stammende Erzählung vom Wurm:
Als Anu (Himmelsgott) den Himmel erschaffen hatte, der Himmel [die Erde] erschaffen hatte, die Erde die Flüsse erschaffen hatte, die Flüsse die Kanäle erschaffen hatten, die Kanäle den Morast erschaffen hatten, der Morast den Wurm erschaffen hatte, ging der Wurm, vor Schamasch (Sonnengott) zu weinen, vor Ea (Gott der Beschwörungskunst) flossen seine Tränen: „Was gabst du mir zu essen, was gabst du mir zu saugen?“ [Ea erwiderte:] „Ich gab dir die Feige, die reife, die Aprikose, den Apfel!“ [Sprach der Wurm:] „Ich? Wozu das, die Feige, die reife, die Aprikose, der Apfel? Hebe mich hoch und zwischen Zahn und Zahnfleisch setze mich! Vom Zahn will ich das Blut saugen und vom Zahnfleisch Stücke abnagen.“ [Es folgen medizinische Anweisungen an den Priester.] Setze den Pflock und packe den Fuß! Weil du das sagtest, Wurm, soll Ea dich schlagen mit seiner starken Hand! Beschwörung gegen Zahnschmerz. Die Behandlung: Mischbier, einen Brocken Malz und Öl mischst du, rezitierst die Beschwörung dreimal darüber und legst [die Mischung] auf den Zahn.4
Natürlich richtet sich dieses Verfahren gegen einen einzelnen Vertreter der Species Wurm und muss bei jedem neuen Befall mit einem Wurm erneut angewendet werden. Mutmaßlich verlangt der Kontext einer rituellen Beschwörung den Rekurs auf den ersten Anfang – auch oder gerade, weil es um ein gegenwärtiges Leiden geht.
Die Gottesreden des Hiobbuches (Hiob 38–41) bemühen sich – mit anderer Stoßrichtung – ebenfalls darum, das individuelle Schicksal in den größeren Rahmen der Schöpfung einzuordnen. Für Hiob (und seine Freunde) stellt das Leiden des unschuldigen Gerechten die Ordnung der Schöpfung und damit die Schöpfermacht Gottes in Frage. Auf Hiobs Herausforderung an Gott, sich diesem Vorwurf zu stellen, antwortet Gott mit einer Reihe rhetorischer Fragen, durch die er Hiob die Ordnung der Schöpfung vor Augen führt und ihm dessen Unvermögen aufzeigt, diese Ordnung zu erfassen. Hiobs Erfahrung wird in einen größeren Zusammenhang gestellt, wonach sich Lebensführung und -geschick nicht einfach verrechnen lassen. Das Leiden bleibt ein Geheimnis, eingebunden in eine von Gott geschaffene Schöpfungsordnung, die nicht bis ins Letzte determiniert ist.5
Die Rede von der Schöpfung kann aber auch in anderen Kontexten als Argument eingebracht werden. Einen Schwerpunkt der alttestamentlichen Schöpfungstexte bildet der zweite, Deuterojesaja genannte Teil des Jesajabuches (Jes 40–55). Diese Kapitel gehen im Kernbestand nicht mehr auf den namengebenden Propheten des 8. Jahrhunderts v. Chr. zurück, sondern stammen aus der Zeit des babylonischen Exils und der nachfolgenden Jahrzehnte. Die besondere Herausforderung dieser Notsituation bestand im schwindenden Vertrauen auf die Geschichtsmächtigkeit und den Heilswillen des eigenen Gottes. Deuterojesaja reagiert darauf, indem er ältere Aussagen über Jhwhs Schöpfungshandeln weiterentwickelt und Jhwh als universalen Schöpfer der Welt begreift. Als Herr der Schöpfung ist Jhwh auch Herr der Geschichte. Hat Jhwh, der Gott Israels, Himmel und Erde, Wasser und Berge erschaffen, so besteht für Israel kein Grund, sich vor der Macht der Völker zu fürchten. Vor Jhwhs Schöpfermacht sind sie „wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Staub auf der Waagschale“ (Jes 40,15). Da Deuterojesaja alles Wirken des streng monotheistisch gedachten Gottes Jhwh als Schöpfungshandeln begreift, gelten auch die göttlichen Taten in der Geschichte als Schöpfungsakte (vgl. Jes 44,23; 45,8).
Ein weiterer Aspekt biblischer Schöpfungsaussagen, der bei der Konzentration auf Texte zur Weltentstehung häufig wenig Aufmerksamkeit erfährt, sind die zahlreichen Aussagen über Gottes bewahrendes Schöpfungshandeln. Die christliche Theologie unterscheidet zwischen der uranfänglichen Erschaffung der Welt (creatio prima oder creatio originans) und der fortwährenden Erhaltung dieser Schöpfung (creatio continua). Inhaltlich knüpft sie damit an Vorstellungen aus dem alten Vorderen Orient an. Im Alten Testament wird das Thema Schöpfung aufgegriffen, weil die Menschen den Staats- und Dynastiegott Jhwh als den Gott erfahren, der für die (Lebens-)welt zuständig ist. So geht es in den mutmaßlich ältesten Schöpfungsaussagen des Alten Testaments Gottes stets um die Aufrechterhaltung der Ordnung der Welt oder anders formuliert um die Bewahrung der Schöpfung. Sie wird von Gott erbeten und erwartet, weil die Erde sein Eigentum ist. Die um 700 v. Chr. zu datierende Inschrift A aus Ḫirbet Bēt Layy formuliert es so: „Jhwh ist der Gott der ganzen Erde; die Berge Judas [gehören] dem Gott Jerusalems“6. Dass die Erde als Eigentum Jhwhs deklariert wird, bedeutet einerseits Jhwhs Verfügungsgewalt über die Erde und andererseits deren Bestand und Schutz.7 Konkret geht es bei der Bewahrung der Schöpfung um die Garantie der kosmischen Ordnung (Gen 8,22: „Noch alle Tage der Erde sollen Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören“), die Gabe von Regen und landwirtschaftlichem Erfolg (Jer 5,24: „Lasst uns Jhwh, unseren Gott, fürchten, der Regen gibt, Frühregen und Spätregen zur rechten Zeit, die Wochen der Erntefrist sichert er uns“; Jer 10,13: „Wenn er seine Stimme erhebt, finden sich Wassermassen am Himmel ein, und Nebelschwaden lässt er aufsteigen vom Ende der Erde, zum Regen schafft er Blitze, und den Sturm holt er hervor aus seinen Kammern“; Ps 104,13: „Von seinen Gemächern aus tränkt er die Berge, von der Frucht deiner Werke wird die Erde satt“) und die Abwehr chaotischer Gegenkräfte. Prominent ist hier die Tradition vom Kampf gegen das Chaos, die Jhwhs Überlegenheit über die Mächte herausstellt, die die Ordnung der Welt bedrohen. Häufig werden diese durch das Meer und die heranrollenden Brecher repräsentiert. Weil Jhwhs Thron feststeht, können die stets gegenwärtigen chaotischen Mächte die Ordnung der Welt nicht ins Wanken bringen: „Die Stimme Jhwhs über den Wassern, der Gott der Herrlichkeit donnert, Jhwh über gewaltigen Wassern ... Jhwh thront über der Flut, Jhwh thront als König in Ewigkeit.“ (Ps 29,3.10; vgl. Ps 93). Es bleibt offen, wann Jhwh seine Herrschaft angetreten hat. Wichtig ist deren andauernde Wirkung, die Festigkeit des bewohnten Erdkreises, seine Bewahrung vor chaotischer Erschütterung im Sinne einer Zerstörung der Weltordnung (Ps 93,1). Auch wenn Jhwhs Sieg über die Chaosgewalten vor Urzeiten erstritten wurde, so ist der Blick stets auf die Gegenwart gerichtet.
Die Paradieserzählung in Gen 2,4–3,24 zählt zu den bekanntesten und wirkmächtigsten Texten der Weltliteratur. Im Kern geht sie auf einen höfischen und mit dem zeitgenössischen nationalen wie internationalen Bildungs- und Traditionsgut bestens vertrauten weisheitlichen Erzähler des 7. Jahrhunderts v. Chr. zurück.8 Einen wichtigen Zugang zum Verständnis der Paradieserzählung bietet ihre Zugehörigkeit zu den in allen Literaturen des alten Vorderen Orients belegten Mythen vom Uranfang.
Diese Mythen sind von der Überzeugung geprägt, dass alles Gegenwärtige und alles Zukünftige sein Wesen im Anfang erhalten hat. Sie sind „traditionelle Erzählungen von einem Ursprungsgeschehen, das gegenwärtige Wirklichkeitserfahrung erschließt“9. Hieraus folgt, dass sie von ihrem Ausgang, der gegenwärtigen Wirklichkeitserfahrung, her zu lesen sind. Folglich ist auch die Paradieserzählung nicht so sehr an der Entstehung der Menschheit oder deren Zustand vor dem „Fall“ interessiert, sondern vielmehr an den grundlegenden Gegebenheiten des menschlichen Lebens und deren urgeschichtlicher Verankerung. Sie sucht Antworten auf existentielle Fragen und Nöte (nicht nur) ihrer Gegenwart: Warum ist das Wesen des Menschen gleichermaßen von Mängeln und Fähigkeiten geprägt? Warum müssen wir arbeiten, leiden und sterben? Warum sind wir zum Guten wie zum Schlechten fähig? Warum erleben wir uns sowohl als unabhängige als auch als abhängige Handelnde?
Wie viele andere Mythen vom Uranfang greift die Paradieserzählung bei der Beantwortung dieser Fragen auf das Erzählmuster zurück, das die Entstehung der jetzigen Welt und die stets ambivalente Daseinserfahrung des Menschen als Transformation eines „Vorher“ beschreibt.10 Sie unterscheidet dabei zwischen einer irrealen Vorzeit ohne Wasser, Vegetation und Menschen, einer kaum weniger irrealen Zwischenzeit im Garten und der eigenen Gegenwart „Jenseits von Eden“, in der die in die eigene Verantwortung entlassenen Menschen seit jeher den Acker bestellen. Mit dieser Auskunft ist der irreale Anfangszustand der Welt aufgehoben und die Zeit unschuldiger Unmündigkeit des Menschen im Garten beendet. Die Leser:innen sind wie der aus dem Paradies vertriebene Mensch in der Realität angekommen.
Allerdings steht diese unter einem negativen Vorzeichen, da sie als die Folge der Übertretung des göttlichen Gebots, vom Baum der Erkenntnis zu essen, beschrieben wird. Der Ackerboden ist verflucht, sodass die Arbeit, wenn überhaupt, nur unter Mühen zum Erfolg führt. Ebenso bedeutet die Geburt Mühsal und Gefahr für die Frau, die zudem in einem hierarchischen Herrschaftsverhältnis eine untergeordnete Stellung innehat. Die Transformation des irrealen „Vorher“ in das erlebte „Jetzt“ führt also zu einer Minderung des Daseins, wie sich an den „paradiesischen“ Verhältnissen im Garten zeigt, wo Arbeit noch nicht mühsam und das Zusammenleben nicht durch Statusfragen („unbeschwerte“ Nacktheit; Gen 2,25) und Hierarchien (der Mann verlässt seine Familie und folgt der Frau; Gen 2,24) belastet war.
Was das Verhältnis von Mensch, Schöpfung und Welt anbelangt, so soll aus der Vielzahl der Motive exemplarisch das Verhältnis des Menschen zu den Tieren herausgegriffen werden.
Neben Gen 1,26–28 ist Gen 2,4b–7 der bedeutendste Text zum Thema Menschenschöpfung in der Bibel: „Als Jhwh-Gott Erde und Himmel machte ... da formte Jhwh-Gott den Menschen aus Staub vom Ackerboden, und er blies Lebensodem in seine Nase, so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.“ Hinsichtlich seiner Substanz unterscheidet sich der Mensch nicht von den Tieren (vgl. Gen 2,19). Wie die Tiere wird auch der Mensch aus dem Ackerboden als ein von Anfang an sterbliches Wesen erschaffen. Der „Erdenkloß“ (Luther) wird durch das Einhauchen des Lebensodems belebt. Dieser Vorgang ist kein Privileg des Menschen, auch wenn er für die Tiere nicht ausdrücklich erwähnt wird. Dennoch hat man in der Nichterwähnung der Beatmung der Tiere durch Jhwh-Gott immer wieder einen leisen Anklang an die in der Antike verbreitete Vorstellung erkannt, wonach sich im Menschen Irdisches und Göttliches verbinden, was seine besondere Stellung zwischen Gott und Welt beschreibt. Doch ist die Paradieserzählung im Vergleich zu griechischen und mesopotamischen Texten bemerkenswert zurückhaltend. Durch die Beatmung erhält der Mensch keinen Anteil an einer göttlichen Seele oder einem göttlichen Funken. Es wird nicht einmal explizit gesagt, dass es sich um Gottes Lebensodem handelt, der dem Menschen eingehaucht wird (so erst Ps 104,30; Hi 27,3). Die Beatmung durch Gott macht aus dem leblosen Körper ein „lebendiges Wesen“ (nǣpæš ḥayyā). Der Ausdruck ist gut gewählt, da er andernorts nur für Tiere gebraucht wird (vgl. Lev 11,10.46; Ez 47,9) und mit wünschenswerter Deutlichkeit heraustellt, dass Gen 2,7 die Erschaffung des Menschen als Naturwesen beschreibt.
Der Mensch wird von Jhwh-Gott in einen für ihn geschaffenen Baumgarten gesetzt (Gen 2,8). Doch so wunderbar der Garten auch ausgestattet ist (Gen 2,9), das Alleinsein des Menschen lässt sich nach dem Urteil des Schöpfergottes nicht als „gut“ qualifizieren (Gen 2,18). Der Mensch ist ein auf Geselligkeit hin angelegtes Wesen. Selbst im paradiesischen Miteinander mit Gott vermag der Mensch auf Dauer die Einsamkeit nicht zu ertragen. Deshalb bedarf er seinesgleichen als Gegenüber. Die Suche nach einer Abhilfe gegen das Alleinsein des Menschen führt erst über Umwege zur Erschaffung der Frau und damit zum Abschluss der Menschenschöpfung (Gen 2,21–25).
Dass Gott nach der Methode von Versuch und Irrtum handelt, schafft Raum, um die wichtige Frage des Verhältnisses des Menschen zu den Tieren zu beantworten und diejenige nach dem Wesen und der Bestimmung eines angemessenen Gegenübers für den Menschen zu präzisieren. Auf der Suche nach einem passenden Gegenüber erschafft Gott zuerst die Tiere, genauer die Landtiere und Vögel (Gen 2,19–20). Die Fische bleiben unerwähnt, weil sie in der Perspektive des antiken Israel von vornherein nicht als Gefährten des Menschen in Betracht kommen. Anders als beim Menschen wird die Belebung der Tiere nicht explizit angesprochen. Wie bei der Aufzählung der geschaffenen Tiere wird nur erzählt, was mit Blick auf den Menschen für den Fortgang der Erzählung von Belang ist. Und das ist die Formung der Tiere aus dem Ackerboden. Der identische Urstoff bewirkt nämlich nicht, dass die Tiere ein geeignetes Gegenüber sind. Das biologische Material macht die Tiere zu Mitgeschöpfen des Menschen, nicht mehr und nicht weniger. Ein gleichwertiges Gegenüber bedarf der Anerkennung durch den Menschen. Aus diesem Grund bringt Gott die Tiere zum Menschen und überlässt ihm deren Benennung (Gen 2,19a) und damit auch eine etwaige Identifizierung als Gegenüber (Gen 2,20a). Im Hinblick auf die Tiere versagt der Mensch die Anerkennung als gleichwertiges Gegenüber. Herausgestellt wird vielmehr die Benennung der Tiere durch den Menschen und der darin ausgedrückte Aspekt der Teilhabe des Menschen an der göttlichen Herrschaftsausübung. Ihr kommt im Kontext der Schöpfungsgeschichte eine besondere Bedeutung zu, da es nicht nur um die Namensfindung für einzelne Individuen geht, sondern um die dauerhafte und von Gott bestätigte Benennung von Gattungen und Arten. Die darin angesprochene Klassifizierung, Aneignung und Bemächtigung der Schöpfung durch den Menschen zeigt sich sehr schön in einem Nebenzug: Während anfangs nur von der Erschaffung aller Lebewesen des Feldes und aller Vögel des Himmels die Rede ist (Gen 2,19), werden diese nach der Benennung durch den Menschen unterteilt in das Vieh, die Vögel und die Lebewesen des Feldes (Gen 2,20). Diese Reihung orientiert sich an der Perspektive des Menschen, wobei wegen der Erwähnung des Viehs neben allen anderen Lebewesen des Feldes mit letzteren nur noch wildlebende Landtiere gemeint sein dürften. Auf die Benennung folgt die begründungslose Feststellung, dass sich keine Hilfe für den Menschen fand (Gen 2,20b). Die Tiere sind Mitgeschöpfe, gelten aber nicht als dem Menschen ebenbürtig. Ihre Geselligkeit reicht nicht aus, um das Alleinsein des Menschen zu beenden. Hierzu bedarf es eines tiefen und intimen, auf Gleichrangigkeit beruhenden und auf Gegenseitigkeit hin ausgerichteten Verhältnisses, wie es der weisheitliche Erzähler in der Beziehung zwischen Mann und Frau angelegt findet (Gen 2,23a).
Die Übertretung des göttlichen Verbots hat auch Folgen für die Tierwelt. Die Schlange wird aus der Gemeinschaft der Lebewesen des Feldes ausgestoßen. Gott verfügt eine abgründige und fortwährende Feindschaft zwischen der Frau und der Schlange sowie zwischen beider Nachkommenschaft. Diese Aussage ist einer bäuerlichen Lebenswirklichkeit entnommen. Insbesondere unter vormodernen Bedingungen geht im Vorderen Orient von Schlangen immer wieder eine plötzliche und unerwartete Gefährdung aus, was eine entsprechende Haltung gegenüber Schlangen hervorgerufen haben wird. Diese Erfahrung wird ins Grundsätzliche gesteigert und zum ersten Fallbeispiel einer gestörten Gemeinschaft unter den Geschöpfen.11 Ob man diese Aussage im Sinne eines Schlusses vom Kleineren zum Größeren so verstehen darf, dass mit der Verfluchung der Schlange das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren elementar und auf Dauer gestört ist, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.
Die Paradieserzählung schildert, dass der Mensch den für ihn geschaffenen Garten bestellen und bewachen soll (Gen 2,15). Der auf den modernen Betrachter idyllisch wirkende Erzählzug von der Einrichtung eines schönen Gartens speist sich aus Vorstellungen, wie sie sich im alten Vorderen Orient mit Palast- und Tempelgärten verbunden haben. Sofern es sich nicht um Nutzgärten handelte, waren Gärten ein Privileg hochgestellter Persönlichkeiten. Ikonographische Quellen aus Mesopotamien zeigen mit Mauern umgebene Anlagen mit schattenspendenden Bäumen, künstlicher Bewässerung und Ruheplätzen für die königlichen Gartenbesitzer und ihr Gefolge. Literarische Quellen dokumentieren den Stolz neuassyrischer Könige, die sich selbst als Gärtner präsentieren. Palast- und Tempelgärten sollten mit ihren aus allen Ecken des jeweiligen Herrschaftsbereichs zusammengebrachten Tieren und Pflanzen die Ordnung der Schöpfung widerspiegeln. Der König präsentiert sich dabei als Landmann, der für Fauna und Flora sorgt. In der Paradieserzählung ist dieser Zug der Königsideologie des alten Vorderen Orients auf den Urmenschen übertragen, insofern ihm die Aufgabe zukommt, den Garten zu bewachen. Allerdings wird dem Menschen dieses Privileg mit der Vertreibung aus dem Paradies in die Realität wieder entzogen. Die Bewachung des Gartens obliegt nach der Vertreibung des Menschen den Cheruben (Gen 3,24). Schon deshalb eignet sich Gen 2,15 nur sehr bedingt als biblische oder schöpfungstheologische Grundlegung einer besonderen Verantwortung des Menschen für die Schöpfung. Vermutlich wäre der in der jüngeren Auslegungsgeschichte und in vielen kirchlichen Stellungnahmen wiederholt formulierte Gedanke, der Mensch sei hier zur Bewahrung der Schöpfung aufgerufen, den Verfasserkreisen hinter der Paradieserzählung und ihren intendierten Leser:innen ohnehin nicht verständlich gewesen oder gar mit Blick auf das zur creatio continua Gesagte als Hybris erschienen.
Der Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,3 geht auf die in exilisch-nachexilischer Zeit entstandene Priesterschrift zurück.12 Deren Darstellung der Erschaffung der Welt in sieben Tagen hat über die Jahrhunderte hinweg die Vorstellung von der Entstehung und Ordnung der Welt bestimmt. In dieser Hinsicht wurde Gen 1,1–2,3 durch naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle zur Entstehung des Kosmos und der Entwicklung des Lebens abgelöst. Gleichwohl ist der priesterschriftliche Schöpfungsbericht selbst in postsäkularen Kulturen aufgrund seiner bedeutenden Wirkungsgeschichte, aber auch wegen seiner Sprachkraft so präsent wie kaum ein anderer Text der Bibel.
Für die Verhältnisbestimmung von Mensch, Schöpfung und Welt sind folgende sieben Punkte wichtig:
1. Die prägnante, klare und beinahe monoton wirkende Strukturierung von Genesis 1 ist nicht nur den Stilvorgaben der zeitgenössischen Naturkunde geschuldet, sondern hat auch eine eindeutige inhaltliche Abzweckung. In einer Krisenzeit, in der Israel seinen König, sein Land und seine Unabhängigkeit verloren hatte und der überwältigenden Kultur der babylonischen (oder persischen) Oberherren ausgesetzt war, schien wenig Bestand zu haben. Allein die sprachliche Form des Schöpfungsberichts betont jedoch, „wie wohlgeordnet, beständig, verlässlich und rhythmisch wiederkehrend Gott die Schöpfung gemacht hat“13. Hinter der wissenschaftlich anmutenden Prosa steht somit das Bekenntnis zur Verlässlichkeit des einen Gottes und seiner Schöpfungsordnung.
2. Die theologische Hauptaussage des Textes lässt sich wie folgt zusammenfassen: Gott ist als Schöpfer Gott. Gott ist der alleinige Schöpfer von allem, was ist, und als ihr Schöpfer ist Gott von Himmel und Erde entkoppelt und ihnen gegenübergestellt. Universalität und Transzendenz des einen Gottes werden durch den Gebrauch des Verbs bārā’ („schaffen“) herausgestellt. Das Verb ist ausschließlich in exilischen und nachexilischen Texten belegt, vor allem bei Deuterojesaja und in der Priesterschrift. Im Jesajabuch steht das Verb gleichermaßen für vergangenes und gegenwärtiges (Jes 40,26.28; 42,5; 45,12.18) wie auch zukünftiges Schaffen Gottes (Jes 41,20; 45,8; 65,17; vgl. Jer 31,22), während es die Priesterschrift konsequent auf Gottes anfängliches Schaffen (Gen 1,1.21.27; 2,3[.4]; 5,2) beschränkt. Für das Verstehen des priesterschriftlichen Gebrauchs ist entscheidend, dass bārā’ von allen Verben, die im Alten Testament für das Schöpfungshandeln Gottes benutzt werden, dasjenige mit dem höchsten Grad theologischer Abstraktion ist. Es ist ausschließlich Gott vorbehalten und nie mit einer Materialangabe dessen verbunden, woraus oder womit Gott schafft. Das mit bārā’ bezeichnete Schöpfungshandeln – die Substantivbildung beri’āh „Schöpfung“ ist erstmals in Qumran und dann in der rabbinischen Literatur belegt – ist somit jeder Vorstellbarkeit enthoben. Dies wird zwar nicht konsequent durchgehalten, insofern der Schöpfungsbericht in V. 3ff notgedrungen auf bildliche Vorstellungen zurückgreifen muss, will er Gottes Schöpfungshandeln überhaupt beschreiben können.14 Doch selbst dann ist die bildliche Veranschaulichung durch die Voranstellung des göttlichen Befehls vor jedes göttliche Tun eigentümlich gebrochen. Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht beschreibt mithin ein Geschehen, das sich streng genommen jeder Beschreibung entzieht. Das aus der Tradition übernommene Wissen über die Weltentstehung, das sicherlich dem damaligen Erkenntnisstand entsprach, wird nicht um seiner selbst willen überliefert, sondern lediglich um die theologische Kernaussage des ersten Verses zu entfalten.
3. Für das Verständnis der Schilderung des Zustands vor der Erschaffung der Welt ist es wichtig zu erkennen, dass sie keinem spekulativen Interesse im engeren Sinne entspringt. Die intellektuelle Leistung ist damit nicht bestritten. Allein die Vorstellung vom Anfang, aus dem alles Existierende in seiner Vielfalt entstanden ist, verdankt sich einem Erkenntnisinteresse, das weit über praktische Belange hinausgeht. Im Mittelpunkt steht die Lebenswelt des Menschen. Sie ist die bestimmende Perspektive des gesamten Schöpfungsberichts. Im Unterschied zu einer Reihe von Texten aus der Umwelt fächert die Priesterschrift weder den Himmel auf, noch thematisiert sie das weiterhin gegebene Bedrohungspotential der geteilten Wasser der Urflut (vgl. Gen 7,11; 8,2) oder schildert das, was unter der Erde ist. Am Himmel ist nur das von Interesse, was aus der Perspektive des Menschen zu sehen ist (die Unterseite der Himmelsfeste) und welche Funktion er in der Ordnung der Welt hat (die Leben ermöglichende und schützende Trennung von Himmelsozean, Erde und Meer). Die assoziative Nähe zu modernen Kosmologien und deren Metaphorik beruht auch nicht auf einer naturkundlichen Ahnung der biblischen Autoren. Die Vorweltschilderung ist vielmehr durch die Vorgabe der Logik eines Berichts und der Erkenntnismöglichkeit bestimmt: Der Bericht schildert das Ins-Sein-Kommen aller erkennbaren Ordnung und Gegebenheiten als Geschehensfolge und bedarf deshalb eines Ausgangspunkts, der sich der Erfahrung entzieht und daher nicht anders beschreibbar schien denn als Negation oder als „Noch-Nicht“ des Vorhandenen. Das babylonische Marduk-Epos Enuma Eliš formuliert es so15:
Als oben der Himmel (noch) nicht benannt war (= existierte) und unten die Erde (noch) nicht mit Namen genannt war, war Apsu, der erste, ihr Erzeuger, und die Schöpferin Tiamat, die sie alle gebar. Ihre Wasser hatten sie miteinander vermischt, ehe sich Weideland verband und Röhricht zu finden war. Als die Götter noch nicht hervorgebracht waren, kein einziger, sie mit Namen noch nicht gerufen waren, ihnen die Schicksale noch nicht bestimmt waren, da wurden die Götter in ihrer Mitte geschaffen … (EnEl I, 1–9).
4. Mit der Erschaffung des Menschen am sechsten Tag endet nicht nur die Erschaffung der Lebewesen, sondern auch die Reihe der Schöpfungswerke insgesamt. Diese Positionierung unterstreicht die besondere Bedeutung der Menschenschöpfung innerhalb des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts, zumal die vorhergehenden Werke hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der menschlichen Lebenswelt und ihrer Erfordernisse betrachtet wurden. Zu den Auffälligkeiten des Abschnitts gehört, dass der göttliche Entschluss zur Menschenschöpfung mit einem pluralischen Kohortativ formuliert ist (Gen 1,26). Dies hebt die Menschenschöpfung wie die Verwendung des Schöpfungsverbs bārā’ von den übrigen Werken ab. Gegenstand der Selbstaufforderung ist die Erschaffung des Menschen. Das hebräische ’ādām ist ein Kollektivbegriff und bezeichnet die Gattung „Mensch“. Die im Folgenden getroffenen Aussagen über die Gottebenbildlichkeit des Menschen, seine geschlechtliche Differenzierung und seine Ermächtigung zur Herrschaft gelten folglich ausnahmslos für die Gattung „Mensch“. Das Fehlen der bei den Tieren üblichen Differenzierung nach Arten deutet an, dass die biologische Unterscheidung von männlichen und weiblichen Exemplaren beim Menschen (sex, nicht gender!) die einzige nennenswerte Differenzierung darstellt. Eine Differenzierung nach geographisch lokalisierbaren Varietäten in Hautfarbe, Körperbau etc., aber auch kulturell ausgebildete Unterschiede zwischen den Menschen spielen keine Rolle.
5. Die Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen (imago Dei) besagt, dass der Mensch, männlich und weiblich, als eine lebende Statue Gottes erschaffen worden ist, die ihn in ihrer äußerlichen Gestalt und in ihrem Wesen auf der Erde repräsentiert.16 Dies ist der Wortsinn. Die Bedeutung des Mythologems der Gottebenbildlichkeit erschließt sich aus ihrem traditionsgeschichtlichen Hintergrund in der Königsideologie des alten Vorderen Orients. Deren Aussagen zu schöpfungstheologisch begründeten Herrschaftsansprüchen werden in Gen 1 in die Anthropologie integriert, was treffend als „Royalisierung des Menschenbildes“17 zusammengefasst werden kann. Die Vorstellung des königlichen Menschen kann als biblische Grundlage für eine theologische Einforderung politischer und bürgerlicher Rechte dienen, die jedem Menschen unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sozialem Status zukommen. Zudem impliziert die Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit, dass kein Mensch eines „königlichen“ Vermittlers im Verhältnis zum Schöpfer bedarf. In erster Linie geht es jedoch um die Funktion des Menschen als Mandatar Gottes und die Ausübung seiner Herrschaft über die übrige Natur (Gen 1,26.28), die durch seine Gottebenbildlichkeit ermöglicht und zugleich legitimiert wird.
6. Die Gottebenbildlichkeit wird im Segen des Schöpfers inhaltlich als Befähigung des Menschen zur Herrschaft über die Erde und die Tierwelt bestimmt (dominium terrae et regnum animalium): „Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und nehmt sie in Besitz und herrscht über die Fische des Meeres und über die Flugtiere des Himmels und über jedes Lebewesen, das auf der Erde kriecht“ (Gen 1,28; vgl. 1,26). Die Verben kābaš „in Besitz nehmen“ und rādah „herrschen“ beschreiben Tätigkeiten, die oft als Metaphern für herrscherliches Gewalt- und Machthandeln dienen: betreten, durchschreiten, niedertreten, zertreten und herrschen. Zwei (völkerrechtliche) Herrschaftsakte lassen sich unterscheiden, nämlich die Unterwerfung der Erde als Lebensraum des Menschen und die Herrschaft über die Tiere, die ihm diesen Lebensraum streitig machen. Der Mensch soll und kann gegenüber allen Tieren überlegen sein. Diese „machtpolitische“ Lesart wird durch den Kontext der Herrschaftsbefähigung relativiert. Die nachfolgende Speiseordnung beruht auf einem universalen Frieden zwischen Menschen und Tieren und unter den Tieren. Während nach der Sintflut dem Menschen das Töten von Tieren zum Nahrungserwerb ausdrücklich erlaubt wird (Gen 9,1–7), setzt die ursprüngliche Ordnung ein umfassendes Tötungsverbot voraus. Insofern den Menschen Obst und Pflanzensamen, den Landtieren und den auf der Erde Nahrung suchenden Vögeln das Kraut des Feldes zugewiesen werden, wird sogar dafür Vorsorge getragen, dass die Tiere nicht nur keine Nahrung für den Menschen sind (und auch untereinander nicht), sondern nicht einmal Nahrungskonkurrenten. Zudem erstreckt sich die dem Menschen zugesprochene Herrschaft auch auf das Meer und die Luft, Bereiche, auf die der antike Mensch kaum Einfluss hatte (Gen 1,28b). In Gen 1,26.28 tritt die physische Konnotation der genannten Verben zugunsten ihrer Bedeutung als universelle königliche Herrschaft zurück, wobei „Herrschaft“ im Alten Testament wie im alten Vorderen Orient insgesamt ein positiv besetzter Ausdruck ist. Nach dem Selbstverständnis altorientalischer Königsideologie ist die Sicherung des Lebens der Untertanen, des inneren wie äußeren Friedens, mithin die Abwehr des Chaos die vornehmste Aufgabe des Herrschers. Ebenso selbstverständlich ist „Herrschaft“ in der gesamten Antike eine durch (gerechte) Gewalt bewehrte Ausübung von Macht. Als Mandatar des Schöpfergottes ist der Mensch dazu aufgerufen und befähigt, dessen Herrschaftsanspruch auf Erden zu wahren und durchzusetzen. Die Passage über die Erschaffung des Menschen legitimiert somit die gerechte und durch ihre religiöse Grundlegung begrenzte Herrschaft des Menschen in der Welt.
Wie die damit verbundene Verantwortung des Menschen zu verstehen ist, zeigt die Priesterschrift mit der Sintfluterzählung, die stets als Korrektiv der steilen Aussagen in Gen 1,26–30 zur Gottebenbildlichkeit des Menschen und zu seiner Herrschaftsbefähigung mitzulesen ist. Gott hat den Menschen die Aufgabe übertragen, auf der Erde für die Einhaltung der gottgegebenen Ordnung zu sorgen. Wie die Verderbnis der Erde durch die Gewalttat alles Fleisches, also des Menschen und der Tiere, zeigt, hat der Mensch darin versagt (Gen 6,9–13). Dieser Realitätssinn der priesterschriftlichen Autoren, die wie ihre Adressat:innen unter den Bedingungen „nach der Flut“ leben, zeigt, dass die idealisierte Vorstellung von menschlicher Herrschaft in der Geschichte an ihre Grenzen stößt. Die ideale Königsherrschaft des Menschen wird zu einer begrenzten Gewaltherrschaft. Nach der Sintflut zieht der Schöpfergott die Konsequenzen: Mit einem erneuten Segen wird die Gewalt reguliert, indem das Töten von Tieren zum Nahrungserwerb erlaubt und das Töten von Menschen verboten wird (Gen 9,1–7). Diese Unterscheidung zwischen Urzeit und geschichtlicher Zeit zeigt sich exemplarisch an der in den meisten vormodernen Kulturen heiklen Frage der Tötung von Tieren. Was in der Urzeit implizit verboten war, wird nach der Flut toleriert. Schöpfungstheologisch gesprochen, ist die gegenwärtige Welt eine Welt „nach der Flut“. Sie ist vielleicht die beste aller möglichen Welten, aber sie ist nicht mehr diejenige Welt, die uneingeschränkt das Lob ihres Schöpfers verdient.
7. Die Auslegung der Herrschaftszusage schwankt seit gut drei Jahrzehnten zwischen Anklage und Apologie. Ausgangspunkt ist die einflussreiche These, wonach das „Macht euch die Erde untertan!“ den schrankenlosen Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen in den Industriegesellschaften westlicher Prägung ideologisch befördert habe.18 Mit seinem gleichsam naturkundlichen Grundton und dem nüchternen Umgang mit dem Meer, der Erde, den Gestirnen oder anderen Größen, denen in vielen Kulturen eine eigene religiöse Dignität zugesprochen wurde und wird, hat der priesterschriftliche Schöpfungsbericht wesentlich zur „Entzauberung der Welt“19 beigetragen. Unstrittig gehört er damit zu den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen eines wissenschaftlichen Umgangs des Menschen mit der Natur (einschließlich des Menschen).20
Dieses Weltverhältnis führt jedoch nicht zwangsläufig zu einem selbstzerstörerischen Umgang des Menschen mit der Natur. Ebenso schützt ein „nicht-entzaubertes“ Weltverhältnis nicht automatisch vor Umweltzerstörungen. Seit dem Übergang zur Sesshaftigkeit hat der Mensch seine natürliche Umwelt nachhaltig verändert und die natürlichen Ressourcen mit erheblichen Auswirkungen ausgebeutet. So ist die Episode von Gilgamesch und Enkidu im Zedernwald ein literarischer Niederschlag des frühen Raubbaus an den Wäldern in der Levante (Gilgm V, 300–323).21 Auch lässt sich eine prominente Rolle des dominium terrae bei der Begründung der Wirtschaftsweise des industriellen Zeitalters und der damit verbundenen Umweltzerstörungen ungekannten Ausmaßes nicht nachweisen – mit der Einschränkung, dass sich Vorgänge wie die unterstellte Verinnerlichung eines von der Bibel geprägten Weltverhältnisses und seine Transformation in säkulare Kontexte weitgehend der Überprüfbarkeit entziehen.
Wie auch immer der tatsächliche Einfluss des dominium terrae auf die Wirtschaftsweise des industriellen Zeitalters gewesen sein mag, die erhobenen Vorwürfe haben zu einer apologetischen Neuinterpretation des biblischen Textes geführt. Dieser wurde vielfach als Zeuge für die Forderung eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Schöpfung gelesen. Begründet wurde dies mit der etymologischen Verbindung des hebräischen rādah „herrschen“ mit dem akkadischen redû(m). Letzteres bedeutet außer „herrschen“ und „niedertreten“ auch „begleiten“, „[mit sich] führen“ und „leiten“ und beschreibt die in der gesamten Antike positiv konnotierte Tätigkeit eines Hirten. Auf diese Weise seiner brutalen Metaphorik beraubt, zielt der Herrschaftsauftrag auf den Schutz der dem Menschen anvertrauten Schöpfung.22
Freilich wäre dieser Gebrauch von rādah innerhalb des Alten Testaments singulär und von einem Hirtenamt (unter Einbeziehung von Vögeln und Fischen?) ist zumindest nicht explizit die Rede. Eher ließe sich für eine positive Wertung des Herrschaftsauftrags auf den Kontext und den traditionsgeschichtlichen Zusammenhang mit der Königsideologie des alten Vorderen Orients verweisen: Die Vorstellung des Menschen als Statue des Schöpfergottes, der zur königlichen Herrschaft befähigt und zudem vorsintflutlich auf pflanzliche Nahrung festgelegt ist, sei mit einer gegen die Schöpfung gerichteten Gewaltherrschaft nicht vereinbar. Gefordert sei nach Gen 1,26.28 eine tätige Verantwortung des königlichen Menschen für die gesamte Schöpfung. Dies ist sicher nicht falsch und es ist politisch wie ökologisch und ökonomisch wünschenswert, doch gerät dabei schnell aus dem Blick, dass das Naturerleben bis in die Romantik hinein ein anderes war als das in unserer Gegenwart. Tiere wurden als Konkurrenten um Lebensraum und Nahrung wahrgenommen. Das ist im Übrigen immer wieder auch in modernen Gesellschaften der Fall, wie die Diskussion um Wiederansiedlung und Schutz ehedem ausgerotteter Raubtiere wie Wolf und Luchs zeigen. Auch bedeutet die biblische Hoffnung auf einen endzeitlichen Tierfrieden zunächst einmal, dass dem Menschen von den wilden Tieren keine Gefahr mehr droht (vgl. Hos 2,20, wo Jhwhs Verheißung eines Bundes mit den Tieren neben derjenigen steht, zukünftig Bogen, Schwert und Krieg zu zerbrechen). Insofern ist der Einwand nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die genannte Auslegungsrichtung heutige Vorstellungen in den Text hineinliest, damit dieser unter gänzlich anderen Bedingungen als Orientierungshilfe in einer als Krisensituation erfahrenen Gegenwart dienen kann. Auch sollte bei der positiv konnotierten Königsherrschaft immer im Blick bleiben, dass sich diese für die Beherrschten, insbesondere für „befriedete“ Völker (oder in unserem Text: die Tierwelt), mitunter als Gewaltherrschaft dargestellt hat, wie für das antike Israel die pax assyriaca oder pax romana hinreichend belegen. Insofern ist selbst die friedliche Lesart der Herrschaftsmetapher ambivalent. Gleichwohl bleibt trotz aller notwendigen Einschränkungen die Einsicht einer besonderen Verantwortung des als Mandatar des Schöpfergottes zur Herrschaft befähigten Menschen bestehen. Sie klingt auch im priesterschriftlichen Prolog der Sintflutgeschichte an (Gen 6,9–13) und darf daher als textgemäße Lesart gelten. Darüber hinaus lässt sie sich in eine säkulare Sprache übersetzen, ohne gleich zur (politischen) Leerformel zu werden.
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